Sie hat es wieder getan: Nach Bodentiefe Fenster legt Anke Stelling mit Schäfchen im Trockenen einen neuen Prenzlauer Berg-Roman vor – und wurde dafür mit dem Preis der Leipziger Buchmesse 2019 ausgezeichnet.
Regelmäßig sind wir in Prenzlauer Berg mit dem Verkauf von Wohnhäusern konfrontiert, mit damit einhergehenden Luxussanierungen und horrenden Mietpreissteigerungen. Familien müssen sich nach einer neuen Bleibe umsehen und sich dabei oft mit dem Gedanken anfreunden: Innerhalb des S-Bahn-Rings oder gar in Prenzlauer Berg selbst wird das wohl schwierig.
Auch Resi, die Erzählerin in Anke Stellings Roman Schäfchen im Trockenen, ihr Mann und ihre vier Kinder sehen sich mit dieser Problematik konfrontiert. Doch die ist nicht auf profitgierige Immobilienhaie zurückzuführen, sondern hausgemacht: Weil Resi, die als Journalistin und Autorin arbeitet, ein ironisch unterfüttertes Buch über das Bauprojekt ihres Freundeskreises – ein pastellfarbenes Wohnhaus in Prenzlauer Berg, die „K23“, ziemlich sicher mit bodentiefen Fenstern – geschrieben hat, wendet sich dieser von ihr ab. Blöd nur, dass sie bisher in der alten Wohnung ihres Freundes Frank wohnten, der ihnen nun ohne persönliches Gespräch die Kündigung vor die Nase legt. Was nun?
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Der Traum ist aus
Resi verfällt in eine Art sarkastische Schockstarre und nutzt die ihr verbleibende Zeit anstatt für die Wohnungssuche für eine lange Erklärung an ihre älteste Tochter Bea. Denn eigentlich, so erklärt sie, hätten sie das damals alles „ganz anders“ als ihre Eltern machen wollen:
„War nicht unser Traum ein anderer gewesen? Ein Haus zu besetzen, anstatt zu besitzen? Anders zu leben, zusammen zu leben? Anders zusammen zu leben?“
Wild zusammengewürfelte Kommunen mit basisdemokratischen Entscheidungsfindungen wollte man, nun leben alle Freund*innen aus Schul- und Studienzeit in Kleinfamilien zusammen und diskutieren statt über Politik über die Farbe der Küchenfliesen. Letztendlich ist auch Resi nicht davor geschützt, in manchen Dingen in die Fußstapfen ihrer Mutter zu treten, auch sie will „nur das Beste“ für ihre Kinder und stellt ihre eigenen Bedürfnisse zurück. Jetzt steht das alles auf der Kippe. „Der Traum ist aus“, sangen Ton Steine Scherben einst passend dazu.
Ihre traurige bis wütende Rechtfertigungsschrift an ihre Tochter wirkt wie eine Warnung, ihr das nicht nachzumachen: Du hast alle Möglichkeiten der Welt, mein Kind, geh‘ deinen eigenen Weg! Gleichzeitig versucht sie ihr bewusst zu machen, dass dieser Weg nicht leicht wird, die soziale Herkunft eine wichtige Rolle spielt – und die ist bei Resi und ihrem Mann, einem Künstler, momentan eher prekär. Mit dem drohenden Auszug aus der Wohnung – über der Situation hängt der Begriff „Marzahn“ wie ein Damoklesschwert – wäre in ihren Augen der weitere soziale Abstieg verbunden.
Gesamtgesellschaftliche Anklage
Nach Bodentiefe Fenster hat Anke Stelling mit Schäfchen im Trockenen erneut das Baugruppen-Milieu in Prenzlauer Berg gewählt, wobei der Roman auch in anderen Städten funktionieren könnte. Diesmal allerdings schaut die Erzählerin nicht aus den bodentiefen Fenstern heraus, sie bleibt die Außenstehende, die Geächtete in ihrem ehemaligen Freundeskreis und wird höchstens auf den Einweihungsparties mit Sekt und Häppchen noch geduldet. Anders als die Hauptfigur Sandra aus dem ersten Roman stammt Resi nicht aus dem antiautoritären und studierten Umfeld der 68er-Generation, sondern aus einer Arbeiterfamilie. Sie musste sich herauskämpfen aus ihrer Herkunft, um dort zu sein, wo sie jetzt ist – weshalb sie es mit Händen und Füßen verteidigt.
Der Roman ist also weniger eine ironische Abrechnung mit der florierenden Mittelschicht des Stadtteils, sondern eine Anklage gegen die gesamte Gesellschaft, in der man angeblich alles erreichen, aber ebenso schnell herausfallen kann, wenn man nicht mitspielt; so wie es Resi passiert, weil sie ihre Meinung nicht hinter einem falschen, mit teurem Lippenstift bemalten Lächeln zurückhält. Schäfchen im Trockenen ist ein wütendes, verzweifeltes, schonungsloses und gelegentlich auch etwas redundantes Pamphlet einer Mutter, die „nur das Beste“ für ihre Kinder möchte – ohne dabei ihre eigenen Werte verraten zu müssen.
Anke Stelling
Schäfchen im Trockenen
Verbrecher Verlag, 2019
Gebunden, 272 Seiten, 22,- Euro