Fürsorgepflicht

von Thomas Trappe 18. Mai 2015

Können Vermieter von Ferienwohnungen verpflichtet werden, Obdachlose aufzunehmen? Der Bezirk prüft den Vorschlag. Und muss aufpassen, dass er nicht über sein eigenes Verbot der Zweckentfremdung stolpert.

Der Mann beim Verband bittet darum, sein spitzes Lachen nicht als Kommentar misszuverstehen. Was nicht ändert, dass es ein klarer Kommentar ist von Thomas Lengfelder, dem Geschäftsführer des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) in Berlin. Übersetzen wir die Reaktion Lengfelders auf den neuesten wohnungspolitischen Vorstoß aus dem Bezirk Pankow mal so: Die Idee, dass man Eigentümer von Wohnungen dazu verpflichten könnte, ihre Wohnungen Obdachlosen zu vermieten, sei eher lächerlich, „ganz ehrlich“. Man relativiert dann als Interviewer schnell und sagt, nein, verpflichten wollen die Grünen die Eigentümer dazu wohl nicht. Um dann, nach einem Telefonat mit der Initiatorin des Antrags festzustellen: Doch, genauso meinen Sie es. Die Grünen also wollen in Ferienwohnungen, legalen und illegalen, Obdachlose unterbringen. Notfalls gegen den Willen der Vermieter. Und das Bezirksamt prüft die Idee gerade. 

Die Ausgangslage: In Berlin gibt es zu wenig Wohnungen. Absehbar wird sich das noch verschlechtern, Prenzlauer Berg ist davon besonders betroffen. Das ist zu merken an steigenden Mietpreisen, aber eben auch daran, dass Menschen mit geringem oder gar keinem Einkommen hier keine Sozialwohnungen mehr kriegen. Verschärft wird der Trend, weil mehr Menschen untergebracht werden müssen, auch durch Zustrom aus Südosteuropa. Gerade wurden nach langem behördlichen Kampf vom Obdachlosenhilfe-Verein mob e.V. Container in der Storkower Straße aufgestellt, zuvor musste man die langjährige Obdachlosenunterkunft in der Prenzlauer Allee aufgeben. Bezirk und Sozialträger sind weit entfernt davon, das Problem zu lösen. Der Bedarf an Wohnungen steigt, das Angebot sinkt. 

 

Auch ungenehmigte Ferienwohnungen sollen einbezogen werden

 

Vor diesem Hintergrund brachte die Grünen-Fraktion bereits Anfang dieses Jahres einen Antrag in die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) ein. Das Bezirksamt, so der Antrag, solle prüfen, wie man Menschen ohne Unterkunft kurzfristig unterbringen könnte: In nicht belegten Sozialwohnungen, in städtischen und genossenschaftlichen Wohnungen – aber eben auch in Ferienwohnungen und leerstehenden Büro- und Gewerberäumen. Nach kleineren Änderungen wurde daraus der Beschluss, der jetzt in der jüngsten BVV von der Mehrheit der Fraktionen beschlossen wurde: Das Bezirksamt solle prüfen, „mit welchen Mitteln und unter welchen Umständen Potenziale für Menschen in Wohnungsnot zur Verfügung gestellt werden können“. Daniela Billig, Fraktionssprecherin der Grünen und Mit-Autorin des Antrags, kann sich da sehr viel vorstellen.

Nämlich eine Verpflichtung der Wohnungseigentümer, ihre Ferienwohnungen an das Amt zu vermieten und damit Wohnungslosen zur Verfügung zu stellen. „Ich bin keine Juristin, deshalb haben wir ja auch einen Prüfauftrag an das Bezirksamt übergeben“, sagt sie. Sie wolle Rechtssicherheit, so Billig. „Das Amt soll prüfen, unter welchen Voraussetzungen wir freie Ferienwohnungen requirieren könnten.“ Idealerweise, so die Bezirksverordnete, würden dabei ausdrücklich alle Ferienwohnungen berücksichtigt – also die offiziell genehmigten und die wohl weit zahlreicheren ungenehmigten, die vorzugsweise auf privaten Vermittlungsportalen wie Airbnb zu finden sind.

 

Zweckentfremdungsverbot kein großes Hindernis?

 

Daniela Billig weiß nicht, wie die rechtliche Prüfung ausgeht, sie hält aber eine Zwangsverpflichtung für machbar. Sollte dies vom Bezirksamt genauso beurteilt werden und die BVV anschließend einen entsprechenden Beschluss fassen, so ihre Vorstellung, würde „in einem zweiten Schritt“ das Bezirksamt recherchieren. Es würde prüfen, wo es freie Wohnungen oder Gewerberäume gibt und dann, wie auch immer, tätig werden. Und das ist das Szenario, das Dehoga-Geschäftsführer Lengfelder auflachen lässt. „Ich kann mir schlicht nicht vorstellen, dass es rechtlich möglich ist, einem Eigentümer die Pflicht zum Vermieten aufzuerlegen“, sagt er. Ganz anders würde er ein Modell, das auf Freiwilligkeit beruht, beurteilen. Nach seiner Erfahrung seien Ferienwohnungsvermieter sehr gerne bereit, mit dem Amt bei der Unterbringung von Sozialfällen zu kooperieren. „Das funktioniert in aller Regel sehr gut.“ Allerdings spricht die Dehoga nicht für Eigentümer ungenehmigter Ferienwohnungen, denen hat sie zusammen mit der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung den Kampf angesagt.

Und zwar mit dem sogenannten Zweckentfremdungsverbot – was den Beschlussantrag der BVV nicht einfacher macht. Denn während mit dem Prüfauftrag geprüft werden soll, wie man ungenehmigte Ferienwohnung sozial Bedürftigen zugänglich machen kann, ist die Zielsetzung des erst vor etwas mehr als einem Jahr in Kraft getretenen Zweckentfremdungsverbots eine ganz andere: Es soll ungenehmigte Ferienwohnungen vom Markt fegen. „Ein klassischer Zielkonflikt“, sagt dazu Jens-Holger Kirchner, Stadtrat für Stadtentwicklung und Parteifreund Daniela Billigs. Ein Zielkonflikt wenig dramatischen Ausmaßes allerdings, so Kirchner. Er wolle der rechtlichen Prüfung nicht vorgreifen, doch glaube er nicht, dass das Zweckentfremdungsverbot einer Unterbringung von Obdachlosen entgegenstehe. „Schon gar nicht, wenn es um eine dauerhafte Unterbringung geht.“ Von einer verpflichtenden Vermietung spricht Kirchner allerdings nicht.

 

„Beschäftigungstherapie für Bezirksamt“

 

Auch Torsten Kühne (CDU) nicht. Der Ordnungsamts-Stadtrat ist unter anderem für die Kontrolle des Zweckentfremdungsverbots zuständig. Er erklärt, dass „betreutes Wohnen zwar eine Form der Zweckentfremdung“ sei, in der Regel aber „zu den zu genehmigenden Zweckentfremdungen gehört, weil hier ein gesellschaftliches Interesse im Sinne einer sozialen Daseinsvorsorge besteht“. Dass Eigentümer gezwungen werden könnten, ihre Wohnungen zur Verfügung zu stellen, schließt Kühne jedoch explizit aus. „Wir brauchen natürlich für eine Unterbringung das Einverständnis der Eigentümer“, sagt er. Liege diese vor, spräche aber nichts mehr gegen eine Einquartierung von Obdachlosen. Das Land würde dann die Miete zahlen.

Wie lange die rechtliche Prüfung des BVV-Prüfauftrags dauern wird, können beide Stadträte nicht abschätzen. Vor dem kommenden Winter sollte es klappen, denn dann wird es absehbar wieder kritisch bei der Unterbringung von Wohnungslosen. Roland Schröder (SPD), Vorsitzender des Ausschusses für Stadtentwicklung und damit ebenfalls mit der Ausarbeitung des Antrags beschäftigt, sieht diesen eher skeptisch und hätte sich ein einfacheres Konstrukt gewünscht. „Der Bezirk sollte eruieren, wie viele Plätze gebraucht werden und diese dann organisieren.“ Würde der Antrag wie von den Grünen intendiert umgesetzt, also mit dem Rechercheauftrag, leerstehende Wohnungen zu finden, befürchtet Schröder eine „Beschäftigungstherapie für das Bezirksamt“. Die Obdachlosen hätten davon wenig, meint er.

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