Einmal ohne Hemmung in einer fremden Badewanne liegen: Das Ensemble „mysharedspace“ hat für die Schaubude eine begehbare Installation zwischen Voyeurismus und Sinnlichkeit entwickelt.
„Hallo Julia, du Wesen mit elfenhafter Figur. Hmm, du riechst gut“, höre ich eine weiche Stimme flüstern, als ich die efeuberankte Eingangstür öffne und über eine Treppe in eine kleine Küche gelange. In einer Spüle weicht benutztes Geschirr ein, auf dem kleinen Holztisch liegen Postkarten und Notizen, die beigefarben gestrichene Anrichte aus den 50er Jahre ist mit Weckgläsern gefüllt.
Ich fühle mich wie ein Eindringling – und gleichzeitig wie zu Hause. Und das soll ich auch: „Ich freue mich auf unser Date“, hatte es in einem Brief der Gastgeberin geheißen, der mir im Foyer des Theaters ausgehändigt wurde, „Komm doch schon mal rein und schau dir alles von innen an. Ich werde nicht da sein, bin aber überall. […] Getränke findest du im Kühlschrank und nimm gerne ein Bad zur Entspannung.“
Tatsächlich wartet im Kühlschrank eine kleine, mit meinem Namen beschriftete Flasche Sekt auf mich und ich überlege, es mir für einen Moment in der mit Kissen ausgelegten Badewanne gemütlich zu machen. Aber bin ich hier wirklich allein? Kann eine Wohnung Anwesenheit speichern und ausstrahlen, auch wenn die Bewohnerin nicht da ist? Aus allen Ecken der verwunschenen Wohnung raschelt und flüstert es; ich lausche, taste und rieche mich durch die Räumlichkeiten und fühle mich wie Alice auf ihrer abenteuerlichen Erkundungstour durch das Wunderland hinter den Spiegeln.
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Alles streng vertraulich
Dass es sich hier um die Wohnung einer Frau handelt, die sich zwischenmenschlich und vor allem sexuell auslebt, wird schnell deutlich. Immer wieder erzählen kleine Soundstationen von ihren Erlebnissen mit Männern, die von erotisch über skurril bis hin zu höchst rätselhaft eine ganze Bandbreite abdecken. Und tatsächlich basiert die Installation der Kostüm- und Bühnenbildnerin Larissa Jenne auf ihren jahrelangen Erfahrungen mit Couchsurfing und Online-Dating, das viele Gelegenheitsbekanntschaften, aber auch dauerhafte Beziehungen nach sich zog.
Zusammen mit dem Ensemble, bestehend aus der Regisseurin und Performerin Christina Schelhas, der Figurenspielerin Emilia Giertler, der Kostümbildnerin Salomé Klein und dem Video- und Soundkünstler Alexander Hector entwickelte sie die Kunstfigur, zu der die Wohnung gehört, sowie die scheinbar lebendig gewordenen Puppen, welche die Besucher*innen immer wieder in intime Gespräche verwickeln. Was dabei herauskommt, ist nicht nur höchst individuell, sondern auch streng vertraulich: Alles was im #mysharedplace passiert, bleibt auch dort – ähnlich wie bei den „Zimmerreisen“, die ein Kulturverein aus Prenzlauer Berg regelmäßig organisiert, hier allerdings in echten Wohnungen.
Mit der Vorliebe, die Wohnungen fremder Menschen anzuschauen, bin ich also nicht allein. Aber wann hat man schon die Möglichkeit, sich mal so richtig ausführlich umzusehen? Als ich die ruhige, sinnliche Atmosphäre der Installation hinter mir lasse und in die Sonne auf der Greifswalder Straße blinzle, erfasst mich eine Art Melancholie. Ich wäre gerne noch geblieben.
#mysharedspace in der Schaubude läuft noch bis zum 22. August 2020
Bild oben: 1:10 Modell der Installation © Larissa Jenne / Annika Hellmuth