Am Freitag eröffnete das Festival „Around the World in 14 Films“ zum ersten Mal in der Kulturbrauerei. Bis zum 6. Dezember präsentieren Paten die Höhepunkte des aktuellen Festivaljahrs.
Prenzlauer Berg ist für viele da draußen ja der zugezogene Schnösel Berlins. Hält sich für den Nabel der Welt, bespiegelt sich ständig selbst und so. Angesichts der anwachsenden babylonischen Sprachvielfalt zwischen Mauerpark und Märchenbrunnen verstärkt sich dieser Eindruck, dass die ganze Welt hier ist, hier sein will. Und jetzt ist auch noch das Weltkino-Festival „Around the World in 14 Films“ zum zehnjährigen Jubiläum von Mitte nach Prenzlauer Berg umgezogen, vom Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz in die Kulturbrauerei. War doch irgendwie klar.
Die Kulturbrauerei hat viele Vorteile. Zum Beispiel einen Weihnachtsmarkt
Man kann den Umzug natürlich symptomatisch sehen (für was? Verbürgerlichung?). Für den Festivaldirektor Bernhard Karl vereint die Kulturbrauerei („das schönste Kino Berlins“, wie er bei der Eröffnung sagte) vor allem viele praktische Vorteile: Es gebe eine „Breitenwirkung“ etwa durch den Weihnachtsmarkt nebenan, und die technische Ausstattung sei einfach besser.
Nicht zuletzt geht es um die Saalgrößen: „Einen Saal mit 500 Plätzen kriegst du mit einem zweistündigen indischen Autorenfilm nicht voll, selbst wenn ihn Wim Wenders vorstellt, und ein kleiner Saal für 50 Leute ist schnell überfüllt“. Demgegenüber seien die Säle in der Kulturbrauerei für ein solches Event perfekt: 75 und 250 Plätze.
Wer mag, kann sich auch darüber den Kopf zerbrechen, ob die Kulturbrauerei als Multiplexkino für große Kunst zu glatt ist, wäre dann aber wieder bei der Prenzlauer Berger Nabelschau. Wer stattdessen die Bandbreite filmkünstlerischer Positionen der interessantesten Regisseure zwischen Thailand und Jordanien entdecken will, wie sie 2015 auf den Filmfestivals in Cannes, Locarno oder Toronto liefen, und wer dabei noch die Macher selbst kennenlernen möchte, hat dazu noch bis zum 6. Dezember Gelegenheit: fußläufig, auf relativ bequemen Sesseln und mit Untertiteln, die der Vordermann nicht mit seinem Männerdutt verdeckt. Hat was.
Nicolette Krebitz, Filmpatin in goldenen Schuhen
Filmpatin Nicolette Krebitz kam zur Eröffnung in goldenen Schuhen zum schlichten schwarzen Kleid, es war der passende Ton für den Auftakt zu einem Festival „angesichts der Ereignisse der letzten Wochen“, wie Bernhard Karl die Anschläge von Paris nur andeutete. Um abschließend zu betonen, dass es umso wichtiger sei, den Blick für andere Länder zu schärfen. Filmästhetisch eher karg als schwelgerisch fiel die Eröffnung denn auch aus, mit dem französischen „La Loi du Marché – Der Wert des Menschen“ von Stéphane Brizé: Wackelkamera-Sozialkritik, Laiendarsteller, Bilder aus Überwachungskameras. Das Überwachen macht aber auch keinen Spaß: Vincent Lindon als kummervoller Kaufhausdetektiv in „La Loi du Marché – Der Wert des Menschen“ von Stéphane Brizé. Foto: Nord-Ouest Films
Hauptdarsteller Vincent Lindon war gekommen, und es gab nach der Vorführung eine fast slapstickhafte Szene, als die Dolmetscherin schmetterlingshaft zwischen Lindon und Krebitz hin und her huschte, um ihnen jeweils ins Ohr zu flüstern, was der andere sagte – Kichern im Saal und auf der Bühne, Wechseln ins Englische, Lindon redet sich fast in einen monologischen Rausch.
Solche Begegnungen zwischen Glamour, Ernst und Verstrahltheit machen den Reiz von „14 films“ aus. Pro Landstrich gibt es einen Film, ein Pate oder eine Patin präsentiert ihn. Eine Art „intellektuelles Volksfest“ solle es sein, sagt Bernhard Karl. Es sensibilisiert ja auch sehr schön für die Paradoxien auf dieser Welt, wenn man sich also an einem Glühwein wärmt, bevor man sich selbst in die Wüste schickt. Um zum Beispiel den offiziellen Auslands-Oscar-Beitrag Jordaniens zu sehen, Naji Abu Nowars Abenteuerfilm „Theeb“.
Lauter als Bomben, erhellender sowieso
Menschen bewohnen fremde oder irreale Räume, fallen aus oder durch die Zeiten, geraten in fließende Identitäten oder nehmen Worte für bare Münze. Wie Geraldine Chaplin in der homoerotischen Südsee-Liebesgeschichte „Sand Dollars“, wie Scheherazade in Miguel Gomes’ „Arabian Nights“ oder wie Isabelle Huppert als tote Kriegsfotografin in Joachim Triers „Louder than Bombs“. Wie die junge Lehrerin in „Paradise“ (von der Iranerin Sina Ataeian Dena), die sich wie ferngesteuert durch die Teheraner Welt voller Verbote bewegt. Oder wie die schlafenden Soldaten in „Cemetery of Splendour“, dem neuen Meisterwerk des thailändischen Cannes-Gewinners von 2010, Apichatpong Weerasethakul.Sie ruhen, die Vergangenheit aber schläft nicht: In Apichatpong Weerasethakuls „Cemetery of Splendour“ leiden Soldaten an einer seltsamen Schlaf-Krankheit. Foto: Kick the Machine Films
Bei Weerasethakul kämpfen Soldaten, die nicht mehr oder nur noch sporadisch aufwachen, im Schlaf für längst gestorbene Könige. Unsichtbare Schlachten versunkener Reiche zehren sie aus, die Vergangenheit sitzt parasitär in den Köpfen, sie ist auf rätselhafte Weise gegenwärtig.
Das führt dann ja auch direkt zu der „German Night“, die es traditionell bei „14 films“ gibt: In „Der Nachtmahr“ wird eine 17-Jährige nach einer Party von einem extrem hässlichen Wesen verfolgt, „Babai“ reist ins Vorkriegs-Kosovo der 1990er Jahre. Als Paten fanden sich Dominik Graf und Rüdiger Suchsland (am Donnerstag, 3.12.).
Also doch: 14films goes bürgerliche Mitte
Am heutigen Montagabend läuft sogar eine Weltpremiere: Anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der deutsch-israelischen Beziehungen, im Rahmen des „Israel Special Event“, präsentiert der Regisseur Matthias Tiefenbacher seinen TV-Krimi „Shiv’a“ über eine Berliner Kriminalkommissarin mit jüdischen Wurzeln. Es geht um Liebe und Religion und Vergangenheit und die Frage: Sind neue Anfänge wirklich möglich?
Ja, sagt Bernhard Karl dann noch, er verbinde mit dem Wechsel nach Prenzlauer Berg schon auch die Hoffnung „auf eine Breitenwirkung beim bürgerlichen, nicht mehr ganz so jungen Publikum“. Es sei aber trotzdem nicht so, dass man damit die Jüngeren ausschließe. Man kann sich ungefähr ausmalen, wie viele Spagate man in seiner Position machen muss, um so ein Festival zu dem Erfolg zu führen, der es ja dann auch geworden ist.
Und dann sagt Bernhard Karl noch den einen, schönen Satz über Apichatpong Weerasethakul, der ein wahnsinnig netter Mensch sei, „wie viele der wirklich Großen“: „Er glaubt an mehr als den Erfolg.“
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