Seit zwanzig Jahren arbeitet Georg Barber – alias „Atak“ – als Comiczeichner. Wie er und sein Zeichenstil sich seit 1991 veränderten, kann man jetzt dank eines opulent bebilderten Bandes nachvollziehen.
Es gibt Leute, die nennen Georg Barber den Floristen unter den Comiczeichnern. Die erzählen sich, er würde oft stundenlang im Blumengarten seiner Mutter sitzen, nachdenken, Flora und Fauna betrachten, zur Ruhe kommen. Und dann zeichnen.
Die belgische Kinderbuchillustratorin Goele Dewanckel zum Beispiel sagt das, in ihrem Beitrag zu Barbers Werk-Retrospektive „Meanwhile.“ Sie kennt ihn gut, seitdem sie an der Hogeschool Sint-Lucas in Gent mit ihm zusammenarbeitete, dort hatte Barber 2006 eine Professur für Illustration inne. Für „Meanwhile“ verfasste Dewanckel nun eine sehr persönliche Lobeshymne über Barber – überschrieben mit „Cher Georg“, unterschrieben mit „je t‘embrasse.“ Begeistert beschreibt sie darin, wie sie den 1967 in Frankfurt/Oder geborenen Zeichner damals kennen lernte – mitsamt all der Blumen, Palmen, der Trolle, Tims und Popeyes, Eisvögel und kulleräugigen Eulen, die sein Werk bevölkern. Und sie lässt keinen Zweifel daran, wie rundum wunderbar sie ihren Kollegen und sein mitunter sehr florales Werk bis heute findet.
Ein kluger drahthaariger Maulwurf
Auch in weiteren Beiträgen des Bandes wird Barber gepriesen und den zärtlichsten Vergleichen unterzogen: Nadia Budde zum Beispiel findet, er ähnle einem „klugen drahthaarigen Maulwurf“. Und wenn Matti Hagelberg schreibt: „Wenn Georg ein Tier wäre, wäre er ein Bär“, so hat er zweifellos denselben „großen Knuddelbär mit grau meliertem Haar“ im Sinn, als den der TV-Sender Arte Barber unlängst in einem ebenfalls höchst freundlichen Beitrag würdigte.
Es wurde ja auch wirklich mal Zeit, dass jemand diesem Georg Barber – beziehungsweise Atak, wie er sich als Künstler nennt – eine so durch und durch lobhudelnde, sein Gesamtwerk abfeiernde, hymnische Publikation angedeihen lässt, wie es der Zürcher Verlag Walde & Graf mit dem „Meanwhile“-Band tut. Das Buch erscheint begleitend zu einer Werkschau, die Barber auf dem diesjährigen Fumetto-Comicfestival in Luzern gewidmet war, und die 2011 unter anderem noch in Troisdorf bei Köln und in Paris zu sehen sein wird. In Berlin nicht, was auch Atak schade findet. Nicht nur, weil er schließlich in Berlin-Prenzlauer Berg wohnt (in der Husemannstraße) und arbeitet (in der Gleimstraße). Sondern vor allem, weil Buch und Schau eine umfassende, bilanzierende Retrospektive seiner bisherigen Arbeit liefern – als Zeichner, Illustrator und Künstler. Im Mittelpunkt stehen dabei weniger seine Comics als die freien Arbeiten, die bislang vor allem in Museen und Galerien gezeigt wurden.
Ein Silberrücken unter Deutschland Zeichnern
Ein richtiges, echtes Coffeetable-Book also: „Atak – works from 1991 to 2011“ heißt es im Untertitel. Das klingt verdammt amtlich. Nach einem, der angekommen ist, der sich etabliert hat. Dessen Bedeutung so unumstritten ist, dass es sich bereits jetzt lohnt, auf seine Anfänge zurückzuschauen. Und tatsächlich gehört Atak ja längst zu den den arrivierten, den (um bei den Tiervergleichen zu bleiben) Silberrücken unter Deutschlands Zeichnern. Als Illustrationsprofessor etwa wirkte er nicht nur in Belgien, sondern 2007 auch an der HfG Offenbach. Und an der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften gingen zwischen 2002 und 2004 etliche jüngere Zeichner bei ihm in die Lehre, die sich inzwischen selbst einen Namen gemacht haben: Line Hoven, Sascha Hommer, Arne Bellstorf. Derzeit lehrt Barber an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule in Halle.
Fast wirkt er selbst ein bisschen erstaunt darüber, dass er nicht mehr so recht als der „junge Wilde“ durchgeht, der er mal war. Schon allein die Tatsache, dass er sich überhaupt mit Comics befasste, war schließlich eine Provokation in jenem Staat, in dem er bis zu seinem 22. Lebensjahr lebte. Sein achtjähriger Sohn könne sich das heute gar nicht mehr vorstellen, erzählt Barber: Dass er als Jugendlicher nicht einfach zum Kiosk gehen und „Lucky Luke“ kaufen konnte. „Es gab in der DDR eigentlich nur einen Comic, „Mosaik“. Aber um den lesen zu können, musste man schon jemand kennen, der beim Kiosk arbeitete.“ Gottlob brachten West-Tanten und -Omas gelegentlich ein „Lustiges Taschenbuch“ über die Grenze. Die francobelgische Comictradition lernte Barber teilweise auch in der Ost-Berliner Filiale des Institut Francais unter den Linden kennen. Und 1989 gehörte er dann selbst zu den Gründern eines Comic-Fanzines, „Renate“, aus dem die gleichnamige, bis heute einzige Comicbibliothek in Deutschland hervorging.
Skelette mit Titten und Second-Hand-Penisse
Was Barber in seinen ersten Jahren als Comiczeichner zeichnerisch so anstellte, davon jedenfalls berichtet Auge Lorenz in seinem „Meanwhile“-Beitrag. „Skelette mit Titten“ soll er damals gezeichnet, und „nihilistische Beziehungsdramen um Second-Hand-Penisse verfasst“ haben. Er war halt ein Punk. Uns erzählt Barber in seinem Atelier in der Gleimstraße, dass er damals unbedingt als „der Toilettensprayer von Berlin“ in die Geschichte eingehen wollte. Mit Hilfe von Schablonen verzierte er nachts Restaurant-Klos, die er natürlich nicht mit seinem bürgerlichen Namen signieren konnte. Da erinnerte er sich an eine Band, in der er mal gespielt hatte („Industrial Noise, so was wie Einstürzende Neubauten. Wir hatten aber nur drei Auftritte.“). Die Band hieß Atak.
Viele seiner älteren Bilder wirken düsterer, ernster, angestrengter als seine heutigen Arbeiten. Vom Medium Comic entfernt er sich zusehends, zugunsten der Kinderbuchillustration – durch fertige Storyboards und Plots fühle er sich künstlerisch zu eingeengt, wie er sagt. Der hübsche Titel „Florist unter den Comiczeichnern“ passt aber noch immer gut zu ihm, schließlich lugt auch in den jüngeren Arbeiten hier und da noch ein Tintin oder Popeye hinter einer Palme hervor. All die abgründigen kleinen Gemeinheiten, grinsenden Totenköpfe, Skelette und Monsterchen, von denen es in seinen Bildern ebenfalls wimmelt, sind in der Bezeichnung „Florist“ natürlich nicht angemessen erfasst. Aber wer weiß: Vielleicht birgt ja auch dieser Beruf Überraschungen, von denen man als Laie gemeinhin nichts ahnt.
Meanwhile … Atak – works from 1991 to 2011. Walde & Graf, Zürich 2011, 127 Seiten, 24,95 Euro.