Corona

Augen zu und abwarten

von Julia Schmitz 21. Januar 2022

Trotz steigender Infektionszahlen herrscht in Berliner Schulen Präsenzpflicht, viele Eltern fühlen sich allein gelassen. Ein Gespräch mit der Vorsitzenden des Bezirkselternausschusses über die Lage in Pankow.


Fragt man Katja Ahrens nach ihrer Einschätzung der Situation in den Schulen, bekommt man erstmal ein Seufzen als Antwort. „Wir befinden uns in einer Gemengelage, die wie ein Strudel ist. Viele Entscheidungen der Senatsverwaltung verstehen wir nicht“, sagt die Vorsitzende des Bezirkselternausschuss (BEA) in Pankow. Zwar habe die Senatsverwaltung ein umfangreiches Regelwerk erstellt, wie die einzelnen Bildungseinrichtungen mit der Pandemie umgehen sollen; der Schwerpunkt liege vor allem auf Maskenpflicht und dreimal die Woche testen. Doch die Umsetzung sei vielerorts schwierig, vor allem in den Grundschulen des Bezirks, so Ahrens.

Und überhaupt, die Sache mit dem Testen: In die Anzahl der infizierten Kinder und Jugendlichen werden nur diejenigen eingerechnet, die vor Ort im Schulgebäude getestet wurden – nicht aber jene, die außerhalb der Schulzeit zwei Striche auf ihrem Schnelltest haben. Die Dunkelziffer Infizierter bis zum Stichtag 14. Januar liegt vermutlich also deutlich höher als die offizielle Anzahl von 438 Pankower Schüler*innen – welche aber als Grundlage für aktuelle Entscheidungen dient.

 

Sind die Schulen wirklich ein sicherer Ort?

Eine davon lautet deswegen weiterhin: Präsenzpflicht. Wer nicht zum Unterricht erscheint, bekommt unentschuldigte Fehlstunden vermerkt, Home-Schooling ist derzeit nicht erlaubt. „Angebote des schulisch angeleiteten Lernens zu Hause (saLzH) sind bei unentschuldigtem Fehlen nicht vorgesehen“, heißt es in den Senatsregeln. „Wenn man die Kinder schützen will, muss man aber auch über Wechselunterricht reden. So zu tun, als ob nichts wäre – das ist problematisch“, sagt Ahrens.

Immer wieder werde das Narrativ wiederholt, die Schulen seien ein sicherer Ort für die Kinder und die Ansteckung finde im privaten Bereich statt. „Aber das ist nicht glaubwürdig. Wir wünschen uns einen ehrlichen Umgang mit den Zahlen und dem Stufenplan, und das dieser auch angewendet wird.“ Die Inzidenz unter den Schüler*innen ist in den vergangenen Tagen sprunghaft angestiegen; in Spandau hat das Gesundheitsamt als erster Bezirk die Kontaktnachverfolgung sogar ganz eingestellt, in Pankow arbeitet es diesbezüglich seit langem am Limit.

 

Psychische Folgen beachten

Selbst bei einer Klassenstärke von 30 Schüler*innen sind diese mittlerweile oft spürbar ausgedünnt. Und dennoch gehen die Meinungen zur Aussetzung der Präsenzpflicht im Bezirkselternausschuss auseinander. Etlichen Eltern sitzt noch die lange Zeit der Schulschließungen in den Knochen. Und das nicht nur wegen der Doppelbelastung aus eigener Arbeit und der schulischen Betreuung: „Viele Kinder haben den Anschluss verloren, als die Schulen geschlossen waren“, sagt Ahrens. Daraus entstünden mitunter soziale und psychische Probleme, doch auf die werde nicht eingegangen. Was auch daran liege, dass Lehrer*innen dies nicht auch noch leisten könnten; es brauche zusätzliches Personal, darunter Psycholog*innen und Sozialarbeiter*innen, um die Kinder aufzufangen. „Es findet aber kein sensibler Umgang mit der Kinderseele statt. Die langfristigen Folgen davon werden wir noch lange aufarbeiten müssen“, ist Ahrens überzeugt.

Im Bezirkselternausschuss hat sich in den letzten Monaten Frustration und Resignation breit gemacht, weshalb dieser sich in dieser Woche – gemeinsam mit den Ausschüssen von zehn weiteren Berliner Bezirken – in einem offenen Brief an die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey und die Senatorin für Bildung, Jugend und Familie Astrid-Sabine Busse wandte. „Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Bildung. Genauso haben sie ein Recht darauf, so unterrichtet zu werden, dass davon keine Gefahr für ihre Gesundheit ausgeht. In der aktuellen politischen Kommunikation können wir jedoch nicht erkennen, dass hier sorgfältig abgewogen wird“, heißt es darin.

Sie fordern, dass die Leitlinien, die vom Robert-Koch-Institut (RKI) mit Expert*innen entwickelt wurden und bei Stufe ‚Grün‘ greifen, auch eingehalten werden; dazu gehören unter anderem der Wechselunterricht und flexible Unterrichtsmodelle. Auch sollen in den Schulen ausreichend Mund-Nasen-Bedeckungen für die Schüler*innen vorhanden sein und tägliche Tests angeboten werden.

Katja Ahrens ist die Erschöpfung anzumerken: „Es gibt so viele Dinge, die versäumt worden sind, die auch nach zwei Jahren Pandemie noch nicht funktionieren. Die Situation lässt nur den Gedanken zu: Augen schließen und abwarten.“

 

Titelbild: Marco Fileccia / Unsplash

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