Schon in ihrer Zeit als Dozentin hat sich Stephanie Wittenburg für die Chancengleichheit von Mann und Frau eingesetzt. Jetzt ist sie die neue Gleichstellungsbeauftragte von Pankow – und das mit Leidenschaft.
Dies ist ein Text aus unserer Reihe
„Famose Frauen aus Prenzlauer Berg“
Eine Frauenbeauftragte? Was macht die denn? Und überhaupt: Braucht man so etwas? Es waren solche Fragen, die Stephanie Wittenburg durch den Kopf schwirrten, als man ihr vor einigen Jahren anbot, sich ehrenamtlich für die Gleichberechtigung von Mann und Frau an der Technischen Universität Berlin einzusetzen. Wittenburg arbeitete damals als Dozentin an der Uni – und willigte schließlich ein. Es war das erste Mal, dass sie überhaupt beruflich mit dem Thema Gleichberechtigung in Berührung kam. Und es sollte nicht lange dauern, dass Wittenburg Antworten auf ihre Fragen fand: Ja, es braucht eine Frauenbeauftragte. Und zwar dringend.
Es ist ein Freitagnachmittag, drei Tage bevor an vielen Orten auf der Welt der internationale Frauentag begangen wird. Stephanie Wittenburg ist eben aus ihrem Büro im Pankower Rathaus gekommen, jetzt sitzt die Berlinerin auf einem Steinmäuerchen im Mauerpark und blinzelt in die letzten Sonnenstrahlen. Wittenburg erinnert sich gut an ihre erste Stelle als Frauenbeauftragte an der Uni. Damals begleitete sie vor allem die Bewerbungs- und Einstellungsverfahren von neuen Mitarbeiter*innen – und stellte schnell fest: Es gibt unzählige bewusste, aber auch unbewusste Mechanismen, die sich im Hintergrund abspielen und ganz einfach zum Alltag gehören. Wittenburg berichtet von Stellenausschreibungen, die von vornherein eher auf männliche Bewerber zugeschnitten waren, von Vorgesetzten, die weibliche Bewerber trotz hervorragender Qualifikationen für ungeeignet befanden. Aber auch von weiblichen Kollegen, die offen aussprachen, dass sie sich einen Mann für eine Stelle wünschen.
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Ihr Job ist für viele ein Reizthema
„Wir brauchen jemanden, der Fahrer ist und das Ganze lenkt – aber keinen Beifahrer, sprich: keine Frau” – ist eine dieser Aussagen, die sich bei Wittenburg eingebrannt haben. Wittenburgs Aufgabe bestand darin, eben jene Mechanismen aufzubrechen – indem sie mit den Verantwortlichen über ihr Verhalten redet. „Da trifft man auf viel Unverständnis, teilweise aber auch auf Einsicht”, sagt sie. „Alle, die sich in dieses Amt verirren, sind mit Wiederständen und Konfrontation beschäftigt”. Allerdings sei sie auch nicht Frauenbeauftragte geworden, um neue Freundschaften zu schließen. „Ich kämpfe im Grunde dafür, dass dieses Amt abgeschafft wird – indem es überflüssig wird. Ich würde mir eine Welt wünschen, in der Frauen- und Integrationsbeauftragte nicht mehr nötig sind”.
Warum sie überhaupt steht, wo sie jetzt steht, hat sich Stephanie Wittenburg selbst häufig gefragt. Persönliche Erfahrungen jedenfalls haben nicht den Anstoß gegeben: In ihrer eigenen beruflichen Laufbahn, die mit einem Studium im Fach Landschaftsplanung begann, hat sie sich nie von männlichen Kollegen oder Vorgesetzten ungerecht behandelt gefühlt. „Meine eigene Theorie ist: Ich habe immer viel gelesen und mich mit diversen Themen auf der ganzen Welt beschäftigt. Wenn man das macht, trifft man automatisch auf das Thema Ungerechtigkeit und wird eher dafür sensibilisiert. Seit meiner Kindheit treibt mich ein starkes Gerechtigkeitsgefühl an. Vielleicht ist das der Grund.”
Männer in Führungspositionen: Nicht nur alte Rollenmodelle sind Schuld
Als Ungerechtigkeit betrachtet die gebürtige Berlinerin zum Beispiel, dass vor allem in der Wissenschaft mit steigender Karrierestufe immer weniger Frauen die gut bezahlten oberen Posten besetzen – obwohl zunächst sogar mehr Frauen als Männer das Abitur abschließen und studieren – auch die Stellen der wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen sind zu gleichen Teilen von Männern und Frauen besetzt. Professoren werden dann jedoch vor allem die Männer. Aber warum ist das so?
„Ich glaube nicht, dass Frauen weniger Antrieb haben. Die Rahmenbedingungen sind einfach häufig einfach unattraktiv für Frauen”, meint Wittenburg. Männerdominierte Abteilungen oder Stellenausschreibungen, die sehr fordernd formuliert sind, würden Frauen häufig abschrecken. „Männer fühlen sich häufiger von solchen Ausschreibungen angesprochen, weil sie sich alles darin zutrauen. Viele Frauen dagegen ziehen sich zurück, sobald sie zwei, drei Anforderungen nicht erfüllen. Die meisten Männer bewerben sich trotzdem – vielleicht weil sie mehr Selbstbewusstsein haben.”
In einer Ausschreibung ganz klar zu sagen: Bewerben Sie sich, wenn Sie mehr als 60 Prozent unserer Anforderungen erfüllen, findet Wittenburg zum Beispiel eine gute Möglichkeit, auch eher zögerliche Bewerber*innen anzusprechen. Weiterhin – aber eben nicht nur – spiele auch der Spagat zwischen Karriere und Familie mit hinein, den nach wie vor viele Frauen hinlegen. Männer würden dadurch oft einfach mehr Ressourcen mitbringen für einen Job und zum Beispiel eine 100-Prozent-Stelle eher annehmen.
Eine Frage des Alters?
Wittenburg glaubt schon, dass sich aktuell vieles verändert und Unternehmen teilweise von sich aus umdenken – weil sie genau wissen, dass zum Beispiel gemischte Teams produktiver arbeiten. Viele andere Firmen hätten es aber noch nicht begriffen und setzen nach wie vor eine Ziel-Frauenquote von Null Prozent an. Wittenburg reagiert auf ihre Weise darauf – zum Beispiel, indem sie ihr Fahrradschloss nicht mehr bei Abus kauft, wie sie erzählt – weil das Familienunternehmen vehement auf seinen patriarchalen Strukturen beharrt und beispielsweise für die Frauen aus der Gründerfamilie kein Platz in Spitzenpositionen ist. „Ich möchte das dann nicht mit meiner Investition noch unterstützen”, sagt sie.
Immer wieder drängt sich in der Debatte um die Gleichstellung von Mann und Frau die Frage auf: Wird sich nicht automatisch alles bessern, sobald ein Generationenwechsel stattfindet? Nicht zwangsläufig, meint die Gleichstellungsbeauftragte. „Wenn man sagt, die Jungen werden das schon richten, gibt man ein bisschen die Verantwortung ab. Ich denke, dass es viel mit der Sozialisierung zu tun hat, mit welcher Erziehung und welchen Denkmustern jeder einzelne Mensch aufgewachsen ist.“ Aber auch schon in vorherigen Generationen seien Emanzipation und Gleichberechtigung erklärte Ziele gewesen. „In den 1960er Jahren beispielsweise waren die Frauen sehr viel aktivistischer als heute”.
Wittenburg glaubt: Engagiert sein können alle, alte wie junge Menschen. Das erlebe sie immer wieder, und vor allem jetzt, in ihrem jüngst angetretenen Job als Gleichstellungsbeauftragte für Pankow. „Der Bezirk hat eine unglaubliche Breite und Dichte an Trägereinrichtungen, Vereinen, Organisationen und Aktionen”. Deren Arbeit publik zu machen und mehr Bürgerinnen dazu zu bewegen, sich an eine Beratungsstelle oder einen Verein zu wenden, sobald sie wegen ihres Geschlechts benachteiligt oder diskriminiert werden, wird für die nächsten Monate, Jahre oder sogar Jahrzehnte Wittenburgs Job sein.
Sie liebt es, sich neue Ideen auszudenken
„Es geht zu wie im Taubenschlag, jeder Tag ist anders”, berichtet die Berlinerin. „Und das ist das Schöne. Man ist viel näher an den Bürger*innen dran, und es kommt nie Eintönigkeit auf”. Wittenburg sieht sich selbst als „eine Art Verteilerin”. Dauernd würden bei ihr Informationen und Pressemitteilungen einlaufen, die sie dann weiterleitet oder als Gelegenheit nimmt, verschiedene Vereine mit Beiräten, anderen Organisationen oder den Bezirksverordneten zu verknüpfen, um neue Projekte und Arbeitsgruppen entstehen zu lassen. Zwischendrin liest sie viel, informiert sich über Missstände oder Themen wie häusliche Gewalt.
Konkrete Pläne hat Wittenburg für den Bezirk noch nicht entwickelt. „Ich bin momentan noch in der Beobachtungs- und Zuhörphase”. Es klingt fast ein bisschen wissenschaftlich, wenn sie über ihre ersten Wochen im Rathaus spricht: Es gehe erst mal darum, eine Bestandsaufnahme zu machen und die Daten zu analysieren, sagt sie. Erst könne man neue Lösungen entwickeln. „Aber so weit bin ich noch nicht.”
Die nötige Motivation bringt Wittenburg dafür doppelt und dreifach mit. Sie liebe es, sich neue Ideen auszudenken. Und ein paar Ziele hat sie sich doch schon auf die Agenda geschrieben: „Ich würde mich gern stärker mit Aktivistinnen vernetzen und sie in unsere Arbeit einbinden. Auch habe ich mich immer sehr für marginalisierte Gruppen interessiert, beispielsweise für Frauen mit Behinderung. Es geht darum, in den Austausch zu treten und sie und ihre Bedürfnisse sichtbar zu machen.”
Durch den Mauerpark pfeift inzwischen ein kalter Wind, und die Nachmittagssonne macht der Dämmerung Platz. Man begibt sich langsam auf den Rückweg, Wittenburg muss nach Friedrichshain, wo sie seit 20 Jahren wohnt. „Haben Sie ‚Moxie‘ schon gesehen?”, fragt die sie noch, während man an der Straße wartet. „Kann ich nur empfehlen, der Film ist großartig”. Wieder ist da dieser aufgeweckte Blick in den Augen der Bezirksmitarbeiterin, die begeistert erzählt: Von einer Gruppe jugendlicher Mädchen, die in die elfte Klasse gehen und gegen den Sexismus in ihrer High-School kämpfen. „So etwas ist einfach toll”.
Titelfoto: Mona Linke