Umwandlung: Theater wird zu „Hotel Berlin“

von Anja Mia Neumann 31. August 2016

Das Ballhaus Ost in der Pappelallee empfängt jetzt Hotelgäste. Schon stehen überall Betten. Der Regisseur selbst wurde einmal durch einen Investor aus seiner Wohnung verdrängt.

In den Theaterferien wurde das Ballhaus Ost umgebaut – in ein Hotel. Wo einst Künstlergarderoben, Werkstätten und Bühne waren, stehen jetzt 75 Betten. Wer will, kann im neuen „Hotel Berlin“ in der Pappelallee übernachten. Die Komfort-Kategorie „Aura“ kostet 15 Euro, ermäßigt 10 Euro pro Nacht, die Kategorie „Kraft des Kollektivs“ für den eigenen Schlafsack ist für 13 Euro oder 8 Euro zu haben.

Mit der Umwandlung zum Hotel will sich das Theater selbst retten. Der Grund? Das Ballhaus Ost sei das einzige noch unsanierte Haus in der Pappelallee, sagt Regisseur Stefan Nolte. „Es ist nur eine Frage der Zeit bis der Investor kommt.“ Deswegen macht es das Theater nun ganz wie viele Ferienwohnungsvermieter: Und bietet die eigene Bleibe als Unterkunft an.

 

Es geht um die Inszenierung von Gentrifizierung

 

Was so unglaublich klingt, ist tatsächlich eine dramaturgische Inszenierung zum 10. Theatergeburtstag. „Wir spielen ein Szenario aus einer fiktiven Geschichte mit realen Elementen“, erklärt Theatermacher Nolte. Zusammen mit seinen Kollegen des Künstlerkollektivs Recherchepraxis hat er das Theaterstück „Hotel Berlin“ erdacht. So man das als Theaterstück bezeichnen kann. In Wahrheit ist es eine Art Dokumentation mit wahren Geschichten und mit Schauspielern – die den Blick in die Zukunft wirft.

Übernachtungskategorie Nummer 3. Foto: Nora Jentzsch / Hendrik Scheel

 

Es geht um Gentrifizierung. Und um die Kritik daran auf einer Meta-Ebene. Auf den ersten Blick alles nicht so einfach zu verstehen, deswegen ein paar Fakten:

 

  • Das mit dem Übernachten ist ernst gemeint. Geplant ist auch ein gemeinsames Abendessen und ein Frühstück. Jeder bekommt ein Bett. Ob man wirklich bis morgens um 9 Uhr bleibt, kann man aber auch im Laufe des Abends erst entscheiden.
  • Alles startet mit dem Check-In um 20 Uhr. Und dann sollte man sich als Besucher treiben lassen. Es gibt ein Programm bis Mitternacht, mit Führungen durch das Haus von den Schauspielern und so etwas wie „Anti-Gentrification-Workshops“. Auch eine Zauberberg-Probe auf der Bühne steht an: „Die einzige klassische Theatersituation“, sagt Nolte.
  • Eine Architektin stellt Ideen für den Umbau des Theaters vor: eine Schauspielerin, aber echte Pläne. Auch authentische Gäste wirken mit, zum Beispiel ein alter Zirkusartist, der seit 56 Jahren in Prenzlauer Berg lebt und im Ballhaus Ost sein Notquartier hat, weil er den Kampf als letzter Mieter eines Hauses um die Ecke führt.
  • Realität und Fiktion: Alles verschwimmt etwas. „Es ist ein performativer Theaterabend“, erklärt Nolte. „In den gerät der Besucher hinein und wird verwickelt. Erst im Lauf der Zeit kann er verstehen, worum es wirklich geht.“

 

Hinter der Idee von „Hotel Berlin“ stecken knallharte Erfahrungen des Regisseurs. „Ich war von der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen selbst betroffen, samt kriminellen Machenschaften wie Brandstiftungen“, erzählt Nolte. Er habe mitbekommen, wie ältere Menschen mit einer Flasche Sekt und gar nicht gleichwertigen Ersatzwohnungen entschädigt wurden. Letztlich zog er selbst aus.

„In der Pappelallee hat es in den letzten Jahren einen Bevölkerungsaustausch von 90 Prozent gegeben“, sagt Nolte. Bald könnte von der Verdrängung auch das Ballhaus Ost betroffen sein. Und auch die Touristen veränderten die ganze Stadt und vor allem auch Prenzlauer Berg. Die Ferienwohnungen – die es nach wie vor gibt und weiter geben wird – läuten nach Ansicht von Nolte eine neue Phase der Gentrifizierung ein: „Ganz Berlin wird zu einem Hotel.“

 

 

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