Einige der gefährlichsten Orte für Radfahrer in Berlin liegen in Prenzlauer Berg. Hier sind mehr Leute auf dem Rad unterwegs als anderswo – das sorgt für Konflikte.
„Wir brauchen mehr Platz für Radfahrer“, sagt Bezirksstadtrat Jens-Holger Kirchner (Grüne). Das klingt wie ein Allgemeinplatz, gerade in Prenzlauer Berg, wo das ökologische Gewissen einen Platz hat. Doch im vermeintlichen Umweltbezirk mutiert der tägliche Weg auf dem Rad zur Arbeit schnell zum verbissenen Straßenkampf. Ob es die Schönhauser Allee ist, mit ihrem großzügigen, aber gefährlichen Radwegen, die Danziger Straße mit ihrem halbfertigen Radstreifen oder die Kastanienallee mit ihrer eigentümlichen Kombination aus Radspur und Straßenbahngleis – immer wieder kommt es zum Konflikt zwischen Radfahrern, Autofahrern und Fußgängern.
Dass die Auseinandersetzungen auf der Straße größer werden, hat einen simplen Grund: Der Radverkehr weist enorme Steigerungsraten auf, in Prenzlauer Berg liegt der Anteil der Radfahrer am Gesamtverkehr in Spitzenzeiten bei über 40 Prozent, normal sind sonst zehn bis 15 Prozent, selbst Friedrichshain-Kreuzberg bringt es als Gesamtbezirk nur auf knapp 25 Prozent. Die Kastanienallee ist wohl die einzige Hauptverkehrsstraße Berlins, in der regelmäßig mehr Rad- als Autofahrer gezählt werden. Prenzlauer Berg fällt nicht nur zahlenmäßig eine Vorreiterrolle in Berlin zu: Hier sei für Radfahrer in den vergangenen Jahren auch am meisten getan worden, findet zumindest Arvid Krenz, der Landesradverkehrsbeauftragte des Landes Berlin. Er sagt aber auch: „Die Infrastruktur kommt an ihre Grenzen.“
Die Schönhauser Allee genießt einen zweifelhaften Ruf
Einer der gefährlichsten Orte für Berliner Radfahrer liegt in Prenzlauer Berg. Es ist die Kreuzung Schönhauser Allee/Danziger Straße am U-Bahnhof Eberswalder Straße. Sie belegt auf einer Rangliste des Senats Platz zwei der unfallträchtigsten Kreuzungen. Dort verzeichneten Verkehrsforscher besonders viele Abbiegeunfälle. In den vergangenen Jahren wurde die Kreuzung zwar sukzessive umgebaut, mit Radfahrerampeln, eigenen Abbiegespuren und Tramquerungen. Doch die Schönhauser Allee genießt in Radfahrerkreisen weiterhin einen zweifelhaften Ruf. In den 90er Jahren war sie genauso wie die Prenzlauer Allee mit Millionenaufwand umgebaut worden. Seitdem werden beide Magistralen von rot gepflasterten Radwegen flankiert. Radfahrer werden auf den Bürgersteig gelenkt und damit vom Autoverkehr getrennt. Doch Radexperte Krenz sagt: „Die Schönhauser Allee ist ein Unfallschwerpunkt.“
Das hängt vor allem damit zusammen, dass Autofahrer beim Rechtsabbiegen oft Radfahrer übersehen, die sich wiederum auf dem abgetrennten Radweg besonders sicher fühlen. Jeder zweite tödliche Unfall von Radfahrern steht statistisch in Zusammenhang mit dem toten Winkel bei Autos. Zwar müssen neuere Lkws mit zusätzlichen Spiegeln ausgerüstet sein, doch noch 2009 starb an der Kreuzung Danziger Straße/Prenzlauer Allee eine 34-jährige Radfahrerin, die von einem Lkw überrollt wurde. Auf der Schönhauser und der Prenzlauer Allee identifiziert der Radverkehrsbeauftragte Krenz weitere potenzielle Gefahrenquellen. Zum einen würden Radfahrer auf den Radwegen teilweise in der falschen Richtung fahren und sich selbst gefährden, zum anderen verleite die leicht abschüssige Straßenführung zu unangemessenen Geschwindigkeiten.
Radfahrer weichen auf den Bürgersteig aus, weil ihnen der Radstreifen zu unsicher erscheint
Als Alternative zum Konzept der Radwege aus den 80er und 90er Jahren gilt inzwischen die Markierung von Radstreifen auf der Fahrbahn selbst. Das wurde auf Teilen der Danziger Straße so praktiziert – und auch auf der Kastanienallee ist eine solche Markierung geplant, was zum Unmut bei Anwohnern und Gewerbetreibenden führt. So wird argumentiert, dass Radfahrer auf dem Radstreifen trotz Sicherheitsabstand in sich öffnende Autotüren hineingeraten könnten. Außerdem sind viele Radstreifen als „Angebotsstreifen“ konzipiert, das heißt, dass Parken in zweiter Reihe möglich ist – eine Situation, die schon jetzt auf der Danziger Straße zum Alltag gehört. Immer wieder lässt sich deshalb beobachten, dass Radfahrer verbotenerweise auf den Bürgersteig ausweichen, weil ihnen das Hin- und Herfahren auf der Straße selbst zu gefährlich erscheint.
Ein drittes Konzept der innerstädtischen Radverkehrsführung wird demnächst ebenfalls in Prenzlauer Berg zu studieren sein, denn die Choriner Straße soll in ihrem Parallelverlauf zur Kastanienallee eine Fahrradstraße werden. Radfahrer dürfen dort dann auch nebeneinander fahren und sich gegenüber Autofahrern bevorrechtigt fühlen. Den Radverkehr in Prenzlauer Berg, der sich vor allem in Richtung Mitte orientiert, soll das nochmal nach vorne bringen. Der Radbeauftragte Krenz sieht allerdings weiterhin Defizite: „Es fehlt noch ein wirkliches Netz von Fahrradstraßen in Berlin.“ Tatsächlich wird man auch aus der Choriner Straße heraus auf die Torstraße treffen, die wie eine Barriere wirkt, bevor dann in der Linienstraße eine weitere Fahrradstraße beginnt. Zumindest würde dann aber der chaotisch funktionierende Rosenthaler Platz umfahren. Wäre die Choriner als Fahrradstraße also nicht eine Alternative zur umkämpften Kastanienallee? Stadrat Kirchner sieht das nicht so: „Sie können Radfahrer nicht wirklich dazu zwingen, wo sie zu fahren haben und wo sie nicht rein sollen. Oder käme vielleicht umgekehrt irgend jemand auf die Idee, aus denselben Gründen eine große Straße wie die Frankfurter Allee für Autofahrer zu sperren?“