Der Verein „Total Plural“ bekämpft Rassismus in Prenzlauer Berg. Dabei setzt er auf Kulturprojekte. Doch bei der Umsetzung werden die Beteiligten immer wieder mit Problemen konfrontiert.
Eine Person nach der anderen kommt in eine Wohnung. Einige von ihnen ziehen ihre Mütze aus. Ein paar gähnen. Plötzlich fragt einer: „Wer hat von meinem Tellerchen gegessen?“ Eine andere: „Wer hat von meinem Brötchen gegessen?“ „Wer hat von meinem Gemüschen gegessen?“ Nacheinander stellen alle eine Frage. Die Fragen sind bekannt. Denn das Märchen, aus denen sie stammen, ist ein Klassiker: „Schneewittchen und die sieben Zwerge“. Und dennoch ist die Szene aus einem Kurzfilm nicht für alle Menschen einfach nur eine Adaption. Denn das Schneewittchen ist Schwarz. Auch die Königin und Zwerge sind People of Color (POC).
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„Total Plural“ hat den Märchenklassiker der Gebrüder Grimm mit einem ausschließlich diversen Cast neu verfilmt. Der Verein habe dafür bewusst eine bekannte literarische Vorlage genutzt, deren Protagonist*innen in filmischen Adaptionen immer weiß besetzt seien, sagt Ulrike Düregger. Der Grund? „Um das mal umzudrehen und ein bisschen herauszufordern – aber eben ohne Zeigefinger“, erklärt sie und lacht verschmitzt. Die Regisseurin, Schauspielerin und Sängerin ist eine der Gründerinnen des Vereins. Regelmäßig setzt sie mit ihrem Verein diverse Kulturprojekte um. Damit möchte „Total Plural“ auf Rassismus aufmerksam machen. Vor allem aber möchten sie POC in ihrer Identität stärken. Diversität soll selbstverständlich werden.
Angefangen hat alles, als Düreggers Tochter drei Jahre alt war. Nach einer Probestunde Ballett sei sie geknickt herausgekommen. Und sagte: „Mama, ich will nicht mehr braun sein.“ Wenn Düregger über die Situation spricht, wird ihre Stimme lauter. Sie akzentuiert jedes Wort: Ihr Kind sei gerade drei Jahre alt gewesen. Kurzerhand entschließt sie sich, einen Treffpunkt für bi-kulturelle Familien ins Leben zu rufen. In den afro-deutschen Ateliers treffen sich seither Eltern mit ihren Kindern. Das Ziel sei es, alle in ihrer Identität zu bestärken. Nach einer vierjährigen Pilotphase gründeten sie schließlich 2008 offiziell einen Verein: „Total Plural“.
Seitdem führen Düregger, ihre Tochter Kalsoumy Balde und ihre Mitstreiter*innen Projekte durch. Mal sind es Diskussionsrunden, mal veranstalten sie ein Tanz-Theater, mal recherchieren Jugendliche unter dem Motto „Black Idols Berlin“ nach Schwarzen Persönlichkeiten, die in Berlin gewirkt und gelebt haben. Die Teilnehmenden sollen merken, dass sie nicht alleine sind. „Das sind so Themen, mit denen die Jugendlichen in der Schule nie in Kontakt kommen. Sie lernen in Geschichte was ganz anderes, als das, was auch mit ihrer eigenen Identität zu tun hat“, sagt Düregger.
Bildungsmauer im Kopf
Doch die Reaktionen auf die Projekte von „Total Plural“ fallen nicht immer positiv aus. Dass Düregger mit ihrem Verein offen rassistische Muster kritisiert und für alle die gleichen Rechte einfordert, scheint nicht jede Person zu verstehen. Als sie mit den afro-deutschen Ateliers begonnen habe, hätten Menschen ihre Idee hinterfragt. In Prenzlauer Berg gebe es doch gar nicht so viele Schwarze, habe ein Argument gelautet.
Auch Jahre nach der Gründung mache sie ähnliche Erfahrungen. Auf den ersten Blick scheine in Prenzlauer Berg eine liberale offene Gesellschaft zu leben. Doch gerade mit Akademiker*innen müsse sie viel diskutieren. „Die glauben, dass sie schon so viel Bildung haben, dass sie darüber erhaben sind. Sie sehen das nicht. Da ist einfach diese Bildungsmauer.“
Aber Rassismus sei etwas, das man mitfühlen müsse, um es zu begreifen. Das gehe nicht immer nur über die intellektuelle Ebene. Häufiger erzählten Menschen dann, dass sie schon viel gereist seien. „Ich war auch mal in Indien und da sind meine blonden Haare auch angefasst worden“, sagt Düregger mit verstellter Stimme und verdreht dabei die Augen. „Ja, aber Indien ist nicht deine Heimat“, ergänzt sie trocken.
Rassismus in Prenzlauer Berg
Ganz anders sei es nämlich, wenn beispielsweise ihre Tochter, die in Prenzlauer Berg geboren ist, auf Englisch in ihrem Kiez angesprochen werde. Nur weil sie eben Schwarz sei. Bei einem Spaziergang durch den Mauerpark erzählt sie, dass es an dem beliebten Ort immer wieder rassistische Vorfälle gebe. Einige ihrer Teamkollegen, die dort Capoeira machen, seien angegriffen worden.
Umso mehr ärgert es sie, dass im Bezirk alles immer unter dem Motto „Vielfalt in Pankow“ laufe. Ihr sei klar, dass das attraktiver sei. Doch man müsse sich das Problem anschauen und etwas dagegen tun. „Ich meckere jetzt schon seit zwei Jahren, dass wir so wenig Geld haben. Ich finde, der Bezirk hat veraltete Denkmuster. Es geht immer ums Beraten. Beratung, Beratung und Beratung“, kritisiert Düregger. Warum müsse immer nur die Community beraten werden, fragt sie. Diese brauche etwas anderes – Orte, an denen sie sich willkommen fühle.
„Total Plural“ möchte diese Orte ermöglichen. Das Filmset zu „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ sei nur einer gewesen. Gleichzeitig biete der Film Zuschauer*innen mit dem diversen Cast eine Identifikationsmöglichkeit. Solange das nicht Alltag ist, möchten Düregger und ihre Mitstreiter*innen weitermachen. Auch wenn es länger dauert.
Titelbild: Screenshot aus „Grimm heute – Diversität in unserer Zeit“ von Total Plural e.V.