Keine Besuche erlaubt

von Sarah Schaefer 9. April 2020

Von Briefen, Skype und selbst genähtem Mundschutz: Wie ein Seniorenheim in Prenzlauer Berg den Alltag während der Corona-Pandemie organisiert.


Petra Roth-Steiner (mittig im Bild) ist die Leiterin des Pflegedienstes im Seniorenheim St. Elisabeth-Stift in der Eberswalder Straße. „Die größte Angst unserer Mitarbeiter*innen ist es, dass sie Überträger sein könnten“, sagt sie.  Bislang gebe es keinen Corona-Fall in der Einrichtung. Wir haben mit Roth-Steiner darüber gesprochen, wie sich das Leben im Seniorenheim verändert hat, wie die Bewohner*innen damit umgehen, dass sie keinen Besuch mehr bekommen dürfen und worüber sie sich in diesen Tagen freut.

 

Aufgrund der Corona-Pandemie ist der Alltag in Seniorenheimen stark eingeschränkt. Wie hat sich Ihre Arbeit verändert?

Es ist natürlich alles anders als sonst. Wir haben zum Beispiel intern einen kleinen Corona-Krisenstab gebildet, der die Mitarbeiter*innen jeden Tag mit den wichtigsten Informationen versorgt. Im Umgang mit den Bewohner*innen ist die wohl größte Veränderung, dass wir jetzt noch stärker zu Bezugspersonen geworden sind. Denn in den Pflegeeinrichtungen sind keine Besuche mehr erlaubt, die Bewohner*innen vermissen ihre Angehörigen. Viele sind sehr traurig darüber und haben mehr Redebedarf. Wir versuchen, dem gerecht zu werden.

 

Wie organisieren Sie die Versorgung der Bewohner*innen?

In der Pflege läuft alles weitgehend so weiter wie bisher. Wir müssen ja die Versorgung sicherstellen, auch wenn man dabei den vorgeschriebenen Abstand nicht einhalten kann. Das Betreuungsteam hat die Gruppenangebote wie Sport oder Singen ausgesetzt und kümmert sich jetzt einzeln um jeden Bewohner. Eine wichtige Aufgabe ist nun, gemeinsam mit den Bewohner*innen Briefe an die Angehörigen zu schreiben und Telefonate zu organisieren, um den Kontakt zu halten. Ein Angehöriger hat angeboten, ein Tablet zur Verfügung zu stellen, das die Bewohner*innen zum Skypen nutzen können.

 

Wie geht es den Bewohner*innen damit, dass sie keinen Besuch mehr bekommen dürfen?

Viele haben absolutes Verständnis dafür. Ich bemerke oft, dass sie sich weniger um sich selbst sorgen als um ihre Angehörigen draußen. Manche sagen: „Ich bin doch sowieso schon so alt.“ Bei uns leben auch Bewohner*innen mit kognitiven Einschränkungen, die die Situation nicht begreifen können. Man merkt ihnen an, dass sie unruhig sind, weil sie keinen Besuch mehr bekommen und nicht verstehen, woran das liegt. Auch hier versuchen wir, Telefonate möglich zu machen. Es ist im Übrigen nicht nur für die Bewohner*innen und ihre Angehörigen eine schwierige Situation: Wir haben auch viele Ehrenamtliche, die jetzt nicht mehr zu Besuch kommen dürfen.

 

Ist Ihre Schutzausrüstung ausreichend?

Es ist im Moment wahnsinnig schwierig, Schutzkleidung zu organisieren. Viele Lieferanten können derzeit nicht liefern, alles wird teurer. Um die Bestellungen müssen wir uns zum Glück nicht selbst kümmern, das übernimmt die Stephanus-Stiftung, der unser Seniorenheim angehört. Handschuhe haben wir sowieso schon immer benutzt, da sind auch ausreichend vorhanden. Als Mundschutz verwenden wir Masken, die einige unserer Mitarbeiter*innen nach Feierabend nähen.

 

Nach allem, was man derzeit weiß, schützen selbst genähte Masken nur andere, nicht die Träger selbst.

Keiner unserer Bewohner*innen zeigt bislang Symptome. Wir gehen davon aus, dass niemand von ihnen infiziert ist. Die größte Angst unserer Mitarbeiter*innen ist, dass sie Überträger sein könnten. Deshalb beschränken sie sich auch in ihrem Privatleben so gut es geht. Das ist natürlich eine Doppelbelastung. Denn meine Kolleginnen und Kollegen haben dadurch auch nach Feierabend nicht die Möglichkeit, abzuschalten. Das ist in unserem Beruf aber sehr wichtig. Immerhin: Wir gelten als systemrelevant, das heißt, wer Kinder hat, kann sie in die Notbetreuung geben. Das hat zum Glück reibungslos geklappt.

 

Das Land Berlin erlaubt, dass Menschen in Pflegeheimen unter bestimmten Voraussetzungen einmal am Tag von einer Person für eine Stunde Besuch empfangen dürfen. Mit einem generellen Besuchsverbot gehen Sie in Ihrer Einrichtung darüber hinaus.

Wir haben die Angehörigen angeschrieben und darum gebeten, von Besuchen abzusehen. Es gibt aber eine absolute Ausnahme: Wenn ein Mensch im Sterben liegt, darf er Besuch bekommen. Wir wissen, dass das in den letzten Tagen oder Stunden eines Lebens für beide Seiten unglaublich wichtig ist. Der Besucher oder die Besucherin muss aber allein kommen und einen Mundschutz tragen.

 

Gibt es ein schönes Erlebnis in den vergangenen Wochen, das Ihnen in Erinnerung geblieben ist?

Was ich total schön finde, ist der Einsatz unserer Auszubildenden. Sie gehen für gewöhnlich an zwei Tagen in der Woche in die Pflegeschule. Die ist nun geschlossen, weshalb sie angeboten haben, im normalen Schichtplan mitzuarbeiten. Einer der beiden, Matteo Tabacchini, stammt aus Norditalien. Er hat Familienmitglieder in Bergamo, die mit Corona infiziert sind. Ich finde es sehr rührend, dass er und seine Kollegin ohne Zögern eingesprungen sind.

 

Bild oben: Petra Roth-Steiner (Mitte) mit den Auszubildenden Nilufer Duvencioglu (links) und Matteo Tabacchini © Stephanus-Stiftung

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