Stadt ohne Privatautos – der Wiener Verkehrsprofessor Hermann Knoflacher hat radikale Ideen. Was das für Prenzlauer Berg bedeuten würde, hat er uns im Interview erzählt.
Berlin ohne Autos. Für Herrmann Knoflacher ist das keine Vision, sondern nur logisch für eine lebenswerte Stadt. Der 77 Jahre alte Professor geht selbst noch zu Fuß – oder nutzt seine „Chauffeure“.
Herr Knoflacher, was haben Sie gegen Autos in Städten?
Hermann Knoflacher: „Es ist eindeutig nachweisbar, dass der Platz in der Stadt massiv ungerecht verteilt ist. Das Auto ist im Vorteil, im Nachteil sind Fußgänger, Radfahrer und der öffentliche Nahverkehr. Damit schadet die Stadt sich letztlich selbst.“
Warum?
Knoflacher: „Das Auto ruiniert die Lebendigkeit der Städte und Kommunen. Die Luft ist schlecht. Kinder haben keinen Lebensraum vor der Haustür, sondern müssen in Kindergärten wie in Käfigen eingesperrt werden. Und so geht das im Grunde weiter bis zum Altersheim. Das ist doch keine Art des Lebens. Zehntausend Jahre verlief Stadtgeschichte völlig normal, bis vor rund 60 Jahren das Virus Auto die Köpfe der Stadtplaner befallen hat. Inzwischen steuert das Auto unsere Weltsicht. Arbeitsplätze und Geschäfte wurden verdrängt. Es gibt zu wenig Wohnungen.“
Wie sähe denn Ihre Lösung aus? Prenzlauer Berg liegt recht weit in der Innenstadt.
Knoflacher: „Eine Stadt ist für Menschen gedacht und in ihr gibt es keinen Platz für Privatautos. Der Ausweg ist: Die Autos werden am Rande der Stadt abgestellt. Der Lebensraum der Menschen ist dann frei vom Autoverkehr. Das heißt aber nicht, dass dieser Raum komplett autolos ist. Es dürfen noch Lieferfahrten hinein in die Städte, Notfahrzeuge und Autos für Behinderte.
Alle Autofahrten im öffentlichen Auftrag und zum Dienste der Menschen sind erlaubt: Das Auto ist schließlich eine Bewegungsprothese. Das entspricht aber nur etwa 4 Prozent der heutigen Autofahrbewegungen.“
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Und was machen die Menschen dann mit ihren Privatautos?
Knoflacher: „Die stehen an der Stadtgrenze in Parkgaragen. Bei Bedarf können die Besitzer mit einer Webcam schauen, wie es ihren Schätzen geht. Man muss dann seine Gewohnheiten ändern und mit Bussen oder Fahrrädern dorthin fahren. Zu nutzen sind die Autos dann nur für Überlandfahrten. Seien wir ehrlich: Eine Verdrängung der Autos findet ja jetzt schon statt. Man kommt nicht mehr in die Innenstädte so wie vor einigen Jahren – und man muss zusätzlich Geld zahlen.“
Wie soll das konkret laufen, sagen wir mit einer Familie mit drei kleinen Kindern?
Knoflacher: „Das ginge gut. Alle Städte der Welt bestehen aus ganz vielen Dörfern, die Nachbarschaften heißen. Diese Nachbarschaften würden ohne Autos wieder aufleben, weil mehr Geselligkeit möglich ist und es mehr Platz gibt. Der Arbeitsplätze der Eltern könnten um die Ecke sein. Einkaufen wäre auch in unmittelbarer Nähe. Kinder könnten unten auf der Straße spielen. Man würde den Nachbarn kennen.“
Wie früher?
Knoflacher: „Ja, so ähnlich wie früher.“
Wie bewegen Sie sich denn selbst fort?
Knoflacher: „Ich bewege mich zum Glück immer noch zu Fuß. Oder mit dem Fahrrad. Ich wohne 20 Kilometer von Wien entfernt. Ich besitze einen Anhänger, um Holz zu transportieren. Und ich fahre jeden Tag mit drei Chauffeuren in die Innenstadt. Ich habe einen Bus-Chauffeur, einen Lokomotivführer und einen U-Bahn-Fahrer. Mit dem Auto würde ich mindestens genauso lange brauchen.“
Wie stehen Sie denn zum Car Sharing?
Knoflacher: „Das wäre eine Übergangslösung. Ich halte mein Konzept nicht für extrem oder für eine Vision. Aber ich verstehe, dass es für einige Menschen extrem erscheinen mag. Unsere Gesellschaft ist vom Auto-Virus befallen.“
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