Früher verkaufte Heiko Timo Kienbaum Eigentumswohnungen im Rheinland. Heute ist er Pfarrer und engagiert sich bei den Pankower Linken – auch für Milieuschutz. Porträt eines Systemwechslers.
„Ist das, was ich mache, im Sinne der Mehrheit? Wenn alle das machen würden, ginge es den meisten Menschen in der Gesellschaft besser oder nur wenigen?“ Mit diesen Fragen ging damals alles los, erzählt Heiko Timo Kienbaum. Kurz nach neun an einem Donnerstagmorgen bestellt der 38-Jährige einen Flat White im Godshot in der Immanuelkirchstraße. Der Name passe ja ganz gut zu ihm, dem Pfarrer – kleiner Scherz am Rande.
Früher Millionär, heute Pfarrer
Damals, das war 2013, und was der gelernte Finanzfachwirt machte, war: Wohnungen aufkaufen, aus Versteigerungen, wo es Erbstreitigkeiten oder Geldprobleme gab, sie sanieren und als Eigentumswohnungen weiter verkaufen. Kienbaum war das, was viele einen Immobilienhai nennen würden.
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Die Antwort auf die Fragen des Bauunternehmers an sich selbst lautete „Nein“. Das war der Anfang einer grundlegenden Veränderung im Leben des Familienvaters. „Innerhalb von sechs Monaten ist das gesamte Geschäft eingebrochen und ich habe alles verloren“, erinnert sich Kienbaum. Er sei wohl unvorsichtig geworden, habe Dinge übersehen, Fehler gemacht. Die Zweifel hätten für ihn, der sich generell auf Sinnsuche befand, wohl den Rest erledigt. Der einstige Vermögensmillionär stand schließlich vor dem finanziellen Ruin. „Wir saßen fast auf der Straße“, sagt Kienbaum. Ein Freund habe ausgeholfen und ihm trotz Schufa-Eintrag seine Wohnung vermietet. Kienbaum hängte das Dasein als Immobilienunternehmer an den Nagel und fing an, Theologie und Psychologie zu studieren.
Auch das Parteibuch gewechselt
Heute ist Kienbaum Pfarrer in einer freikirchlichen Gemeinde in Friedrichshain, lebt mit seiner Familie in Weißensee. Aus seinen Erfahrungen hat er mit einem Freund zusammen die Veranstaltung „Das große Scheitern“ gegründet, bei der Menschen regelmäßig im Bötzowkiez von ihren persönlichen Misserfolgen berichten.
„Damit es den meisten Menschen besser geht, müssen wir manchmal auch das einzelne Streben nach Erfolg minimieren.“ So lautet das Fazit von Kienbaums Sinnes- und Lebenswandel. Religiöse und politische Weltanschauung lassen sich für den gebürtigen Kölner unmöglich trennen. Auch das Parteibuch hat der dreifache Vater gewechselt, von der FDP zu den Linken. Als Bürgerdeputierter sitzt er im Ausschuss für Bürgerdienste in der Pankower Bezirksverordnetenversammlung (BVV). Manchmal engagiert sich Kienbaum auch für den Milieuschutz: Als sein Vermieter vor einiger Zeit teure Fenster einbauen und damit die Mieten erhöhen wollte, erwirkte er mithilfe der Erhaltungsordnung einen Baustopp und handelte gemeinsam mit seinen Nachbarn einen Deal mit seinem Vermieter aus.
Mietendeckel als Denkanstoß
Dass Kienbaums Glaubenssatz, im Sinne der Mehrheit zu handeln, auch auf das Feld der Wohnungspolitik tiefgreifende Auswirkungen hat, liegt auf der Hand. Der frühere Immobilienunternehmer unterstützt den geplanten Mietendeckel. „Er ist die logische Konsequenz aus der aktuellen Situation heraus“, sagt Kienbaum. Allerdings sei das Gesetz entweder falsch kommuniziert oder falsch verstanden worden: „Der Mietendeckel löst kein Problem, das muss von Vornherein klar sein!“ Das einzige, was er leisten könne sei, kurzfristig die Beschwerden zu lindern. Den eigentlichen Zweck sieht Kienbaum aber darin, eine bundesweite Diskussion anzustoßen: „Wie können wir uns eine Immobilienwirtschaft vorstellen, die den meisten Menschen dient?“
Kienbaums Antwort mag für marktwirtschaftlich geprägte Ohren radikal klingen: „Mieteigentum gehört wenn überhaupt, dann nur stark begrenzt in private Hände.“ Der Mensch sei nun mal kein altruistisches Wesen, sondern handele immer vordergründig zum eigenen Vorteil. Also müsse dieses Erfolgsstreben mit Regeln begrenzt werden. „Eine Idee wären Obergrenzen für Wohneigentum“. Jede und jeder dürfte dann eine festgelegte Anzahl von Quadratmetern besitzen und über die Art der Nutzung frei entscheiden.
Einen Vorwurf könne man der Immobilienwirtschaft nicht machen, findet Kienbaum: „Unternehmen handeln proaktiv und finden Wege, die in einem System erlaubt sind – die Politik reagiert immer nur.“ Das müsse sich in Sachen Wohnungspolitik dringend ändern. Als früherer Unternehmer verstehe er den Unmut der Vermieter und Investoren sehr gut: Sie fühlten sich unfair behandelt, weil mitten im Spiel plötzlich die Spielregeln verändert wurden. „Der Punkt ist nur, es ist kein Spiel und niemand hat vorher die Regeln festgelegt“, sagt Kienbaum. Natürlich dürfe der Staat in den Wettbewerb der Kräfte auf dem Markt eingreifen. „In der freien Wirtschaft gibt es kein Recht darauf, dass die Regeln immer gleich bleiben.“
(Titelfoto: Sarah Schaefer)
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Der Berliner Mietendeckel ist umstritten. Anfang der Woche gingen Wirtschaftsverbände gegen das von Rot-Rot-Grün geplante Gesetz auf die Straße. Auch uns haben in jüngster Zeit viele Nachrichten von Menschen erreicht, denen in der Diskussion um die Mietpreise die Perspektive der Vermieter*innen und Investor*innen zu kurz kommt. In unserem Themenschwerpunkt sprechen wir darum mit unterschiedlichen Beteiligten über ihre Sicht auf die Berliner Mietenpolitik.
Teil 1: Der Mietendeckel aus Sicht eines Vermieters
Teil 2: „Die Vermieter fühlen sich wie Kriminelle behandelt“
Teil 3: Experiment Vorkauf