Seit 30 Jahren setzen sich die Frauenkreise für die Gleichstellung von Frauen ein. Immer wieder stellen sie fest, wie schwierig der Kampf für Gerechtigkeit und Chancengleichheit ist. Denn viele Frauen erleben mehrere Formen von Diskriminierung.
Für gewöhnlich beginnen Lesungen damit, dass Autor*innen ihre Werke selbst präsentieren. Sie lesen verschiedene Abschnitte daraus vor und beantworten im Anschluss die Fragen des Publikums. Doch bei einer von den Frauenkreisen organisierten Lesung läuft es anders. Hier liest auch das Publikum Passagen aus dem Buch „Why we matter“ von Emilia Roig vor. Jeder Abschnitt wird von einer anderen Person gelesen, es geht um Schönheitsnormen, Klassismus sowie die Überschneidung sexistischer und rassistischer Diskriminierung. Und obwohl die Leser*innen das Buch nicht selbst geschrieben haben, könnten die Inhalte teilweise ihre persönlichen Geschichten sein. Immer wieder ändert sich die Lautstärke der Stimme, auch der Leserhythmus ändert sich. Mal sind die Stimmen leiser, mal lauter, mal lesen sie schneller, mal langsamer.
„Verschiedene Leute bringen eine unterschiedliche Emotionalität in die Lesung rein und interpretieren das Gelesene durch die Art, wie sie lesen. Das sind auch noch einmal zusätzliche Perspektiven, die darein kommen. Das bringt eine Tiefe rein und verstärkt die Legitimität dessen, was da steht“, sagt Niki Drakos, die die Lesung für die Frauenkreise organisiert hat.
Dies ist ein Text aus unserer Reihe
„Famose Frauen aus Prenzlauer Berg“
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Denn Drakos arbeitet als Programmkoordinatorin für die Frauenkreise, die ein intersektionales, feministisches Projekt der lila offensive sind. Die Frauenkreise haben es sich zum Ziel gemacht, strukturelle Diskriminierungen von Frauen aus intersektionaler Perspektive zu bekämpfen. Mit diesem Ansatz beachten sie, dass viele Menschen mehrere Formen von Diskriminierung erleben, die sich überschneiden und so die Ungleichheit noch einmal verstärken. Die Mitarbeiter*innen der Frauenkreise sind daher überzeugt, dass Diskriminierungsformen wie Rassismus, Sexismus, Homo- und Transfeindlichkeit, Altersdiskriminierung sowie Klassismus nicht unabhängig voneinander betrachtet betrachtet werden dürfen. „Unser Konzept von Feminismus ist daher auch ein Konzept von Menschenrechten“, sagt die Gründerin und Geschäftsführerin Gabi Zekina. Dafür organisieren sie bildungspolitische Veranstaltungen wie Lesungen und Filmworkshops, sie bieten Krisen- und Konfliktberatungen an, führen Empowerment-Workshops durch, organisieren Ausstellungen, beteiligen sich in Netzwerken wie dem Arbeitskreis Pankower Frauenprojekte oder im Netzwerk Pankower Frauen gegen rechts.
Pionier*innen der Berliner Frauenbewegung
Wenn es um die Geschichte der Frauenbewegung geht, fallen immer wieder dieselben Namen. Doch viele Selbstverständlichkeiten von heute wurden auch durch weniger bekannte Initiativen und Frauen mit auf den Weg gebracht. So zählen durchaus auch die lila offensive, Gabi Zekina und ihre Mitstreiter*innen zu den Pionier*innen der Berliner Frauenbewegung.
Im Oktober 1989 gründet Zekina mit zehn anderen Frauen, darunter Annett Gröschner, die lila offensive mit dem Ziel, sich in die politischen Umbruchprozesse aus Frauensicht einzumischen. Einen Monat später stellt sich die Frauengruppe schließlich erstmals öffentlich in der Gethsemane-Kirche in Prenzlauer Berg vor und stößt auf große Resonanz. Die fast 200 Anwesenden beginnen Pläne für einen landesweiten Frauenkongress in der Volksbühne zu schmieden, der in der Gründung des Unabhängigen Frauenverbands (UFV) am 3. Dezember 1989 mündet. Zunächst vertritt Zekina den UFV am Ostberliner Runden Tisch, im Frühjahr 1990 folgen Kommunalwahlen. Zekina erlangt einen Platz in der Stadtverordnetenversammlung (Ost-)Berlin.
Doch mit den Gesamtberliner Wahlen zieht sich Zekina aus der aktiven Politik zurück. „Ich habe gedacht, ich will nicht immer das Gefühl haben, ich bin der Feuermelder, der immer Rauch meldet, der immer sagt: ‚Nein, das geht nicht. Nein, Hilfe. Aufhören.’“ Sie wollte sich nicht immer dagegenstellen, sondern etwas eigenes machen und gestalten, erzählt sie heute. Kurzerhand gründet sie mit Sylke Stübner von der lila offensive das Projekt Frauenkreise. 2009 ziehen die Frauenkreise in die Choriner Straße. Seitdem sehen sie rassismuskritische Arbeit als einen wesentlichen Bestandteil ihrer feministischen Praxis: Das Programm wird diverser, das Beratungsangebot finden in verschiedenen Sprachen statt. In diesem Jahr feiern die Frauenkreise ihren 30. Geburtstag.
Trotz Nachfrage gibt es Probleme
Dass das Konzept der Frauenkreise aufgeht und auch weiterhin Bedarf besteht, zeigen die Veranstaltungen. So nehmen fast 60 Menschen an der Lesung mit Emilia Roig teil. Viele von ihnen haben Ausgrenzung und Diskriminierung erfahren. Eine Teilnehmerin bestätigt, dass das Gelesene ihrem Leben entspreche. Obwohl es nicht geplant war, wurden Bilder der Künstlerin Malena Meneses Gelpi verkauft, die ihre Bilder zurzeit in den Räumen der Frauenkreise ausstellt.
Und dennoch gibt es regelmäßig Probleme – vor allem finanzielle. Im vergangenen Jahr drohte Space2Grow, einem Projekt von geflüchteten für geflüchtete Frauen, das Aus, weil die Finanzierung gestrichen werden sollte. Jetzt gehe der Kampf, um Förderungen wieder von vorne los. „Ich mache das seit 30 Jahren. Es ist ermüdend. Eigentlich brauchen wir mehr Geld, wir brauchen größere Räume, wir brauchen barrierefreie Räume“, regt sich Zekina auf. Immer wieder um Basics kämpfen zu müssen, sei einfach nicht fair. Die Arbeit der Frauenkreise und anderer feministischer Initiativen sei eine wichtige, gesellschaftliche Arbeit, die regelfinanziert werden sollte.
Die Geschäftsführerin der Frauenkreise will gar nicht abstreiten, dass in den vergangenen Jahren zahlreiche gesellschaftliche Fortschritte für Frauen erzielt wurden. „Das Problem ist, dass gesellschaftlicher Fortschritt immer in so komischen Spiralen geht, wo man denkt: Jetzt haben wir es und dann geht es wieder rückwärts“, sagt sie.
In Deutschland hat sich eine Bequemlichkeit eingestellt
Denn so selbstverständlich wie Zekinas und Drakos’ Positionen klingen, sie scheinen noch immer nicht bei allen Menschen angekommen zu sein – selbst innerhalb der Frauenbewegung. So gibt es zahlreiche Projekte, die Schwarze Frauen, Women of Color oder eingewanderte Frauen gegründet haben und selbstverständlich intersektionalen Feminismus betreiben. Dennoch seien diese Projekte oft unbekannt und bei den für sie relevanten Themen nicht in die Diskussionen eingebunden. „Das was sich gesellschaftlich schon längst verändert hat, wird schlecht aufgenommen in die institutionelle und politische Realität. Das halte ich für ein großes Problem“, kritisiert Zekina.
„Wir sind mit den Kämpfen nicht allein. Wir haben diese Kämpfe auch nicht erfunden, sondern die fanden immer schon die ganze Zeit überall auf der Welt statt – vor allem im sogenannten globalen Süden. Und dort sind sie auch noch viel kämpferischer“, ergänzt Drakos. In Deutschland habe sich eine gewisse Bequemlichkeit eingestellt. Deswegen kämpfen die Mitarbeiter*innen der Frauenkreise auch weiter. Wie jedes Jahr demonstrieren sie auch dieses Mal wieder am 8. März.
Titelfoto: Frauenkreise