Labystan

„Liebe futsch, Revolution vorbei, Spaghetti kalt“

von Julia Schmitz 22. Oktober 2019

Flugblätter drucken in der Krypta: Die Ausstellung „Labystan“ in der Zionskirche blickt zurück auf die DDR-Opposition vom Herbst 1989 – und zeigt, wie viel Sprengkraft in Kunst stecken kann.


Dies ist ein Text aus unserer Reihe
„Mauerfall revisited“


Wer zu DDR-Zeiten mit Kritik am System ein breiteres Publikum erreichen wollte, der musste mit besonderer Vorsicht vorgehen: Weil es von staatlicher Seite nicht erlaubt war, eigenmächtig Flugblätter zu drucken, zogen sich die Oppositionellen dafür in geschützte Räume zurück. Einer davon war das Gemeindehaus der Zionskirche.

Hier wurde 1986 im Keller die Umwelt-Bibliothek gegründet, die für Ausstellungen und konspirative Diskussionsrunden genutzt wurde. Außerdem befand sich dort die einzige nicht staatlich kontrollierte Druckerei des Landes, in der unter anderem die „Umweltblätter“ produziert wurden – diese wurden in den folgenden Jahren zur wichtigsten Stimme der DDR-Opposition und zum Nährboden für die Friedliche Revolution.

Dreißig Jahre später sind einige der Protagonisten an den Ort des politischen Umbruchs zurückgekehrt: Mit Collagen, Installationen, Videos und Fotografien wurden sie eingebunden in das titelgebende „Labystan“ der Konzeptkünstler Reinhard Zabka und Juliane Vowinckel, einem Phantasiestaat mit eigenem Manifest und eigener Verfassung. Zabka war in den 1980er Jahren Teil der Künstlerszene von Prenzlauer Berg; als er wiederholt keine Ausstellungsgenehmigung erhielt, begann er, seine Arbeiten zu zersägen und in expressionistisch wirkenden Installationen neu zusammenzusetzen.

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Labystan

Das „Orchestrion“ von Reinhard Zabka / Foto: Julia Schmitz

 

Eine davon ist das „Orchestrion“, das im Eingangsbereich der Zionskirche alle Aufmerksamkeit auf sich zieht: Inmitten eines Sammelsuriums aus Holzplanken, Vogelkäfigen, Unterhemden und Spielfiguren blinkt, rattert, flattert und scheppert es. „Überholen ohne einzuholen“ steht in geschwungener Schrift auf einem Stück Holz und zitiert damit einen der bekanntesten Sprüche Walter Ulbrichts, der bis heute nichts an Absurdität verloren hat.

 

Die Macht der Worte

Mit Sprache und Wortspielen arbeiteten auch die Mail-Art-Künstler*innen, deren Arbeiten auf der Empore ausgestellt sind. Postkarten von Lutz Wohlrab und Robert Rehfeldt sowie von Josef W. Huber und Karla Sachse – letztere ist Initiatorin des umfangreichen Interview-Projektes „Aufbruch 1989 – Erinnern 2019“ – illustrieren, auf welchem schmalen Grat zwischen künstlerischer Freiheit und strafbarer Regimekritik Künstler*innen in der DDR wanderten.

So musste Martin Hoffmann zum Beispiel auf einen Trick zurückgreifen: Um seine Plakate, die auf Umweltverschmutzung durch Abgase und Braunkohleabbau hinweisen, unter die Leute bringen zu können, markierte er sie als „Originalgrafik“ – Grafiken durften nämlich mit einer Auflage bis hundert Stück gedruckt werden. Während die Bilder von Hoffmann heutzutage fast harmlos wirken, entfaltet die Aktion von Ellen Steger erst im Rückblick auf die DDR ihre volle Kraft: Sie ließ Besucher den Namen von Mauertoten auf eine Papierrolle schreiben. Diese zieht sich mittlerweile von der Empore hinunter bis zwischen die Bänke im Kirchenschiff.

 

Labystan

Die Ausstellung ist auf die gesamte Zionskirche verteilt / Foto: Julia Schmitz

 

Was ist heute noch übrig von den Aktionen der DDR-Opposition, wie viel Kraft beinhalten die künstlerischen Arbeiten, wenn sie nicht mehr auf Dachböden oder in Kellerräume verbannt, sondern offen ausgestellt werden dürfen? „Liebe Futsch, Revolution vorbei, Spaghetti kalt“, wie es als Motto der Ausstellung auf großen Spruchbändern steht? Im Fall von „Labystan“, für das bewusst die Zionskirche als historischer Ort des Widerstands ausgesucht wurde, ist das Subversive aus der Zeit der Friedlichen Revolution weiterhin spürbar.

Auch wenn manche Arbeiten dreißig Jahre später aus dem Kontext gerissen wirken oder etwas Staub angesetzt haben: Sie machen deutlich, was für ein schützenswertes Gut die freie Meinungsäußerung ist, welche Macht Worte haben können – und das man weder Augen, Ohren noch Mund vor gesellschaftlichen Missständen verschließen darf.

 

Die Ausstellung „Labystan“ ist noch bis zum 9. November 2019 in der Zionskirche zu sehen. Geöffnet ist Mittwoch bis Samstag von 13 bis 18 Uhr sowie Sonntag von 12-16 Uhr.

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