Friedhof

Leben und ruhen lassen

von Christian K. L. Fischer 18. Dezember 2020

Als ein Café am Zugang des Friedhofs an der Greifswalder Straße eröffnet wurde, staunten viele nicht schlecht. Geht das zusammen – Kaffeekultur, Mittagessen und Totenruhe? Doch es stellte sich heraus, dass sich diesem Friedhof ganz andere Fragen stellen.


„Negatives haben wir nicht gehört“, stellt Olaf Bartenstein klar, als wir uns vor dem neuen Friedhofscafé treffen. Er ist Verwalter des Kirchhofs I. der Evangelischen Georgen-Parochialgemeinde. „Wir versprechen uns davon, dass wir für den Friedhof Interesse wecken können. Dass die Menschen sich mehr mit dem Tod und ihrer Sterblichkeit befassen. Und der Frage, wo sie vielleicht selbst einmal beigesetzt werden wollen.“ Das Lokal „Nonna & Co“, vor einigen Monaten eröffnet, soll bewusst Menschen ansprechen, die dort keine Angehörigen haben, und gleichzeitig Raum bieten für alle, die an diesem Ort jemanden begraben mussten. „Dass sie den Sonntagsnachmittagskaffee in der Nähe ihrer Lieben trinken können. Es ist ja nicht das erste Café, das auf einem Friedhof eröffnet. Schon in der Bergmannstraße in Kreuzberg wurde das ja geübt.“

Auch Dr. Jörg Kuhn, wissenschaftlicher Mitarbeiter für Kunstgeschichte und Denkmalpflege des Ev. Friedhofsverbands Berlin Stadtmitte, der mich gemeinsam mit Olaf Bartenstein begleitet, sieht grundsätzlich kein Problem in einem gastronomischen Angebot an einem solchen Ort: „Ich erzähle gerne, dass das Essen am Grab eine lange Tradition hat. Das gibt es in vielen Kulturen. Im antiken Rom konnte man sogar Öl und Wein in die Gräber gießen, damit die Verstorbenen symbolisch an dem kleinen Festmahl teilnehmen.“

Die Herausforderung, Sichtbarkeit zu schaffen, stellt sich für viele Friedhöfe der Stadt, denn die Bestattungskultur hat sich in Deutschland seit Mitte des letzten Jahrhunderts grundsätzlich gewandelt. „Früher, vor 60, 70 Jahren, war hier ein Hügel neben dem anderen belegt. Durch den Wandel hin zur Urnenbestattung wird erheblich weniger Platz benötigt – das sorgt für freie Flächen“, erklärt Bartenstein. Andere Faktoren, die zu der geringen Auslastung beitragen, sind alternative Bestattungsmöglichkeiten wie die Seebestattung oder Friedwälder. „Und dass die Krankenkassen seit 2004 kein Sterbegeld mehr auszahlen“, sagt Dr. Kuhn. Allein das ein Kulturwandel. „Das Grab als Statussymbol gibt es kaum noch.“
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Friedhof

Das neue Café auf dem Friedhof Greifswalder Straße / Foto: Christian L.K. Fischer

 

Geschichte und Geschichten

Der Friedhof der Georgen-Parochialgemeinde gehört nicht zu den prominentesten der Stadt, obwohl er einer der traditionsreichsten ist. Er wurde 1814 angelegt, für zwei sehr alte Gemeinden: Die Georgengemeinde, die 1272 mit dem Georgenhospital gegründet wurde, und die Parochialgemeinde, eine barocke Gründung aus dem 17. Jahrhundert. „Das ist hier auch keine klassische Touristengegend“, muss Dr. Kuhn feststellen. „Wir haben wenige überregional bekannte Persönlichkeiten hier, eher lokale Größen wie die Familie Pintsch, mit einem der größten Gräber überhaupt auf Berliner Friedhöfen, einem griechischen Tempel.“

Jeder, der die Straße Prenzlauer Berg schon einmal entlang gekommen ist, wird die Säulen, am Rand des Friedhofs kennen. „Nur einen wirklich Berühmten haben wir: Karl Kühne, von der Kühne Essigfabrik.“ Genau: der mit dem Senf und den Gewürzgurken. „Irgendwann ist alles nach Hamburg gezogen, aber der Gründer dieser berühmten Firma, ein königlich-preußischer Hoflieferant, liegt hier.“ Allerdings, darauf weist Olaf Bartenstein mit Bedauern hin, ist das einfache Grab leider für niemanden erkennbar. „Da steht einfach Kühne drauf. Ein Allerweltsname.“

 

Friedhof als Naherholungsgebiet

Gerade für diesen Friedhof haben viele der aktuellen Probleme in den Jahren der DDR ihre Wurzeln. Nicht nur aufgrund des praktisch staatlich geforderten Atheismus. „1970 hat der Magistrat von Berlin diesen Friedhof geschlossen, rechtswidrig, kann man sagen. Langfristig hatte man wohl gehofft, ihn als Bauland nutzen zu können. Die traditionelle Bindung zum Grab ist damals, auch durch diese lange Schließung, verschwunden. Und nicht mehr wiedergekommen“, so Dr. Kuhn. Doch es gibt noch einen weiteren wichtigen Faktor, der gerade für einen Bezirk wie Prenzlauer Berg einschneidend wirkt: Die Bindung an einen solchen Ort ist durch die hohe Mobilität heute nicht mehr gegeben. Durch Verdrängung, Umzug und den Zuzug vieler Menschen und Familien, die zu diesem Friedhof keinen Bezug haben und deren Verwandte in ihrer Heimat begraben sind, wird dieser Ort von vielen, wenn überhaupt, als Naherholungsgebiet genutzt.

„Wir finden es nicht schlecht, dass er so wahrgenommen wird“, betont Bartenstein, „aber für diese Funktion bekommen wir keine Gelder. Und die Einnahmen, die wir aus den Grabstellengebühren beziehen, dürfen wir nicht für die Pflege der freien Flächen nutzen.“ Zumindest ist dieser Friedhof ein eingetragenes Gartendenkmal und bekommt gezielt Geld von der Denkmalförderung. „Aber im Verhältnis zum Wiederherstellungsbedarf sind die zur Verfügung stehenden Summen zu gering“ “, gesteht wiederum Dr. Kuhn ein. „Und obwohl Naherholung hier wirklich gern gesehen ist – es ist trotzdem kein Sportplatz für Fahrradfahrer oder Jogger. Unsere Hauptaufgabe bleibt die Beisetzung. Das beinhaltet eine gewisse Vorstellung von Würde. Wir sind gesetzlich zum Schutz der Totenruhe verpflichtet.“ Die Verwaltung hofft deswegen darauf, dass die Besucher sich ganz von selbst entsprechend verhalten. „90 Prozent tun es, zehn Prozent wissen nicht, wie man sich benimmt“, stellt Bartenstein trocken fest. Allerdings bleibt außer dem Hoffen auf den Anstand der Gäste auch keine Alternative: „Einen Wachdienst oder Aufseher – das ist finanziell und personell nicht möglich.“

Friedhof

Der Essigfabrikant ist die berühmteste Person auf dem Friedhof / Foto: Christian L.K. Fischer

 

Paten gesucht

Da wirkt es zunächst paradox, dass die Friedhöfe mehr Besucher anziehen wollen. Doch „je mehr Menschen hier beisetzen und dadurch erdtief verankert sind, desto mehr passen hier auch mit auf“ – erklärt Dr. Kuhn. Bartenstein: „Das ist soziale Kontrolle. Aber bei den verhältnismäßig geringen Beisetzungen, die wir auf diesem großen Friedhof haben …“ Es bleibt eine Gratwanderung, die gerade in diesem Jahr auf die Probe gestellt wurde. „Als die Spielplätze geschlossen waren, hatten wir auch vermehrt Familien mit Kindern auf den Friedhöfen. Die meisten haben sich tadellos verhalten – aber einige hatten auch ihre Buddelkastenutensielen dabei und haben wirklich angefangen zu buddeln“, berichtet Dr. Kuhn kopfschüttelnd.

Ein weiteres Mittel, um den Friedhof wieder in das Leben der Bevölkerung zu bringen, sind Patenschaften, die man für Gräber übernehmen kann, um die erhaltens- und denkmalswerten historischen Grabmale vor dem Verfall zu schützen, da auch Gelder für die Instandhaltung nicht ausreichend vorhanden sind. „Ein wunderbares Beispiel, gleich hier vorne, die Trauernde“, sagt Olaf Bartenstein und verweist auf einen große weißen Stein mit einer weiblichen Figur. „Sie war in einem fürchterlichen Zustand. Aber da ist jemand, der macht sich um seinen Tod Gedanken. Er hat die Patenschaft übernommen und eine ordentliche Summe in die Hand genommen, um das Grab in Ordnung zu bringen. Er will sich hier beisetzen lassen.“ I

m Katalog „Unter jedem Grabmal eine Weltgeschichte“ werden 100 solcher Grabmale in kleinen Exposés vorgestellt. Dort wird ihre Geschichte erklärt, über die – soweit bekannt – Künstler informiert, darüber, was dargestellt ist und welche Materialien verwendet wurden. „Das spricht die Leute an“, erklärt Dr. Kuhn. „Dieser Typ der trauernden Frau war um 1900 der Knaller – das wollten alle haben. Diese Trauerfiguren, die lange als Gipfel des Kitsches galten, werden heute wieder gut stark verstanden.“

So hoffen sie, auch dieses Angebot in die Welt tragen zu können, um die Probleme dieses Ortes zu dämpfen. Und sie sind auf einem guten Weg. „Dieser Friedhof ist auf der Schwelle, wieder ein bekannter Ort zu werden“, stellt Dr. Kuhn fest. „Wir versuchen ihn aber immer weiter und noch mehr in das Bewusstsein der Bevölkerung zu bringen. Und dabei leistet auch dieses kleine Café einen Beitrag.“

 

Titelbild: Christian K. L. Fischer

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