Im September beginnt die neue und wahrscheinlich ungewöhnlichste Spielzeit der Berliner Theater. Wie sich zwei Spielstätten in Prenzlauer Berg auf den Betrieb mit strengen Hygieneregeln einstellen.
Anne Brammen hat an diesem Morgen offensichtlich sehr gute Laune. Nach monatelanger Zwangspause startet das Ballhaus Ost am 18. September in die neue Spielzeit, zeitlich und inhaltlich genau nach Plan – und doch unter ganz anderen Bedingungen, als man sich bei der Entwicklung des Programms Anfang des Jahres vorgestellt hatte.
In den vergangenen Wochen musste ein umfangreiches Konzept ausgearbeitet werden, das die im Zuge der Corona-Prävention erforderlichen Hygienemaßnahmen einschließt und trotzdem einen reibungslosen Spielbetrieb ermöglicht: Statt hundert Personen, die unter normalen Bedingungen in den Saal gelassen werden, sind jetzt nur noch 28 Menschen erlaubt – vorausgesetzt, sie kommen in Paaren. „Bei einer Einzelplatzbestuhlung dürfen sogar nur 14 Zuschauer gleichzeitig im Raum sein“, so Brammen. Sollte sich das Wetter halten, kann außerdem die Bar in den Innenhof verlegt werden.
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Drei Meter Abstand zwischen Bühne und Publikum
Was anderen Institutionen aufgrund der finanziellen Einbußen durch die Reduzierung der Zuschauer womöglich das Genick brechen würde, sieht man im Hinterhoftheater an der Pappelallee dank Förderung durch den Senat gelassen. Dafür war bei den Inhalten ein Umdenken vonnöten: „Wir sind insgesamt sehr eingeschränkt, was unsere Projekte angeht: Normalerweise experimentieren wir stark mit dem Raum, der uns zur Verfügung steht. Wir können zum Beispiel die Tribüne abbauen und den Schauspieler*innen die Möglichkeit geben, die gesamte Fläche zu nutzen und mit dem Publikum zu interagieren. Das geht jetzt alles gar nicht mehr – wir werden nur noch frontal spielen.“ Drei Meter Abstand müssen zwischen den Schauspieler*innen auf der Bühne und dem Publikum gewährleistet sein.
Auf die beiden Stücke, die den Auftakt der Saison bilden, hat das aber erstmal keinen Einfluss. „On HeLa – The Colour of Cells“ ist eine Solo-Tanzperformance von Christoph Winkler, aufgeführt von Lois Alexander, die auf der Geschichte der HeLa-Zellen – den Krebszellen der 1951 an Gebärmutterhalskrebs verstorbenen Afroamerikanerin Henrietta Lacks, die noch heute für die Forschung genutzt werden – basiert und am 18. September Premiere feiert. Auch bei „Name her – Eine Suche nach den Frauen+“ von Marie Schleef, das ab dem 25. September gezeigt wird, befindet sich nur eine Person auf der Bühne – allerdings gleich acht Stunden lang in vier einzeln buchbaren Blöcken.
„Anfangs hatten wir Angst, dass mit den ganzen Regeln keiner mehr kommt“, sagt Brammen. „Aber das denke ich mittlerweile gar nicht mehr. Die Menschen werden den Theatern wahrscheinlich die Bude einrennen, sie dürsten nach Kultur!“
„Wir wollten ein Lebenszeichen geben“
Im Pfefferberg Theater sieht man der neuen Spielzeit dagegen mit etwas gemischteren Gefühlen entgegen. Seit dem 20. August hat die Spielstätte an der Schönhauser Allee wieder geöffnet und zeigt mit Housch-ma-Housch die Show eines Solisten – und zwar über einen längeren Zeitraum, als es in einer normalen Saison eigentlich der Fall ist. „Der Kartenverkauf läuft bisher aber eher schleppend“, erzählt Christine Ritter und fügt hinzu: „Manchmal ist es finanziell besser, ein Theater weiterhin geschlossen zu lassen, anstatt es zu öffnen. Aber wir wollten ein Lebenszeichen geben.“ Anders als im Ballhaus Ost wird das Pfefferberg Theater nicht öffentlich bezuschusst und finanziert sich allein über den Verkauf von Tickets und der angedockten Gastronomie – beides wird allerdings noch eine ganze Weile sehr eingeschränkt stattfinden können.
Das Hygienekonzept des Berliner Senats erforderte also auch am Pfefferberg ein radikales Umdenken. Anstatt der für gewöhnlich 230 vorhandenen Plätze können nur noch 66 vergeben werden, der Einlass wird über zwei Türen geregelt und es werden nur Stücke und Lesungen mit einer maximalen Länge von anderthalb Stunden in das Programm aufgenommen. Bei der Planung fühlt sich Ritter vom Gesundheitsamt alleine gelassen. Eigentlich müsse doch jemand vorbeikommen, der die Situation vor Ort prüft und die Hygienemaßnahmen mit dem Theater individuell ausarbeitet, findet sie. Doch es sei nicht leicht, überhaupt jemand beim Amt zu erreichen.
Und was passiert mit der beliebten Märchenhütte, die sonst im Winter mit mehreren Aufführungen pro Tag stattfindet? „Die Hygienemaßnahmen wären bei dem kleinen Raum nicht umsetzbar“, so Ritter. Je nach Lage plane man aber, andere Produktionen zu verschieben, um den Geschichten von Rapunzel, Rotkäppchen und Rumpelstilzchen Platz einzuräumen. Den Mut hat man auf dem Pfefferberg auf jeden Fall noch nicht verloren.