Viele Menschen in Prenzlauer Berg drängen sich in eine überbelegte Wohnung. Besonders für Familien ist es oft die einzige Möglichkeit, sich das Wohnen in ihrem Kiez noch leisten zu können.
Ein junger Vater lebt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in einer 65 Quadratmeter großen Wohnung, sie hat zwei Zimmer, Küche, Bad. Wenig Platz für eine vierköpfige Familie. In einer anderen Stadt würde sie sich vielleicht eine neue Wohnung suchen. Wir befinden uns aber in Berlin. Wer hier eine bezahlbare Wohnung ergattert hat, verlässt sie nicht so schnell. Und so bleibt die Familie dort wohnen – so lange, bis es nicht mehr geht.
Bei dem Mann handelt es sich um Florian Schmidt (Grüne), den Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, der mit seiner konsequenten Anwendung des Vorkaufsrechts mittlerweile auch über die Grenzen Berlins hinaus für Aufsehen gesorgt hat. „Wir haben vier Jahre, eine größere Wohnung zu finden. In vier Jahren ist mein Sohn zehn Jahre und die Tochter acht. Dann wären zwei Zimmer gut“, schreibt Schmidt in Bezug auf die Zimmersituation seiner Kinder.
Familien haben starke Bindung an den Kiez
Florian Schmidt ist der etwas bekanntere Vertreter eines Phänomens, das auch in Prenzlauer Berg viele Menschen betrifft: Mieterinnen und Mieter leben in einer Wohnung, die nicht mehr zu ihren Lebensumständen passt. Wie unsere Umfrage gezeigt hat, wissen auch viele unserer Leser, wie es ist, in einer Wohnung zu leben, die eigentlich zu klein oder aus anderen Gründen nicht mehr geeignet für sie ist. An einen Umzug ist oft nicht zu denken. Denn wer seine Wohnung verlässt und eine neue bezieht, muss damit rechnen, dass er bei der Miete ordentlich drauflegen muss – möglicherweise mehr, als er oder sie sich leisten kann. Laut aktuellem Wohnmarktreport Berlin lag die Durchschnittsmiete bei Neuvermietungen in Pankow 2017 bei über 10 €/m². In Prenzlauer Berg liegen sie nach Angaben des Portals immowelt.de bei 14 €/m² oder mehr.
Besonders stark betroffen sind Familien. Aber gerade die haben eine starke Bindung an ihren Kiez, wollen ihr Kind für eine neue Wohnung nicht aus der Kita oder der Schule nehmen. Also bleiben sie. Die Folge ist oft eine Überbelegung, die laut Soziologe und Stadtforscher Sigmar Gude dann vorliegt, wenn eine Wohnung zwei Zimmer weniger hat als Haushaltsmitglieder.
Mieter sind in regelrecht in Wohnung eingeschlossen
„Man kann davon ausgehen, dass in Prenzlauer Berg besonders viele Menschen davon betroffen sind“, sagt Gude, der seit über 25 Jahren zum Thema Gentrifizierung in Berlin forscht. Denn hier sei die Entwicklung der Mietpreise heftiger als in anderen Gebieten der Stadt, allerdings eben nur in Bezug auf Neuvermietung.
„Lock-In-Effekt“ wird dieses Phänomen auch genannt. Der Begriff stammt aus der Betriebswirtschaft und beschreibt die Strategie von Unternehmen, Kunden so an sich zu binden, das ein Wechsel zu einem anderen Anbieter schwer fallen würde. In Bezug auf die Wohnsituation der Menschen meint er: Die Menschen sind regelrecht in ihrer Wohnung eingeschlossen.
Sigmar Gude spricht in diesem Zusammenhang von „innerer Verdrängung“. Damit meint er allerdings nicht nur die Menschen, die sich wegen der steigenden Mietpreise in ihre Wohnungen zurückziehen. Sondern auch jene, die in schlechtere Wohnungen ausweichen müssen. Eine seiner Untersuchungen habe deutlich gezeigt, dass an lauten Straßen wie der Schönhauser Allee oder der Greifswalder Straße vor allem Menschen mit geringerem Einkommen leben. Sie werden aus den angenehmeren Lagen in die Wohnungen verdrängt, in die sonst keiner ziehen möchte.
Berliner sind bei Umzügen besonders scheu
Konkrete Zahlen darüber, wie viele Menschen vom Lock-In-Effekt betroffen sind, gibt es nicht. Aber klar ist: Die Berliner sind besonders scheu, wenn es darum geht, umzuziehen. Unter allen Bundesländern hat Berlin die geringste Umzugsquote, nur 5,9 Prozent der Hauptstadt-Bewohner sind 2017 umgezogen. Der bundesweite Durchschnitt liegt bei 8,8 Prozent. Die Zahlen stammen vom Energiedienstleister Techem, der im Rahmen der Verbrauchserfassung für die Heizkostenabrechnung über Mieterwechsel informiert wird.
Sylvie Hoehne-Killewald von der Mieterberatung Prenzlauer Berg, die zuständig ist für öffentlich geförderte Wohnungen, kann diesen Trend auch für Prenzlauer Berg bestätigen: Generell sei die Fluktuation geringer geworden. Sie stelle fest, dass es immer weniger Freimeldungen von Wohnungen gibt, sagte sie.
Eine kleinere Wohnung wäre teurer
Das Tragische dabei: Der passende Wohnraum ist durchaus vorhanden, er ist nur falsch verteilt. Da ist zum Beispiel Paul*. Das Problem des 34-Jährigen: Seine Wohnung ist zu groß für ihn. Mit seiner Freundin war er damals in die Nähe des Arnimplatzes gezogen: 90 Quadratmeter, 3 Zimmer, 780 Euro warm. Das Paar trennte sich, Paul blieb allein zurück. „Ich würde mich gern verkleinern“, schrieb er uns, „dann müsste ich aber mehr zahlen“. Derzeit bemüht er sich um einen Wohnungstausch, aber er weiß, dass er auch bei einem Tausch damit rechnen muss, dass der Mietpreis neu angesetzt wird.
Das bestätigt Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins. Ein Wohnungstausch ohne Anhebung der Miete sei rechtlich nicht durchsetzbar. „Der Vermieter darf bei einer Neuvermietung die Miete anheben“, sagte Wild.
Im September ist das Wohnungstauschportal inberlinwohnen.de der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften an den Start gegangen. Mieter können hier ihre Wohnungen tauschen, ohne dass sich die Nettomiete verändert. Allerdings steht dieses Portal nur Menschen offen, die bereits Mieter bei einer der sechs Gesellschaften sind.
Florian Schmidt, Friedrichshain-Kreuzbergs Baustadtrat, würde sich wahrscheinlich nicht als „Betroffener“ bezeichnen. Er findet es nicht schlimm, zu viert auf 65 Quadratmetern zu wohnen, „da wir ja mit Küche drei Zimmer haben und auch beide Erwachsene viel zu tun haben.“ Es sei alles eine Frage der Gewöhnung.
*Name von der Redaktion geändert
1 Kommentar
[Zitat] Man kann davon ausgehen, dass in Prenzlauer Berg besonders viele Menschen davon betroffen sind“, sagt Gude, der seit über 25 Jahren zum Thema Gentrifizierung in Berlin forscht. [Zitat Ende]
Genau das ist es. 25 Jahre Forschung um festzustellen dass die Mieten zu hoch sind- Chapeau! Und so wird geforscht und geforscht und es passiert- nichts. Darauf ein gepflegtes L.O.L.