Wie erleben Touristen unseren Stadtteil? Ein Gespräch über mangelnde Geschichtskenntnisse, Umzugspläne und die wilden 80er Jahre.
Schon in den 90er Jahren hat Stadtführer Bernhard Römhild mit seinem Taxi Touristinnen und Touristen durch Prenzlauer Berg kutschiert. Ebenso lang arbeitet er als Guide und führt regelmäßig Schulklassen und Reisegruppen durch den Stadtteil. Wir treffen uns am Wasserturm, und Römhild beginnt auf der Stelle mit einem Kurzvortrag über dessen Geschichte – der Wasserturm ist ein fester Bestandteil seiner Führungen. Wenn seine Zuhörerinnen und Zuhörer zu wenig über Geschichte wissen, könne er auch schon mal „oberlehrerhaft“ werden, sagt er.
Herr Römhild, wissen die Teilnehmer Ihrer Gruppen eigentlich, dass Prenzlauer Berg mal Teil der DDR war?
Es hängt natürlich vom Alter und von den persönlichen Interessen ab, aber gerade bei den Schülergruppen fällt mir auf, dass viele sehr unbedarft sind, was das Thema Ost und West betrifft. Da bekomme ich schon mal die Frage gestellt, ob man zu Mauerzeiten auf die andere Seite konnte. Ich erzähle dann, dass ich, bevor die Mauer gebaut wurde, im Osten gelebt habe und im Westen zur Schule gegangen bin. Und dass das nach dem Mauerbau nicht mehr möglich war.
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Und wie sieht’s bei den Besuchern aus dem Ausland aus?
Auch hier gibt es in der Regel wenig Vorkenntnisse zu diesem Thema. Eine sehr häufige Frage ist tatsächlich: Wo sind wir hier gerade, ist das Osten oder Westen? Aber der Unterschied hat sich mittlerweile so nivelliert, das ist ja selbst für Berlin-Bewohner nicht immer erkennbar. Ausländische Touristen haben auch eher praktische Fragen. Sie möchten wissen, was die Mieten in Prenzlauer Berg kosten, ob es hier Arbeit und Kinderbetreuung gibt. Ob man sich eher mit dem Auto oder dem Bus fortbewegt.
Das klingt danach, als hätten viele ein Auge auf Prenzlauer Berg geworfen und schon Pläne für einen Umzug hierher.
Den Eindruck habe ich auch oft.
Inwiefern spielt das Thema Gentrifizierung bei Ihren Führungen eine Rolle?
Natürlich spreche ich das Thema an, aber ich bleibe möglichst neutral. Ich sage dann, dass Prenzlauer Berg eines der besten Wohnquartiere in Berlin ist und dass es nun mal Geld kostet, die Häuser so zu renovieren, dass sie so schön sind, wie sie heute eben sind. Ich sage aber auch, dass mittlerweile sogar der Mittelstand Schwierigkeiten hat, sich die Mieten hier zu leisten, dass es so nicht weitergehen kann und die Politik gefragt ist.
Wie vermitteln Sie den Teilnehmern Ihrer Führungen, wie es früher in Prenzlauer Berg war?
Ich sage, dass Prenzlauer Berg früher nach außen hin grau in grau und etwas abgerissen aussah. Dass aber die Leute gern hier gelebt haben, weil sie hier ihren Kiez, ihre Läden und Kneipen hatten. Vielen Leuten in Prenzlauer Berg wurde damals angeboten, in die Neubauten nach Marzahn zu ziehen, aber das wollten sie nicht. Hier gab es schon vor dem Mauerfall eine alternative Szene, viele Punks, und auch relativ viel Toleranz gegenüber homosexuellen Menschen. Ich habe ja immer Bilder dabei …
Er zieht einen Ordner aus seiner Tasche und schlägt eine Seite mit einem Foto auf. Es zeigt drei junge Menschen in Arbeitskleidung, ein Mann trägt einen üppigen Iro, die Frau neben ihm einen Undercut, ihr Ohr ist rundherum gepierct. Im Hintergrund sieht man einen Altbau, der gerade saniert wird. „Husemannstraße 1985-87“ hat Römhild darunter notiert.
Wie reagieren die Menschen auf das Bild?
Sie finden es lustig, dass die Leute so rumlaufen konnten in der DDR.
Und gibt es auch Fragen dazu, wo diese Punks und alternativen Menschen heute sind?
Nein, eigentlich nicht. Dass dieser Wandel, den Prenzlauer Berg durchlaufen hat, kritisch hinterfragt wird, erlebe ich eigentlich nur bei Menschen, die einen Bezug zum Stadtteil haben. Ich habe öfter mit Gruppen aus den ostdeutschen Bundesländern zu tun. Darunter sind immer mal wieder Leute, die in Prenzlauer Berg gelebt haben, zum Beispiel während ihrer Studienzeit. Die sind sehr erstaunt, wenn sie sehen, wie stark sich der Stadtteil verändert hat, und sie finden es oft zu teuer hier.
Und die anderen?
Die kennen das Einheitsgrau aus der DDR und freuen sich, wie schön es hier aussieht.