Am 20. Januar brannte der Innenraum der Paul-Gerhardt-Kirche in der Wisbyer Straße, das Landeskriminalamt ermittelt wegen Brandstiftung. Was sagt die Pfarrerin Almut Bellmann zu dem Geschehen?
Ich saß mit meiner Familie beim Abendessen, als mich mein Kollege anrief und mir Bescheid gab. Jemand aus dem Team der Jugendarbeit hatte die Fahrzeuge der Feuerwehr in der Wisbyer Straße gesehen und nachgefragt. Nach dem Anruf habe ich mich gleich auf den Weg zur Kirche gemacht und war dann mit einigen anderen den ganzen Abend vor Ort. Während die Löscharbeiten noch liefen, schaute ich immer wieder von draußen in die Kirche und dachte: Die Sitzbänke stehen noch, die Osterkerze steht noch – dann kann es doch nicht so schlimm sein?!
Die Feuerwehr konnte den Brand relativ schnell löschen. Doch den Altar, wo das Feuer gelegt worden war, konnten sie nicht retten. Eine große Herausforderung war die Entrauchung des Gebäudes. Es gibt nur wenige Fenster in der Kirche, die man öffnen kann. Dadurch blieb der heiße Rauch ziemlich lange in der Kirche. Erst durch die Hitze wurde die Orgel zerstört, die sich gegenüber des Altars befand. Zwei von den bleiverglasten Fensterscheiben auf der Kirchenfassade zur Wisbyer Straße hat die Feuerwehr entnommen, um die Entrauchung voranzubringen. Der Glaser, mit dem wir schon häufiger zusammengearbeitet haben, hat sie gleich am nächsten Tag durch normales Fensterglas ersetzt, damit die Kirche vor Witterung geschützt ist.
Als die Feuerwehr-Leute einen der beiden Engel noch am Abend des 20. Januars herausholten und vor den Kircheneingang stellten, war ich sehr berührt davon, dass diese Engelsfigur noch da war und dass sie damit so behutsam umgingen. Ich brauchte lange, um wirklich zu begreifen: Dieser Engel hat sich vorher in etwa vier Meter Höhe befunden. Dass er nun hier auf dem Boden stand, konnte nur bedeuten, dass alles andere kaputt und nichts übrig ist. Als mir das nach einer Weile klar wurde, hat es mich ziemlich erschüttert.
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Verkohlter Engel als Symbol
Noch am Abend des Brandes kamen Feuerwehr und Kriminalpolizei zu dem Schluss, dass es sich um Brandstiftung handelt. Das hat uns alle sehr schockiert. Natürlich fragen wir uns, was einen oder mehrere Menschen zu einer solchen Tat motivieren kann. Was für eine große Wut dahinter steckt und worauf diese sich eigentlich konkret richtet. Ich werde auch oft gefragt, ob wir schon mehr wissen über die Hintergründe. Ich merke, wie unbegreiflich es für viele Menschen ist, dass diese Frage nach wie vor unbeantwortet ist.
Schwer auszuhalten ist auch, eine Kirche so verletzt zu sehen – ein Ort, mit dem so viele Lebensgeschichten von Menschen verbunden sind, ein Haus, das so viel Schutz und Gewissheit und auch viel Freiraum geboten hat. Durch all den Ruß ist es in der Kirche jetzt sehr viel dunkler als vorher. Es riecht sehr unangenehm. Das ist kaum zu ertragen. Für uns als Pfarrpersonen war es eine sehr herausfordernde Aufgabe, Menschen sagen zu müssen, dass „ihrer“ Kirche so etwas zugestoßen ist.
Wir haben dann im Pfarrteam schnell entschieden, gleich am nächsten Abend einen Gottesdienst vor Ort zu feiern mit Menschen aus der Gemeinde und aus der Nachbarschaft. Auch eine Woche später gab es eine Andacht im Hof für die Konfirmand*innen, die Jugendlichen, denen dieser Ort wichtig ist. Und einen Monat nach dem Brand haben wir einen Gottesdienst gefeiert, bei dem Vertreter*innen aus dem interreligiösen Kontext mit an unserer Seite waren. Dieses Miteinander bedeutet uns sehr viel und gibt Kraft.
Jemand aus der Nachbarschaft hat bei der Andacht 24 Stunden nach dem Brand den Engel fotografiert und ihn den „Trostengel“ genannt, das war Andreas Otto von den Grünen. Wir haben diesen Namen aufgegriffen: Die Bilder von den beiden Engeln, die halb verkohlt sind und doch noch da und so eine verletzliche und doch vertrauensvolle Ruhe ausstrahlen, die berühren viele Menschen. Wir wollen die beiden Figuren gern so erhalten, wie sie sind, mit den Spuren des Brandes, sie konservieren und gegen weitere Zerstörung schützen. Sie erzählen eine traurige, erschütternde Geschichte – und weisen doch über das Unglück hinaus.
So ist es auch mit der Osterkerze. Das Altarbild vom Auferstandenen Christus wurde zerstört, aber die Osterkerze, deren Licht von der Auferstehung erzählt, stand unmittelbar neben dem Bild im Altarraum und ist nur ein wenig angeschmolzen. Sie kann uns weiter leuchten. Wenn wir im Gottesdienst früher Taufkerzen daran entzündet haben, sprachen wir dazu Worte aus der Bibel: Christus spricht: „Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ So finster diese Kirche zur Zeit innen auch aussieht, ich glaube, das Licht des Lebens leuchtet weiter, auch in unserer Gemeinde.
Die Stromversorgung soll bald wiederhergestellt werden, damit die Glocken wieder läuten können. Wir sind eine große, fusionierte Gemeinde mit mehreren kirchlichen Orten. Unsere Gottesdienste konnten daher innerhalb der Gemeinde umziehen. Jeden Sonntag um 11 Uhr feiern wir einen gemeinsamen Gottesdienst in der Gethsemanekirche. Es sind auch Menschen eingeladen, die sich mit Paul Gerhardt verbunden fühlen. Die lettische Gemeinde, die bei uns zu Gast ist, und der Minigottesdienst für Familien mit kleinen Kindern sind in den Elias Kuppelsaal in die Göhrener Straße umgezogen. Die Konfirmandenarbeit probiert jetzt verschiedene Räume in der Gemeinde aus. Diesbezüglich ist viel Flexibilität und Kreativität gefragt, da wir sehr große Gruppen haben.
Die Kirche als Ort der Begegnung und der Kunst
Die Anteilnahme war und ist groß. Das ist sehr berührend. Wir sind froh, dass unsere Versicherung für die Brandschäden aufkommt. Dennoch freuen wir uns über Spenden für die Zukunft, um diese Kirche zu erhalten. Wir wollen an diesem Ort eine Kooperation mit dem Verein Pfeffersport aufbauen und die Kirche zugleich weiterhin als sakralen Ort für Jugendgottesdienste nutzen, auch für andere Gottesdienst-Formate und alle Altersgruppen. Es soll ein Raum entstehen, der vielfältig genutzt werden kann und zur Begegnung, Bewegung und Spiritualität einlädt. Die Paul-Gerhardt-Kirche ist auch ein Ort der Kunst. Von 2010 bis 2020 wurde dort jedes Jahr zur Passionszeit der Altar von zeitgenössischen Künstler*innen verhüllt. Auch diesen Aspekt wollen wir im Blick behalten.
Für die Zeit der Schadensbeseitigung und des Umbaus ist ein Kunstprojekt in und mit der Kirche geplant: Einzelne Personen, die sich mit der Paul-Gerhardt-Kirche verbunden fühlen, begehen das Gebäude mit einer Künstlerin, die Erinnerungen, Wünsche und Träume notiert und künstlerisch verarbeitet. Uns ist viel geholfen damit, dass Menschen neugierig bleiben auf diesen Ort: neugierig darauf, was hier weiter geschieht und möglich sein wird. Und sie sich freuen, diese Kirche wieder oder neu zu entdecken. Wir brauchen an diesem Ort jetzt viel Geduld. Dann wird es hoffentlich wieder ein freundlicher, einladender Raum werden.
Almut Bellmann, 1982 geboren, ist seit 2016 Pfarrerin in der Evangelischen Kirchengemeinde Prenzlauer Berg Nord, zu der die Paul-Gerhardt-Kirche gehört.
Aufgezeichnet von Peter Schulz