Wie sieht der perfekte Kiez aus? Ein Spaziergang mit der Initiative „Gleimviertel für Alle“, die möglichst viel öffentliches Leben schaffen will.
„Wir machen den Kiez schöner!“, heißt es auf der Website der Initiative Gleimviertel für Alle. Aber was bedeutet das genau? An dem Samstagvormittag, an dem wir uns an der Brücke treffen, die die Sonnenburger mit der Schönfließer Straße verbindet, ist die Stimmung im Kiez noch verschlafen, kaum jemand ist auf der Straße. Auf dem Platz aber warten bereits Matthias, Sabine, Sören und sein Sohn Janosch, der im Kinderwagen mitfährt und so routiniert wirkt, als wäre er es gewohnt, dass der Papa Interviews gibt.
Matthias: Mit ihm kaufen wir uns die Herzen.
Sabine: Naja gut, es ist ja auch für ihn.
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Möglichst viel öffentliches Leben ermöglichen
Wir treffen uns nicht zufällig auf den Platz vor der Brücke. Denn die Initiative hat hier einiges vor, Sören hat sogar folierte Bilder mitgebracht. Darauf haben Sabine und ihr Mann die Ideen der Initiative skizziert.
Matthias: Der Platz hier ist ein gutes Beispiel für einen Ort im Kiez, wo es Ruheplätze geben sollte, an denen sich Menschen treffen können. Ein idealer Platz, den man umgestalten könnte. Wir als Initiative sind dabei, das voranzutreiben.
Sören: Genau, grundsätzlich ist die Idee: Möglichst viel öffentliches Leben zu ermöglichen. Dazu müssen wir Platz schaffen. Das größte Thema ist da das Auto. Wir haben hier einmal den ruhenden Verkehr – Autos, die unglaublich viel Platz wegnehmen – und die Straßen mit aktiven Verkehr. Das ist alles Fläche, die nicht für das Zusammenkommen der Nachbarschaft zur Verfügung steht. Der Kern unserer Änderungswünsche ist daher, dass man eben diesen Platz schafft und dafür auch Regeln ändert. So, dass auch Straßenstände und Straßenverkäufe möglich sind. Mein Vater ist 1941 in Berlin groß geworden. Der erzählt ganz anders von seiner Kindheit. Die haben damals viel auf den Straßen gespielt und in den Innenhöfen rumgetobt. Da spielte sich einfach mehr Leben auf Straßen und Plätzen ab. Dafür wollen wir wieder Vorraussetzungen schaffen, und dafür müssen Gesetze geändert werden.
Wie sieht Platz schaffen konkret aus?
Sören: Wir wollen die Autos hier rausnehmen und Sitzgelegenheiten mit Bänken hinstellen, auf denen man sich unentgeltlich aufhalten kann. Und vor allen Dingen wollen wir viel Grün. Das wird für das Stadtklima immer wichtiger, Stichwort Flächen entsiegeln; und es schluckt Geräusche, macht kühler und einfach gute Laune. Dieser Vorschlag wäre eigentlich ganz schnell realisierbar.
Sabine: Diese Nachbarschaftskultur ist wichtig. Und momentan wird es von außen nicht gefördert, dass man mal zusammenkommt und auch auf der Straße Zeit verbringt. Dazu ist es hier nicht angelegt.
Sören: Auch öffentliche Toiletten sind ein großes Thema. Wir haben jetzt zwar eine am Falkplatz, aber wenn man sich länger draußen aufhält, dann muss man einfach irgendwann. Dazu sollte man öfter die Gelegenheit haben und ich finde, dass man dazu Bezirksgelder frei machen sollte.
Die Umsetzung wäre einfach
Sicher ist: Der Platz wird in den kommenden Jahren umgestaltet. Aber nicht unbedingt, weil die Bezirksverwaltung auf die Ideen der Initiative eingeht, sondern weil die Brücke im Jahr 2024 erneuert werden soll. Auch dafür hat die Initiative Vorschläge, die Entwürfe sind sogar schon gezeichnet und einlaminiert worden, Sören zeigt sie mir.
Sören: Die Brücke hat jetzt schon eine soziale Funktion. Kinder stehen da und gucken sich die Züge an, Eltern trinken Kaffee. Aber leider ist sie ziemlich schmal und weil sie jetzt sowieso neu gebaut werden soll, haben wir einen Entwurf gestaltet, wie sie als öffentliche Fläche genutzt werden könnte. Wir wollen da einen Fuß- und Fahrradweg und daneben Sitzgelegenheiten, wie in einem kleinen Park. Die Angst, die viele Anwohner haben ist, dass da eine Autostraße hinkommt, weil es die Vorgabe gibt, dass Krankenwagen durchkommen sollen. Das finden wir ok, aber wir wollen bei der Planung auf jeden Fall ein Wörtchen mitreden.
Matthias: Auch beim Bezirk ist dieser Platz auf jeden Fall im Fokus. Man ist sich in der Politik also einig, dass dieser Platz umgestaltet werden soll. Aber es hapert an der Umsetzung, da geht es nur schleppend voran.
Sören: Wir reden hier teilweise darüber, fünf Schilder zu ändern. Wir haben denen schon eine Zusammenfassung gemacht, welches Verkehrszeichen wo hin muss und welche Formulare ausgefüllt werden müssen. Das ist nicht viel, aber sie machen es nicht.
Matthias: Genau, das ist ein Beispiel, wo die Umsetzung ganz leicht zu machen wäre. Aber es dauert einfach zu lange.
Sören: Da ist auch einfach wenig Vertrauen, dass die Bürger etwas machen. Das man sagt: Wir geben euch diese Fläche und lassen euch da ein paar Pflanzpötte hinsetzen.
Sabine: Es gibt oft einen bürokratischen Überbau mit unzähligen Vorschriften. Das bremst alles aus.
Nachbarschaftsgefühl wie in Frankreich
Die Initiative hat sich erst vor etwas über einem Jahr zusammengefunden. Heute gibt es schon einen stabilen Kern von circa 25 bis 30 Leuten. Ursprünglich hatte „Gleimviertel für Alle!“ einen klaren Verkehrshintergrund, die Fahrradstraße Gleimstraße galt als wichtiges Anliegen. Auch heute noch liegt der Fokus der Initiative auf Verkehrsthemen. Zusätzlich kann man sich aber auch vorstellen, Straßenfeste zu organisieren und das Leben im Kiez zu fördern.
Sabine: Man spricht immer von einer Anonymität der Großstadt und fragt sich: Wieso muss das so sein? Hier wohnen ja ganz viele Leute, die absolut bereit sind mit anderen in Kontakt zu treten. Aber aufgrund der Strukturen macht man es nicht, die Umgebung verhindert es ja eher. Kaum jemand setzt sich mal auf die Straße zum Lesen und sagt „Ich guck mal, ob jemand kommt“, wie es zum Beispiel in Frankreich üblich ist. Dort ist es normal, dass die Leute auf der Straße auf der Bank sitzen und dann kommen die Nachbarn und quatschen miteinander.
Sören: Hier gibt’s gar keine Bänke.
Sabine: Das sind ja wichtige gesellschaftliche Aktivitäten, die hier nicht stattfinden, weil es den Raum nicht gibt.
Positivbeispiel Kopenhagener Straße
Wir spazieren weiter zur Kopenhagener Straße, an der sich die Initiative orientieren will. Die Straße und das Nachbarschaftsleben gehe in die richtige Richtung. Auch tolerieren die zuständigen Ämter hier einiges, für das man sonst Sondergenehmigungen bräuchte. Kleine Holzbänke oder Pflanzen auf dem Bürgersteig zum Beispiel.
Matthias: Ich wünsche mir, dass es hier im Gleimkiez Plätze gibt, wo man sich treffen und austoben kann. Wichtig wäre, dass es nicht irgendwelche peniblen Verwaltungsmitglieder Bürgerinitiativen behindern und dann sagen, dass man um einen Baum keine Blumen planen darf.
Sören: Die Kopenhagener Straße ist da wirklich ein Positivbeispiel. Hier gibt es jetzt zum Beispiel neue Fahrradständer, die gerne genutzt werden. Dann haben die Nachbarn hier auf Eigeninitiative Bänke rausgestellt. Auch toll war, wie der Gleimtunnel 2019 für Bauarbeiten gesperrt war. Man glaubt gar nicht, was das für einen Unterschied gemacht hat. Es ist echt eine andere Welt auf der Gleimstraße, wenn hier nicht tausende Autos durchheizen.
Straßenverkäufer*innen auf der Gleimstraße
Sören: Die Gleimstraße ist ein riesiges Thema, weil sie ein sozialer Mittelpunkt sein könnte. In Asien etwa hat man überall Straßenverkäufer und Leben auf den Straßen. Hier geht es eigentlich nur um die Autos, die entlangfahren, für die Fußgänger gibt’s nur einen kleinen Bürgersteig. Was wir in der Gleimstraße brauchen, sind Lieferflächen und Zebrastreifen. Momentan gibt es da einfach viel zu wenig.
Matthias: Man merkt, die Autos hier fahren fast alle schneller als 30 Kilometer pro Stunde. Wenn sich alle Autos konsequent an das Tempolimit halten würden, wäre es schon ein Fortschritt.
Sabine: Dazu könnte man Bremsschwellen einbauen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das viel kostet.
Matthias: Aber die Gleimstraße ist immer noch eine Hauptstraße und auf dieser Art von Straßen sind solche Bremsschwellen nicht zugelassen. Das geht nur in Anwohner- oder Nebenstraßen.
Sören: Was ich richtig cool fände, sind Schrebergärten für die Gleimstraße. Also einfach kleine Parzellen, die man verlost und zur privaten Nutzung freigibt. Es ist gut, dass man Stadtgrün hat, aber es muss auch gepflegt werden. Mit diesem Vorschlag müsste dann nicht Grün Berlin oder das Bezirksamt übernehmen. Man könnte das an bestimmte Vorgaben knüpfen, sodass etwa kein Zaun um die Grünfläche gebaut werden darf. Auch das Bild wäre schön: Im Moment ermöglicht man ja jedem Autofahrer, für ein bisschen Geld diese Fläche zu nutzen. Genauso könnte man um den Preis auch Schrebergärten ermöglichen. Es ist hier auch nicht nur der fehlende Platz ein Problem. Man muss schauen, was man mit der Fläche macht und mitdenken, dass es ein gewisser Aufwand ist, so eine Fläche zu verwalten.
Brennpunkt Restaurants Onkel Ho und Best Friends
Wir sind an der Ecke angekommen, an der die Gleimstraße auf den Falkplatz stößt. Hier stehen Restaurants dicht aneinander, die Lage vor zwei Restaurants ist der Initiative besonders ein Dorn im Auge.
Sören: Hier ist in Brennpunkt. Diese Restaurants, die haben ein halbes Jahr lang ihre Tische draußen und Fußgänger können dann nur einen kleinen Streifen nutzen, um vorbeizugehen. Da müssten Parkplätze weg, damit Fußgänger vorbeigehen oder Tische dort stehen könnten. Die zweite große Sache ist der Lieferverkehr. Weil dieser häufig in der zweiten Reihe parkt, herrscht zu oft Chaos. Dann staut sich der Verkehr und für die Radfahrer ist das wirklich gefährlich. Wir brauchen also viel mehr Fllächen dafür. Von den 400 Parkplätzen hier wollen wir, dass die Hälfte umgewandelt wird. Und diese 200 neu gewonnenen Parkplätze wollen wir zu einem Drittel zu Lieferzonen machen, der Rest soll zu freien Sitzflächen werden. Es soll Platz für Toiletten und öffentliche Gewerbe geben. Wir wollen, dass die Gleimstraße zu einer sozialen Fläche wird. Es ist zu eng in der Stadt, dass wir es uns leisten können, dass jeder ein Auto abstellen kann.
Matthias: Ich bin etwas weniger Anti-Auto. Bevor ich sage, „Autos weg“ will ich ein Bild im Kopf haben, wie es stattdessen aussehen kann. Hier ist ein Beispiel einer Situation, wo ich sage: ja, hier in der Gleimstraße sollten alle Anwohnerparkplätze weg. In den anderen Straßen, wo keine Restaurants sind, können die Autos ruhig bleiben.
Titelbild: Sonja Koller