Eigentlich hat Pfarrer Michael Pflug für die 100-Jahr-Feier seiner Adventkirche schon genug zu tun: „Reliquien“ herrichten, Podeste aufbauen, Kühlschränke besorgen. „Ich rechne am Wochenende mit 400 Leuten“, sagt er.
Aber wenn es um Anekdoten rund ums Gotteshaus in der Danziger Straße gegenüber dem Volkspark Friedrichshain geht, wenn er „putzige Geschichten“ und „irre Sachen“ erzählt, die er seit 1978 als Gemeindepastor erlebt und teilweise von längst verstorbenen Gemeindemitgliedern erfahren hat, da muss man ihm einfach zuhören.
„Hier gab’s sogar mal einen Mauerfall“
„Und das hier ist unser Outdoor-Gemeindehaus“, sagt er und führt uns in den schönen, neu hergerichteten Garten hinter der Adventkirche. Eine kleine Oase, mit alter Eiche und hellem Granitpflaster. „Hier gab’s sogar mal einen Mauerfall“, lacht er, vor ein paar Jahren, als das marode Mauerwerk auf ganzer Länge nachgab. „Eine Nachbarin im Schlafanzug stand plötzlich ganz erschrocken da und sagte uns, das Ding sei umgefallen.“
Dass die Adventkirche in der Danziger Straße, gegenüber dem Volkspark Friedrichshain, überhaupt noch steht, ist schon ein kleines Wunder. Pfarrer Pflug, Jahrgang 1949, will deshalb am kommenden Wochenende auch ein wenig die Geschichte des Gebäudes beleuchten. „Es gibt zum Beispiel nur eine einzige historische Farbaufnahme von der Kirche“, sagt er. Das großformatige Foto zeigt die Apsis, wie sie 1932 ausgesehen hat: Jesus und die Jünger unter idyllischem blauem Wölkchenhimmel. Nach dem Bombenangriff 1944 und folgendem Artilleriebeschuss war die Kirche zu 60 Prozent zerstört, das Gemeindehaus komplett zunichte. Außer ein paar Mauern am Turm war auch der gemalte Jesus am Altar noch übriggeblieben, wurde aber im Laufe der Jahre durch ein modernes Mosaik ersetzt.
Ein Glockensplitter im Gebälk
Oder die Sache mit dem tellergroßen Splitter einer Glocke von 1924. „Den haben Bauarbeiter vor ungefähr zehn Jahren entdeckt, oben im Gebälk steckte das schwere Teil. Über den Köpfen der Gemeinde.“ Auch dieses Stück aus längst porösem Stahlguss wird am Wochenende als eine der „Reliquien“ zu sehen sein, neben einem Marmorbruchstück des alten Altars von 1910/1911. „Viele Originale aus der Gründerzeit der Kirche gibt es nicht“, sagt Pflug: außer dem eleganten Taufstein noch zwei Original-Stühle, „unsere Hochzeitsstühle“. Nebenbei kann man von ihm alles über die futuristischen Lampen aus DDR-Zeit erfahren, die eigentlich für Bars gedacht waren, und über das Balkongitter im Garten, das Pflug einst in der Hufelandstraße fand, wo er von 1975 bis 1980 mit seiner Frau wohnte („Kohleheizung, Außenklo“).
Wie klingen 100 Metronome gleichzeitig?
Am Wochenende wird nun also gefeiert, „100 Jahre & 100 Tage Evangelische Adventkirche“ heißt das Fest, dem Pflug zusammen mit seiner Kollegin, der Pfarrerin Beate Dirschauer, organisiert hat und das am Sonntag um 10 Uhr mit einem Festgottesdienst mit Chor und Posaunenchor seinen festlichen Abschluss findet.
Den Auftakt macht am Freitagabend um 19.30 Uhr ein Chor- und Orgelkonzert (Eintritt frei), das für einiges Aufsehen sorgen dürfte: Der Gemeindechor bringt gemeinsam mit Thomas Noll an der Orgel (Leitung: Isabel Pauer) außer Werken von Leoš Janácek und Max Reger auch György Ligetis „Poème Symphonique für hundert Metronome“ auf die Bühne. Es wurden tatsächlich 100 Metronome beschafft, denn viele Menschen sind dem Spendenaufruf nachgekommen, die Pflug und Dirschauer auf der Webseite veröffentlicht hatten.
Historische 16mm-Filme, Kunst und ein Straßenfest
Am Sonnabend gibt es ein großes Straßenfest, bei dem unter anderem die Kinder des Kinderchors Instrumente basteln, das Ergebnis wird dann um 17 Uhr ein Märchen-Musical sein. Abends dann noch mehr Kultur: Pfarrerin Dirschauer hat in Filmarchiven gestöbert, 16mm-Material, Kunstwerke und Gedichte aus der Zeit um 1911 ausgewählt und wird mit einer Kunsthistorikerin die eben „gar nicht so gute alte Zeit“ aufleben lassen. „Es war eine Zeit der Verelendung, der Landflucht und der totalen Beschleunigung, viele Berliner hatten den Eindruck, ihnen wird der Boden unter den Füßen weggezogen“, sagt sie. Die Stadt platzte damals aus allen Nähten. Deshalb habe es für eine Kirche einerseits dringenden Bedarf gegeben, erzählt Pfarrer Pflug, andererseits „war die kaiserliche Schatulle leer“. Das Gotteshaus sei dann 1910/1911 in nur zehn Monaten „mit billigem Baumarkt-Material“ hochgezogen worden. Was sich heute freilich in steigenden Renovierungskosten niederschlägt.
Jetzt, wo hier alles wuselt und einander grüßt, hat man hat das Gefühl, dass hier Gemeindeleben wirklich noch stattfindet. Mit ihren 5000 Mitgliedern und zwei Kirchenstandorten (der andere ist die Zachäus-Ladenkirche in der Hosemannstraße 8) gehört die Advent-Zachäus-Kirchengemeinde zu den größeren Gemeinden in Prenzlauer Berg. „Tendenz jünger werdend, wegen der vielen Kinder“, freut sich Pflug.
Weitere Informationen unter www.advent-zachaeus.de