Pankows Bürgermeister Sören Benn (Linke)

„Mir rutscht nicht mehr jedes Mal das Herz in die Hose.“

von Anja Mia Neumann 18. März 2019

Halbzeit. Bürgermeister Benn zieht Bilanz. Was er bisher gelernt hat, was ihn stresst und wie die Verwaltung künftig mit Problemen von Pankowern umgehen soll.


Es ist genau zweieinhalb Jahre her: Am 18. September 2016 wählten die Pankower*innen ihre neue Bezirksverordnetenversammlung. Samt Machtwechsel im Rathaus. Wo vorher der SPD-Mann Matthias Köhne saß, zog Sören Benn von der Linken ein.

Die Prenzlauer Berg Nachrichten haben ihn an seinem Arbeitsplatz getroffen. Zum Auftakt unserer Interviewreihe wird es persönlich: Es geht um Benns Alltag, seine bewegendsten Momente im Amt und sein Herzensthema – die neue Bürgerbeteiligung. Dabei spricht er auch über das Bauprojekt in der Michelangelostraße.

 

Herr Benn was machen Sie eigentlich den ganzen Tag?

„Das fragen mich meine Kinder auch. Viel Aktenstudium, Post und Besprechungsrunden. Eine Menge Dokumente wandern über meinen Tisch: kleine Anfragen aus der BVV und Personalangelegenheiten, die ich unterschreiben muss. Etwa die Hälfte meiner Zeit bin ich im Bürgermeisterbüro. Sonst habe ich viele Sitzungen: mit dem Bezirksamt jeden Dienstag, dem Rat der Berliner Bürgermeister, dem Aufsichtsrat der BIM, dem RBB-Rundfunkrat, Abgeordnetenhausausschüsse, Treffen der Kita-Eigenbetriebe. Unregelmäßige Termine wie der Runde Tisch Mauerpark oder die Taskforce Obdachlosigkeit kommen noch dazu.“

 

Und Termine, bei denen Sie lächeln und mit Bratwurst und Bier dabei stehen?

„Natürlich gehe ich auch zu Festen, spreche Grußworte und mache Vor-Ort-Termine.“

 

Wie viel arbeiten Sie denn?

„60 bis 70 Stunden arbeite ich in der Woche. Aber der eigentliche Stressfaktor ist nicht die Zeit, sondern sind die vielen verschiedenen Themen, das Themen-Hopping. Um Zusammenhänge zu verstehen, muss ich mich einlesen. Wenn ich diskutieren will, muss ich mich genauso gut auskennen wie die Verwaltung.“

 

Wenn Sie zurückblicken: Was waren Ihre drei wichtigsten Momente in Ihrer ersten Halbzeit als Bürgermeister?

„Der erste wichtige Moment war der Abend meiner Wahl in der BVV. Es war sehr berührend, weil meine Familie und meine Kinder dabei waren. Aber auch, weil es nicht Teil meiner Lebensplanung war, Bürgermeister von Pankow zu werden.“

 

Dann ist es doch so gekommen. Welcher Moment hat Sie inhaltlich geprägt?

„Eine Schlüsselerfahrung für mich war es, das Strandbad Weißensee am Abwassernetz zu halten. Das war 2017. Damals habe ich viele Telefonate geführt und letztlich etwas für meine Zukunft als Bürgermeister gelernt. Nämlich, dass man mit einer bestimmten Sensibilität und Penetranz in Prozesse eingreifen und die Dinge in die eine oder andere Richtung bewegen kann.“

 

Und drittens?

„Als verantwortlicher Politiker in Bürgerversammlungen zu sein und dort zu agieren. Das war erst mal ungewohnt. Inzwischen ist es gute Routine geworden. Mir rutscht nicht mehr jedes Mal das Herz in die Hose. Bei einem meiner ersten Bürgertreffen ging es um die Errichtung eines Flüchtlingswohnheims auf der Elisabethaue. Ich habe mich nur reingesetzt und Mäuschen gespielt. Die Anwohner haben es hinbekommen, eine strukturierte Diskussion zu führen ohne die Aufteilung in Volksverräter und Volk. Obwohl es eine hochemotionalisierte Situation war. Das hat mich tief beeindruckt. Es gibt genug vernünftige Leute, die einfach informiert und einbezogen sein wollen.“

 

Das passt zu einem Ihrer ersten Ziele nach Ihrer Wahl 2016. Damals haben Sie mehr Bürgernähe und Bürgerbeteiligung versprochen. Ist Ihnen die gelungen?

„Wir sind dabei. Wir haben ein Büro für Bürgerbeteiligung eingerichtet, mit vier Leuten an Bord. Wir haben aber keinen Zeit- und Maßnahmeplan. Wir wollen dort andocken, wo es Problemlagen gibt oder wo wir angefragt werden. Ein erster Schritt sind die neuen Ortsteilkonferenzen, erst in Rosenthal, dann in Weißensee. Die Anwohner und Anwohnerinnen erzählen von ihren Problemen, die Verwaltung hört erst mal nur zu. Ein anderes neues Format ist ein Gespräch: Die zivilgesellschaftlichen Akteure setzen sich mit dem Bürgerbeteiligungsbüro zusammen und schauen, wo es brennt und was getan werden kann. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen Guides durch die Verwaltung sein.“

 

Bislang beschweren sich viele Bürger*innen, dass sie sich vom Amt nicht ernst genommen fühlen …

„Auch in den Ämtern soll sich das Denken ändern. Anmerkungen von Bürgerinnen und Bürgern sollen nicht mehr nur als Mehrarbeit, als Belästigung oder als unqualifiziertes Einmischen wahrgenommen werden. Sondern als Impuls für das eigene Handeln.“

 

Was können Sie denn an Anregungen tatsächlich aufnehmen? Bremst viel Bürgerbeteiligung nicht auch die Weiterentwicklung eines Bezirks?

„Mit Demokratie dauern die Dinge einfach länger. Wir können nicht versprechen, alles brav abzuarbeiten. Bürgerbeteiligung ist nicht Bürgerentscheid. Das ist auch nicht unser Ziel.“

 

Sondern?

„Stattdessen ist unser Ziel, einen permanenten Austausch von Bürgerinnen und Bürgern und Verwaltung zu etablieren. Wir wollen Bürgerbeteiligung nicht erst, wenn irgendwo ein fettes Problem auftaucht. Wir als Bezirksamt wollen lernen, das Gras wachsen zu hören. Die Bürger und Bürgerinnen sollen der Verwaltung beim Denken zugucken können. Dadurch entsteht ein anderes Verständnis, warum Sachen teilweise so lange dauern.“

 

Wie beim Bauprojekt in der Michelangelostraße, bei dem es seit vier Jahren Diskussionen mit Anwohner*innen gibt und erst 2028 gebaut werden soll?

„Das hat nichts mit einer öden Verwaltung zu tun. Wir haben nun mal ein Planungsrecht in Deutschland mit Abwägungen, die getroffen werden müssen, mit gutachterlichen Untersuchungen, die vorher gemacht werden müssen, mit Fristen für Stellungnahmen, die es geben muss. Das geht immer alles nacheinander. Ich würde es mir zwar anders wünschen: sternförmig und gleichzeitig zum Beispiel. Aber ich möchte gern vorher Planungen vertiefen durch Bürgerbeteiligungen. Wir haben im Grunde in der Michelangelostraße noch mal neu angefangen, weil die Situation so festgefahren war. Jetzt nach zwei Jahren gibt es einen mehrheitsfähigen Vorschlag, der nun ins Bebauungsplanverfahren gehen kann. Es muss aber noch die Straße verlegt werden, und das wird es in die Länge ziehen. Wenn man den Anwohnern früher gesagt hätte, vor 2028 passiert hier ohnehin nichts, hätte man eine völlig andere Ausgangslage für einen Dialog gehabt.“

 

Worüber Sören Benn und die Prenzlauer Berg Nachrichten noch gesprochen haben: den Thälmann-Park, die Schulbauoffensive, den Fahrradverkehr, die AfD und Benns Vorhaben für die zweite Halbzeit im Amt – folgt in Teil II und Teil III des Interviews.

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