Im „Rummelplatz“-Projekt der Schaubude improvisieren Geflüchtete jenseits sprachlicher Barrieren mit Gegenständen. So soll gesellschaftliche Teilhabe entstehen. Ob das funktioniert?
Es schneit, es gibt Dinge, und es fallen Sätze. Auf dem Weg zur Schaubude behauptet die Sparkasse: „Verstehen ist einfach“. Der Laden neben der Schaubude befiehlt: „shop dich glücklich“. Gegenüber leuchtet Aldi hell. Ein Ding nach dem anderen wird jetzt auf die dunkle Bühne getragen. Ein Hut auf einem Kissen. Ein Koffer. Ein umgekippter Stuhl. Ein Regenschirm. Und ein Apfel, der sich unter einem Buch versteckt, als wäre es ein Haus. Ein Besen erhebt sich, wird fallengelassen. Spannung entsteht, wird fallengelassen.
Dies sei „nur ein Schnappschuss“ zum Thema „Die erste Begegnung mit Berlin“, hatte der Objekttheaterworkshop-Leiter Nis Søgaard vorher erklärt. Keine Vorführung im Sinne eines fertigen Ergebnisses. Es sind, im Rahmen des am 5. Januar gestarteten Langzeit-Projektes „Rummelplatz“, improvisierte Übungen, die Geflüchtete und nicht Geflüchtete mit Objekten anstellen.
Ein „intimer Bereich“
All diese Dinge sollen Geschichten freilegen, auf zweierlei Art: An vorgefundenen Gegenständen kristallisieren sich Geschehnisse. Und umgekehrt: Um bereits Erdachtes oder Erlebtes gruppieren sich Gegenstände wie um einem Magneten.
Ein „intimer Bereich“ sei da im Laufe weniger Tage entstanden, erläutert Søgaard, und man habe gemeinsam lange überlegt, ob man diesen Bereich nun, beim Hausfest, zeigen wolle. Man zeigt ihn also nicht. Statt einer Seelen-Inventur: Bauklötzchen-Basisübungen, von denen man im Zuschauerraum kaum etwas sieht. Dann die extended version mit dem Koffer und dem Regenschirm. Irgendwann sind es einfach zu viele Sachen, die Luft ist raus. „Ok, vielleicht reicht das auch“, bricht Søgaard ab und fragt entspannt ins Publikum: „Hat jemand eine Idee für einen Titel?“
Jemand schlägt etwas vor, nicht auf deutsch, viele lachen, jemand übersetzt: „Wer räumt das alles auf?“ Kichern jetzt auch im deutschsprachigen Teil des Publikums. Die Ordnung der Dinge. Man ist wohl tatsächlich in Prenzlauer Berg angekommen.
Schön auf dem Teppich bleiben und bloß nicht aus dem Rahmen fallen
Auf der kleinen Nebenbühne ist die Sicht besser. Dort zeigt Sandy Schwermer vorläufige Ergebnisse ihres Gestaltungsworkshops „Teppich“: Menschen stellen sich wie bei einer Séance im Kreis um besagtes Textil und legen die Hände auf eine imaginäre Tischplatte. Schieben einander einen unsichtbaren Ball zu. Hüpfen auf verschiedenerlei Art über den Teppich. Schwermer legt ein mit kryptischen Zeichnungen versehenes Papier auf den Teppich und pult dann eine Paketschnur aus ihrer Hosentasche. Sie gibt sie einem Teilnehmer. Der misst Abschnitte auf dem Faden ab und nennt dabei Namen von Obstsorten. Auf die Frage an den Fadenhalter, was Trauben und Kirschen gemeinsam hätten („die Größe“), wird auf eine Stelle auf dem Teppich-Papier gezeigt. Jemand hält einen leeren Rahmen vor die Gruppe. Nun denn.
Die meisten im Publikum schauen wohlwollend-gebannt, als gebe es hier, bei den wortlosen Dingen, endlich eine wie auch immer gestaltete metaphorische Antwort auf all die vergifteten Schlagworte Flüchtling/ Geflüchteter. Gutmensch. Hauptstadt der Versager. Verstehen müsste doch so einfach sein. Und ist doch so oft eine Zumutung, eine Grenzüberschreitung. Für beide Seiten.
Tanz die Integration
Eigentlich sieht man nämlich einem beinah therapeutischen Prozess zu, mit seinen Aufstellungen und Objektivierungen von inneren Anteilen. Integration und Sozialkompetenz – Binsenweisheit – fangen ja bei jedem Einzelnen an, beim Verständnis, das er oder sie für sich selbst aufbringt. Das Theater und seine Fachleute für psychodynamische Techniken sind nicht umsonst längst auch von der Coaching- und Marketing-Industrie gekapert, auf dass sich Arbeitnehmer und Kunden den ökonomischen Anforderungen immer geschmeidiger anpassen. Doch im sozialpädagogischen Bemühen, dem möglichst zweckentbundene Freiräume entgegenzusetzen (aber mit ganz ähnlichen Mitteln), liegt auch die Gefahr künstlerischer Beliebigkeit.
Es bleibt trotzdem spannend, was aus den Freiräumen in der Schaubude noch entstehen mag. Außer dem Objekttheater- und Gestaltungsworkshop gibt es noch eine Schreibwerkstatt. Es wird gezeichnet und musiziert, in der Stadt werden Sounds aufgenommen, die Laune der Teilnehmer, das war am Hausfest am Samstag deutlich zu spüren, ist gelöst. Am Ende gibt es noch ein wenig Tanz. Hops dich glücklich. Nur in den hinteren Reihen des stramm besetzten Theaters sitzen ernst und vielleicht auch etwas ratlos ein paar Jungs, mit denen niemand spricht.
Weitere Termine: 21. bis 31. März, Hausfest Nr. 2: 2. April 2016. Weitere Termine sind geplant für Sommer und Winter 2016.
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