Stephan Müller Prenzlauerberginale

Der Prenzlauer-Berg-Forscher

von Victoria Scherff 7. März 2018

Stephan Müller will die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft von Prenzlauer Berg vermitteln. Dafür hat er das Festival Prenzlauerberginale erdacht – und macht an Wochenenden Sauna-Aufgüsse in der Rykestraße!


Was bei Stephan Müller sofort auffällt, sind sein breites, offenes Lachen und seine schulterlangen braunen Haare. Damit und mit seiner Kapuzenjacke sieht der 45-Jährige aus Oberhausen aus wie höchstens Mitte Dreißig. Seit 21 Jahren wohnt er in Berlin, immer noch in seiner ersten Wohnung in der Eberswalder Straße in Prenzlauer Berg. Unsaniert, Kohleofen, nicht isoliert: Vor 20 Jahren kostete die 70-Quadratmeter-Wohnung 400 Mark. Seit sieben Jahren ist der Kohleofen Vergangenheit. Die Miete ist zwar gestiegen, „aber noch bezahlbar“.

Schon zum dritten Mal organisiert Stephan Müller in diesen Tagen das Prenzlauer Berger Filmfestival, die Prenzlauerberginale. Ein halbes Jahr lang bereitet er das auf vier Dienstage im Februar und März verteilte Festival vor: Archive besuchen, Filme sichten, Lizenzen einholen. Dabei ist Müller kein klassischer Kino-Fan, wie er selbst sagt. „Mich interessiert die Geschichte an den Filmen.“

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Eine Filmreihe nur für Prenzlauer Berg

In den späten 90er Jahren hat Müller in Berlin Geschichte und Soziologie studiert. Ein paar Jahre lang arbeitete er freiberuflich als Historiker. Auch für das Museum Pankow, wo 2016 die erste Prenzlauerberginale stattfand: Auf einer Drei-mal-vier-Meter-Leinwand, mit einem Beamer und zwei Boxen. Bei überwältigendem Andrang war der Kampf um die Sitzplätze hart. Damals war klar: Das nächste Jahr muss es größer und professioneller werden.

Stephan Müller will es ganz genau wissen und stellt viele Fragen, auch wenn es eigentlich um ihn geht. Wenn er überlegt, lässt er seinen Blick durch den Raum schweifen, er wählt seine Worte sorgfältig aus. Müller gestikuliert nicht wild, sondern malt beim Sprechen mit den Händen lange Linien auf den Tisch.

Seit letztem Jahr läuft die Prenzlauerberginale im Kino Babylon. Das ist zwar nicht in Prenzlauer Berg, „aber es sind nur 50 Meter bis zur Bezirksgrenze“. Müller kennt sich gut aus in Berlin, vor allem in unserem Bezirk. Er kann Stadtteilgrenzen auf den Kilometer genau benennen. Trotzdem bleibt er bescheiden: Auch nach 21 Jahren in Berlin bezeichnet er sich noch als „nur zugezogen“.

 

Historiker, Sachbearbeiter, Aufguss-Meister

Stephan Müller ist ein Mann, der nicht still sitzen kann: Samstags macht er die Aufgüsse in der Kiezsauna in der Rykestraße. Dort war er selbst lange Zeit Gast, bevor er Wochenend-Bademeister wurde. Seit er in Charlottenburg in einer Teilzeit-Stelle beim Amt arbeitet, fehlt ihm Prenzlauer Berg. Daher auch die Sauna: „Für mich hat das eine Verbindung zum Kiez“.

Wie kommt man auf die Idee, ein Stadtteil-Filmfestival zu machen? Da war natürlich zunächst das historische Interesse: „In Prenzlauer Berg wurde viel gedreht, da sind viele Kuriositäten dabei. Da habe ich mir gedacht: Daraus kann man eine ganze Filmreihe machen.“ Ums Geld ginge es dabei nicht, auch wenn zum Glück eine Aufwandsentschädigung herausspringt. Müllers eigentliche Motivation ist die Begeisterung für die Prenzlauer Berger Geschichte.

 

12 Minuten Sozialstudie

Auf seiner Prenzlauerberginale zeigt Müller Spiel- und Dokumentarfilme, Musikvideos, und eine Ausstellung mit Fotos von Harald Hauswald – alles mit Bezug zu Prenzlauer Berg und am besten unbekannt. Es sind alte Defa-Filme, Beiträge von der Filmhochschule und Klassiker wie der Prenzlauer-Berg-Film schlechthin: „Berlin Ecke Schönhauser“.

Stephan Müllers Lieblingsfilm bei der diesjährigen Prenzlauerberginale? „Die Kollwitz und ihre Kinder“ aus dem Jahr 1970. „Das sind 12 Minuten Sozialstudie, und er wird bei erneutem Anschauen immer besser“, findet Müller. Der Film war beim letzten Filmabend am 6. März zu sehen.

Dokumentarfilme findet Müller insgesamt spannender als Spielfilme, denn hier könne man Zeitzeugen für ein anschließendes Gespräch dazuholen, etwa die Kohlenhändlerin von damals. „Mein Publikum will Prenzlauer Berg sehen, wie es in den 80ern aussah, auch weil sie selber hier groß geworden sind.“ Mit dem Festival wolle er weniger unterhalten als vielmehr bilden.

 

Geschichte aufspüren und vermitteln

Trotz des großen Erfolgs: In zwei Jahren soll Schluss sein mit der Prenzlauerberginale. Dann habe sich der Fundus an massentauglichen Filmen erschöpft. Im nächsten Jahr will Müller Ausschnitte aus privaten Videoaufnahme zeigen. Kreative Projektideen für die Zeit nach der Prenzlauerberginale hat Stephan Müller auch schon: „Ich plane ein Geocaching – eine Art GPS-Schnitzeljagd – für Geschichte in Prenzlauer Berg.“ Auch ohne Filmfest wird uns Müllers Leidenschaft für das Aufspüren und Vermitteln von Geschichte in Prenzlauer Berg also erhalten bleiben.

Zum Schluss noch schnell ein historischer Geheimtipp für Prenzlauer Berg vom Fachmann: „Die Museumswohnung in der Dunckerstraße 77!“

 

Foto: Victoria Scherff

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