In Prenzlauer Berg gibt es ein neues Mietangebot – die Trennungspension. Väter aus kriselnden Beziehungen ziehen dort zeitweise ein, um ihre Familie zu retten.
„Bei manchen Krisen-Vätern macht das einen Unterschied von 15.000 Euro“, sagt Ludger Schreiner und verzieht das Gesicht. „Selbst für gutverdienende Männer hier im Bezirk ist das einen Haufen Geld.“ Schreiner spricht über die Kosten für eine Wohnung, die Männer kurzfristig anmieten müssen, weil sie aus ihrer Familie geflohen oder geflogen sind. Und er, Schreiner, der Vermieter, bietet Vätern aus Krisen-Beziehungen eine Atempause.
Nach den Kindern, den Frauen und den Hunden rückt eine bislang wenig beachtete Spezies des Prenzlauer Bergs in den Fokus der Aufmerksamkeit: die Männer. Genauer sind es ihre Aggregatszustände auf dem Weg zur Rente – vom Geliebten zum Erzeuger, vom Freund zum Ehemann, vom Vater zum Unterhaltspflichtigen. Manche in Prenzlauer Berg nennen sie Trümmermänner. Denn ihr Leben liegt – mindestens scheinbar – in Trümmern. Sie jammern viel und packen wenig an.
„Mancher Familie hier täte es gut, wenn die Eltern mal getrennt leben könnten“
Ludger Schreiner, sonst Betreiber eines edlen Second-Hand-Ladens, hat für sie ein neues Angebot entwickelt: er bietet günstige Trennungswohnungen. Vom möblierten Zimmer bis zur Maisonette hat er alles. Bei Schreiner gibts die Wohnung ohne Kaution oder Provision, keiner der gefrusteten Männer muss sich Möbel kaufen. Das spart Tausende Euros. Schreiners Väterpension liegt unweit des „Papaladens“, wo zwei Sozialpädagogen professionelle Beratung für Väter anbieten. „Mancher Familie hier täte es gut, wenn die Eltern mal getrennt leben könnten, wenigstens für eine Zeit lang“, sagt Marc Schulte vom Papaladen über die Beziehungsrealität im Kiez der vermeintlich Schönen und Erfolgreichen. „Aber das ist praktisch nicht möglich, bei den exorbitanten Mietpreisen im Kiez.“ Manche Trennung wäre zu verhindern, wenn sich die Paare nicht schon jahrelang gegenseitig die Seelen ausgekratzt hätten.
„Die meisten Männer, die wegen Beziehungsproblemen bei uns ankommen, sind am Ende. Die haben oft eine lange Krisengeschichte hinter sich“, berichtet Schulte. Für Kinder im Prenzlauer Berg sind Trennungen so etwas wie Normalität. In den Klassen einer nahe gelegenen Grundschule sind acht von zehn Kindern aus Patchworkfamilien. „Manche Schüler trauen sich nicht mehr zu sagen, dass sie aus einer normalen Familie kommen“, berichtet ein Lehrer.
Ludger Schreiner hat selbst eine Familienkrise hinter sich. Drei Kinder, beide Eheleute selbständig, anstrengender Alltag. „Irgendwann merkst du, dass sich die Gespräche, die du mit deiner Liebsten führst, ausschließlich um Organisatorisches drehen.“ Schreiner zog die Reißleine und wollte in der halbmöblierten Wohnung eines Freundes zwischenwohnen. Preis: 680 Euro Miete. Als das im letzten Augenblick scheiterte, musste er tief in die Tasche greifen. 10.000 Euro blätterte für eine neue Wohnung samt Basisausstattung hin. Nach acht Monaten kehrte er schon zurück. Seine Ehe hatte sich in der Distanz wieder gefangen. „Ich habe einen Haufen Geld verloren – aber eine Geschäftsidee gewonnen. Denn kriselnde Paare gibt’s hier haufenweise.“ Im Papaladen fragen jeden Monat 50 bis 60 Väter an, die vor der Trennung stehen.
Erst wird lange gewartet, dann wird lange gestritten
Mal ist die Umstellung von romantischer Liebe auf Kleinfamilie mit Kind zu schwer zu schaffen. Mal rutscht die Beziehung in die Krise, weil Anerkennung durch Beruf besser funktioniert als durch ein Baby. Oft geht es ums Sorgerecht. Die Verläufe der Krisen ähneln sich: Erst wird lange gewartet, dann wird lange gestritten – schließlich muss einer sofort gehen. Und das ist, in aller Regel, der Mann.
Schreiners erster Kunde war Felix Paul. Er hatte an einem langen Wochenende, bei dem er mit einem Freund über seinen Dauer-Beziehungsknatsch redete, von der bevorstehenden Eröffnung derMännerpension erfahren. „Ich bin vier Wochen später eingezogen, teilmöbliert, mit Büro und voll ausgestatteter Küche. Das hat zwar nicht meine Beziehung gerettet – aber mich und die Kinder.“ Paul wohnte nur einen Steinwurf von der Wohnung entfernt, die er sich mit der Mutter seiner Kinder gekauft hatte. „Die Rettung“, sagt Paul. „Vorher hatten wir zwei Jahre immer schlimmer werdenden Zermürbungskrieg.“
Über 3.000 Männer nutzen Jahr für Jahr eines der Angebote des Papaladens. Marc Schulte kennt also die Bedürfnisse der Väter – besonders im Prenzlauer Berg. „Hier ist vieles mehr Schein als Sein. Man lebt sehr im Außen, wo man zeigen muss, dass man alles im Griff hat.“ Hinter der glitzernden Fassade der schicken Anzüge, Visitenkarten und Smartphones ist die Beziehungsrealität oft grau. „Wir bieten Vater-Kind-Ausflüge an, die werden immer beliebter. Dort zählt kein Status, da können die Väter zeigen, dass sie ein Herz haben – und wirklich Zeit für ihre Kinder.“
Keine Kultur des Vaterseins entwickelt
Obwohl viel vom neuen oder modernen Mann gesprochen wird, ist auch für diese Herren Machtlosigkeit schwer auszuhalten. Das gilt vor allem dann, wenn es um das Sorge- und Aufenthaltsrecht für ihre Kinder geht. „Ich halt`s nicht mehr aus, ich haue jetzt mit der Faust auf den Tisch“, hatte Texter Paul nach Monaten des Stillstands und der Ungewissheit über das Sorgerecht in der getrennten Paarberatung gesagt. „Sie hauen nirgendwohin, und schon gar nicht mit der Faust“, antwortete der Coach. „Sonst sehen sie ihre Kinder nie wieder.“
Marc Schulte lächelt, wenn er die Geschichte vom „Auf-den-Tisch-hauen“ hört. Das ist die große Leerstelle bei den Männern, sie schwanken zwischen Hau-Drauf und Weichei. „Was ich bei den Vätern vermisse, ist dass sie eine Haltung haben“, sagt der Erfinder des Papaladens. Die Männer machen ganz lange, ganz viel mit. Dann regen sie sich mächtig auf – und wollen sich sofort trennen. „So kommen sie zu uns und merken: Wenn man Kinder hat, trennt man sich nicht einfach so. Wer weiter was mit seinen Kindern zu tun haben will, braucht oft einen langen Atem und muss sich regelrecht gegenüber der Mutter beweisen.“
Viele Väter lamentieren über das Sorgerecht, dass ihnen keine Chance lasse. Das stimmte zwar lange Zeit. Katarina Barley (SPD) ist die erste Familienministerin, die getrennten Vätern mehr Rechte geben will – und Steuererleichterungen. Aber der zelebrierte Kampf um Aufenthalt und Umgang verdeckt auch etwas: Viele Männer haben keine Kultur des Vaterseins entwickelt, des Spielens mit ihren Kindern, des Alltags, gemeinsam sinnvoll Zeit zu verbringen. „Trennungen, am besten temporäre, sind eine einmalige Chance für Väter“, findet Papaladen-Macher Schulte. „Sie können lernen, verantwortlich für ihre Kinder zu sein. Dann können sie sich nicht mehr hinter der Mutter oder schönen Dingen verstecken.“ Das heißt zum Beispiel zu beweisen, ohne Hilfe einen Kindergeburtstag mit Kennenlernen und Spielen und gutem Essen organisieren zu können.
„Ich habe nie daran gedacht, meine Kinder allein zu lassen“
„Wenn es das damals gegeben hätte“, sagt Andreas Leutert zur Trennungspension, „hätte ich mir viel Geld gespart und vielleicht heute ein anderes Verhältnis zu meiner damaligen Freundin.“ Der kaufmännische Angestellte steht für ein neues Bild von Mann. Die Mutter seiner Kinder trennte sich, da war der ältere Sohn vier Jahre, der mittlere zwei, die Tochter gerade geboren. Leutert aber machte sich nicht aus dem Staub. Er nahm sich erst eine kleine Wohnung, später eine größere und blieb immer in der Nähe – weil er sich um seine Kinder kümmern wollte. „Ich habe nie daran gedacht, meine Kinder allein zu lassen“, sagt Leutert. „Ich nehme in Kauf, dass das ein Dasein am Rande des Ruins ist.“
Pensionsbesitzer Ludger Schreiner hat für seine oft irritierten Bewohner ein paar Verhaltensmaßregeln. Zum Beispiel schaltet Schreiners drahtlose Netzanbindung in der Pension zwischen 0 und 6:30 Uhrautomatisch ab. „Die Hass-Mails mitten in der Nacht sind die größten Beziehungskiller“, berichtet Schreiner. „Solange das W-Lan rund um die Uhr lief, hatte ich morgens regelmäßig übernächtigte, heulende, wütende, kaputte Kerle in meiner Pension“. Die Mailabstinenz über Nacht bewirkt dagegen Wunder. Aber wie kann das funktionieren in Zeiten von Smartphones und Datenflatrates? In jeder Wohnung befindet sich ein Safe mit Zeitschaltuhr. „Die meisten legen ihre Zaubergeräte da von ganz allein rein“, sagt Schreiner.
Mehr an Therapie braucht Schreiner nicht anzubieten. Immerhin hat der Prenzlauer Berg die komplette Infrastruktur von körperlicher und psychischer Wellness im Angebot. Hier gibt es Muckibuden, vor Yoga- und Thai-Chi-Kursen kann man sich kaum retten, und selbstverständlich gibt es auch Massagen – in allen Varianten. „Ins Bordell würde unter normalen Bedingungen keiner der Väter einen Fuß hineinsetzen“, sagt Schreiner. „Dafür ist der Sekt viel zu schlecht und das Publikum zu prollig. Aber in dem Zustand, in dem sich einige befinden, ist das offenbar ein Ventil“.
Ludger Schreiner ist längst mehr als Ladenbesitzer und Beziehungsraum-Makler. Er hat über seine Kunden das ganze Feld von Leben, Lieben und Wohnen kennen gelernt. Mit einigen der älteren Väter im Übergang, die knapp bei Kasse sind, hat er jetzt die logische Fortsetzung der Männerpension im Auge: Die Alten-WG, die dann allerdings nicht mehr im Prenzlauer Berg liegt, sondern in Marzahn. „Für große Wohnungen sind die Preise hier zu hoch, außerdem haben viele die Schnauze voll vom pseudoelitären Getue und den vielen Kinderwägen.“ In Marzahn aber gibt es viel Leerstand. „Ab und zu kommen die dann in den Prenzlberg gefahren, um einen Flat-White mit Soja-Milch zu trinken – und sich über die verrückten Mütter lustig zu machen.“
*Die Männerpension gibt es in Wahrheit nicht, den Papaladen und Marc Schulte sehr wohl. Alle Fallgeschichten sind real, die Namen der Trümmermänner allerdings geändert
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Zum zehnjährigen Bestehen feiert das Berliner Väterzentrum am Samstag, 23. September eine Papa-Party für die ganze Familie auf der Marie. Das Programm findet Ihr hier.
Christian Füller ist Journalist und Buchautor und lebt in Prenzlauer Berg. Er war bis vor kurzem Chefredakteur der Wochenzeitung Der Freitag und schrieb unter anderem für die Frankfurter Allgemeine, taz, Spiegel und Welt am Sonntag.
Der Artikel ist im Jahr 2014 schon einmal in anderer Version in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung erschienen.