Nach der Reform des Prostitutionsgesetzes wollten wir es von Euch wissen: Was Ihr über das Gewerbe denkt und welche Erfahrungen Ihr mit bezahltem Sex gemacht habt. Und siehe da: Viele!
Prenzlauer Berg: Eismanufaktur, Concept Store, Breakfast Club, Hofladen und dazwischen ein kleiner, feiner… Puff? Na aber! Noch jedenfalls. Vergangene Woche berichteten wir ausführlich über das neue Prostituiertenschutzgesetz und beim Lesen wurde dem ein oder anderen bordellaffinen Leser bereits angst und bange: Höhere Auflagen könnten für 80 Prozent der kleineren Berliner Bordelle das Aus bedeuten – wir sprachen auch mit einem Bordellbesitzer darüber.
Warum das seit 1. Juli geltende Prostitutiertenschutzgesetz nicht nur von SexarbeiterInnen selbst, die den Wortteil „Schutz“ darin als blanken Hohn und die Gesetzesreform als weitere Gängelung, Stigmatisierung und Entmündigung empfinden, sondern auch von Bezirksseite wegen unklarer Zuständigkeiten hart kritisiert wird, könnt ihr hier noch einmal detaillliert nachlesen.
Drei Viertel haben Erfahrung mit bezahltem Sex
Im Rahmen des Schwerpunktthemas wollten wir es aber auch ganz genau von Euch wissen und haben Euch in unserer Umfrage ausgequetscht: Welche Erfahrungen habt Ihr mit bezahltem Sex in unserem gediegenen Bezirk gemacht und wo? Was denkt Ihr über Sexarbeit im Allgemeinen, was müsste sich ändern?
Klar, das Thema wird seit jeher kontrovers diskutiert, aber mit einer solch großen Resonanz an Beiträgen haben wir dann doch nicht gerechnet. Danke dafür! Wir haben für Euch die interessantesten Stimmen herausgepickt.
Das Wichtigste zuerst: Laut unserer selbstverständlich für den ganzen Prenzlauer Berg hochrepräsentativen Studie haben 77 Prozent schon einmal für Sex bezahlt oder sich bezahlen lassen. Vor allem in Bordellen, aber auch in Bars, Massagesalons, SM-Studios, Nachtclubs, auf der Straße, im Auto, zu Hause, im Hotel.. eigentlich war nur der Bio-Supermarkt nicht dabei. Da wir keine Bewertungsplattform für Bordelle sind, werden wir hier aber keine Namen nennen.
Aber gefragt haben wir Euch natürlich trotzdem und siehe da: Einige von Euch waren schon zu Gast in jenem Etablissement auf der Danziger Straße, mit dessen Besitzer wir vor Ort gesprochen haben. Unser rein geschäftlicher Eindruck deckt sich mit Eurem sehr privaten: Es scheint ein bodenständiger Laden mit selbstbestimmten Beschäftigten zu sein. Eine/r – wir vermuten, eine ehemalig dort Beschäftigte – schwärmt gar von fester Stammbelegschaft, persönlichen Gesprächen und regelmäßigem Urlaub. Und: „Definitiv keine Zwangsprostitution!“ Das beruhigt uns schonmal.
Ein offenbar intensiv tätiger Freier indes will seine „Quellen“ nicht verraten, denn:
(…) Einige kleine Wohnungsbordelle müssen halblegal arbeiten und die Frauen dort haben zu Recht Angst, dass bei Namensnennung der Arbeitsplatz geschlossen wird. Dann müssten sie zu ungünstigeren Bedingungen in den übrig gebliebenen Grossbordellen arbeiten. Mein Lieblingsladen besteht aus einer kleinen Wohnung mit 3 ehemaligen Sexarbeiterinnen (…), die sich hier selbständig gemacht haben.
Der Leser begrüßt diese Art von Bordell, denn so seien die Prostituierten unabhängig und selbstorganisiert. Allerdings seien die Sorgen groß, denn wegen der höheren Auflagen befürchtet der kleine Laden nun eine Zwangsschließung. Die drei Damen würden nicht mehr in vorgegebene Strukturen zurückwollen, würden dazu aber staatlich gezwungen.
Während dem Gewerbe an sich Respekt und Sympathie entgegengebracht wird, beklagen auch andere LeserInnen die Gesetzesreform als stigmatisierend:
SexarbeiterInnen brauchen Rechte, keine Kontrollen und Gängelungen.
Eine Sexarbeiterin begrüßt die Existenz von gewerkschaftlichen Organisationen in Deutschland und betont, sie und ihre KollegInnen seinen im weltweiten Vergleich privilegiert.Generell störe ihn das Schmuddelimage, schreibt jemand. Und was den Spaß an der Arbeit angeht, erreichten uns diverse Antworten. Einer schreibt:
Ich war jahrelang in einer Beziehung mit einer ehemaligen Prostituierten, sie hat von ihrem Job als ein grosses Abenteuer geschwärmt, bei dem sie mit Spaß unverschämt viel Geld verdient hat.
Ein bekennder Freier fasst seine Erfahrungen wie folgt zusammen:
Ich habe den Eindruck, den Frauen geht es letztlich wie jedem Menschen: sie haben gute und schlechte Tage und Laune und freuen sich, wenn einer kommt, der lustig ist, sie gern mag und keinen Ärger macht.
Diesen Eindruck bestätigt eine Sexarbeiterin:
Meistens liebe ich meine Arbeit und meine Kunden. An manchen Tagen weniger oder manche Kunden eher nicht.
Und eine Kollegin:
„Gerne“ ist übertrieben. Sexuell macht es mich tatsächlich sehr an, aber eigentlich finde ich die Typen eklig. Diejenigen, die viel emotionale Arbeit und die Inszenierung wollen (mit dem ganzen Gerede und dem Geschminke) gehen mir am meisten auf den Geist.
So viel also zu den „persönlichen Gesprächen“, die am Bordell unseres Vertrauens so geschätzt werden. Ein anderer Freier betont radikal ehrlich:
Ich finde es prima, dass es Sexarbeit gibt. Ich zahle dafür gerne. Im Gegensatz zu dem, was man immer wieder hört, will ich mich dabei auch gar keiner Illusion hingeben, sondern empfinde die Bezahlung daran sogar regelrecht als eine Art Kick.
So richtig toll finden Prostitution aber nicht alle. Generell gehöre sie verboten und Freier bestraft, lesen wir in einem Beitrag. Gleichzeitig müsse die Förderung von Beratung und Ausstiegshilfen massiv erhöht werden. Ein anderer schlägt ebenfalls vor, die Freier dranzukriegen, die Sexarbeit selbst allerdings legal zu belassen, da ein Verbot „vermutlich zu Lasten der SexarbeiterInnen ginge“. Gegen diese Vermutung einer kollektiven, oder zumindest mehrheitlichen Unfreiwilligkeit hätten diese Leserinnen aus der Branche sicher etwas einzuwenden:
Sexarbeit sollte legal sein und ohne Auflagen – vor allem für jene, die den Sex verkaufen. Eine dämliche Registrierungspflicht, die auch Gelegenheitsprostituierte trifft, ist unsinnig. Besonders doof finde ich, dass gerade alle die Prostitution in industrialisierte Bordelle verlagern wollen. Es ist wichtig, dass die kleinen Orte bleiben. Interessanterweise würde ich gerade die Großbordelle und sowieso die horrenden Mieten in Bordellen abgeschafft sehen. Das ist doch der Hauptgrund, warum Sexarbeitende so viel schuften müssen.
EIne Kollegin bestätigt, am liebsten in kleinen Bordellen zu arbeiten, wegen der privaten Atmosphäre, der Sicherheit und dem Austausch mit Kolleginnen. Eine Dritte schlussfolgert:
Das neue Gesetz wird viele Arbeitsplätze vernichten und viele Kolleginnen in die Illegalität treiben.
Manchen ist allerdings mit einem Bordell als direktem Nachbarn nicht sonderlich wohl:
Als Familie mit kleinen Kinder leiden wir darunter, dass in unserem Erdgeschoss eine „Wellnesmassage“ ist. Die Freier im Treppenhaus sind unfreundlich und in einem Familienhaus deplatziert.
Interessant auch der Beitrag einer nach eigener Aussage begeisterten Sexarbeiterin, die ihre Branche selbst in der Verantwortung sieht, gegen die Diskriminierung zu kämpfen:
Es ist nicht die Aufgabe der Medien, für Akzeptanz gegenüber Sexworkern zu sorgen. Es ist unsere eigene Aufgabe. Wir müssen unseren Angehörigen behutsam und geduldig klar machen, dass sie die Freunde, Liebhaber, Mütter, Väter, Schwestern und Brüder von Sexarbeitern sind.
Nur so könne dem gesellschaftlichen Stigma langsam, aber stetig die Basis entzogen werden. Das sei ein langer Weg, das wisse sie. Den könne auch der Staat selbst bei gutem Willen nicht beschleunigen, da er den Menschen ihre Meinung nicht diktieren könne. So schien uns der beste Schlussatz:
Wo die Wertschätzung fehlt, hilft kein Gesetz.