OL

„Humor ist Notwehr“

von Julia Schmitz 28. August 2018

Was haben die „Mütter vom Kollwitzplatz“ mit Ost-Bohème und Stasi-Schikane zu tun? Beides gehört zum Leben von Olaf Schwarzbach, besser bekannt als OL. Das Prenzlauer Berger Comic-Urgestein im Porträt.


„Ich wohne schon über zwei Jahre hier, aber wie schnell sich alles verändert hat. Es spricht ja kaum noch einer schwäbisch“. Die Frau, zu der diese Worte gehören, steht mitten auf dem Kollwitzplatz vor dem Denkmal der Namensgeberin, sie trägt ein gemustertes Dirndl und einen empörten Blick. Ein „klassischer OL“: Mit spitzem Bleistift und ebenso spitzer Zunge setzt Olaf Schwarzbach regelmäßig „Die Mütter vom Kollwitzplatz“ in Szene und trifft den Nagel dabei jedes Mal auf den Kopf.

Aber ist es wirklich so schlimm, frage ich ihn, als wir in seiner Altbauwohnung an der Gethsemanekirche bei einem Kaffee zusammensitzen – ist Prenzlauer Berg ein Hort für arrogante und selbstgerechte Spießer? OL antwortet mit einem entschiedenen und nachdrücklichen „JA!“ und setzt nach: „Man könnte tausend negative Bezeichnungen dafür finden, aber so ist es. Prenzlauer Berg ist zu einem Laufsteg für Selbstdarsteller und gescheiterte Existenzen geworden. Ich sage ja immer, diese Comics sind keine Witze, noch nichtmal Realsatire – ich würde sie eher als eine Art Sittenbild – oder noch besser als „Unsittenbild“ – bezeichnen. Denn was in Prenzlauer Berg geschehe, gäbe es auch woanders, wie Fans der Comics aus Aachen oder Magdeburg berichteten. Hier und in anderen Städten habe eine Provinzialität Einzug gehalten, dazu dieser Hype um den Stadtteil, von dem keiner weiß, wer ihn ausgelöst hat: Für viele sei die Dachgeschosswohnung in Prenzlauer Berg das höchste Ziel im Leben, warum?

 

„Prenzlauer Berg war wie eine Blase“

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OL, in Berlin geboren, aber in Potsdam aufgewachsen, zieht 1986 zurück nach Prenzlauer Berg. Besetzt eine Wohnung in der Schliemannstraße, Hinterhaus und dunkel, Leerstand und bröckelnder Putz, das ganze Gebiet ist damals dem Verfall preisgegeben. Für ihn und seine Freunde eine wahre Spielwiese. Während er als Angestellter im Staatlichen Kunsthandel keine Angst vor dem so genannten „Assiparagrafen“, dem Paragrafen zur „Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch asoziales Verhalten“ haben muss, verdienen viele seiner Bekannten ihr Geld durch freiberufliche und ungern gesehene Arbeit, während sie auf ihre Ausreise aus der DDR warten. Um die Zeit totzuschlagen, veranstalten sie „Salons“ in Privatwohnungen; manchmal hängen auch Zeichnungen von OL an den Wänden, doch geht es ihnen eher weniger um die Kunst.

Der Stasi ist es dennoch ein Dorn im Auge. Comics waren in der DDR nicht gern gesehen, man bezeichnete sie als „Schmutz und Schundliteratur“ und etwas dekadentes aus dem Westen. Als bei einer Wohnungsdurchsuchung etliche Zeichnungen von OL beschlagnahmt werden, zieht sich der Knoten langsam zu: „Es ging ihnen nicht um den Inhalt der Comics – es war wichtiger, dass sie mich damit in der Hand hatten, dass ich erpressbar war.“ Bereits zu Schulzeiten hatte man erfolglos versucht, ihn anzuwerben, auch jetzt bleibt er standhaft. Doch sein Unwille, zur Armee zu gehen, kommt erschwerend hinzu; als ihm sein Anwalt Lothar de Maizière aufzählt, welcher Straftatbestand auf ihn zutrifft, wird klar: Entweder für anderthalb Jahre in den Knast oder für die Stasi arbeiten. Beides keine Optionen für OL.

 

Flucht über die „grüne Grenze“

Eigentlich will er gar nicht in den Westen, in Berlin hat er doch alles und für das Nachbarland überhaupt keine Zukunftsperspektive. Doch die Angst vor dem Gefängnis ist zu groß und so bricht er im August 1989 auf Richtung Ungarn, wo er über die „grüne Grenze“ nach Österreich flieht. „Als ich im Westen war, dachte ich dann: Wow, ist ja doch nicht so schlecht – man kann einfach nach Italien fahren und muss nicht gleich arbeiten!“ Dass kurze Zeit später die Mauer fällt, sei auch für ihn nicht absehbar gewesen, erzählt er. Später besucht er in München eine Schule – doch noch bevor er das Abitur ablegen kann, bekommt er erste Aufträge als Comic-Zeichner, entschließt sich für die Rückkehr nach Berlin und ein Leben als Cartoonist.

Nach einigen Jahren in Nachbarkiezen wohnt er nun wieder im Dreieck zwischen seiner alten Wohnung in der Schliemannstraße und der Arbeitsstätte in der Greifenhagener Straße.  Dort arbeitet er an seinen Comic-Reihen, zu denen nicht nur die „Mütter vom Kollwitzplatz“, sondern auch „Jürgen der Trinker“ und der „Cosmoprolet“ gehören. Ob es ihm helfe, die derzeitigen Verhältnisse in Prenzlauer Berg zu ertragen, wenn er sie mit Ironie und Sarkasmus zu Comics verarbeitet, frage ich? „Humor“, antwortet er, „ist Notwehr“, habe die Schriftstellerin Katja Lange-Müller einmal zu ihm gesagt. Und in diesem Moment hoffe ich ein kleines bisschen, dass sich OL noch lange gegen die Verhältnisse in seinem Umfeld wehren muss!

Die Zeichnungen von OL – darunter natürlich auch die „Mütter vom Kollwitzplatz“ findet ihr auf seiner Homepage, über die auch der Kalender für 2019 bestellt werden kann. Seine Biographie „Forelle Grau. Die Geschichte von OL“ über seine Kindheit und Jugend in der DDR ist über den Verlag als E-Book erhältlich und als Hardcover leider nur noch antiquarisch zu beziehen.

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