Junge Menschen auf der Suche nach Sinn: In Prenzlauer Berg erfindet sich das Ehrenamt neu – als bürgerschaftliches Engagement. Ein Besuch bei der Freiwilligenagentur am Teutoburger Platz.
Ehrenamt – ein schönes Wort, aber vielleicht einfach zu verstaubt. Volunteering, das klingt selbstbewusster. Und bénévolat auf Französisch hört sich besser an. Beim Wort Ehrenamt kommt schnell der Turnverein in den Sinn, Schriftführer, Jahreshauptversammlung, Rechnungsprüfer, und so weiter. All das also, was in Prenzlauer Berg als ziemlich uncool gilt.
Vielleicht verzichtet die Freiwilligenagentur Prenzlauer Berg deshalb in ihrem Internetauftritt auf den Begriff. Und schreibt lieber von bürgerschaftlichem Engagement und gemeinnützigen Netzwerkstrukturen. Dass es das Ehrenamt in Deutschland nicht unbedingt leicht hat, bestätigt auch Esther Fehrenbach-Becker, die Leiterin der Freiwilligenagentur im Stadtteilzentrum am Teutoburger Platz. Sie sagt aber auch: „Das Ehrenamt erfindet sich im Moment neu.“
Junge Menschen aus Frankreich oder den USA sind aufgeschlossener
Warum das so ist? Zum einen gibt es engagierte junge Menschen aus Frankreich oder den USA, die nach Berlin, nach Prenzlauer Berg kommen, und für die es selbstverständlich ist, in ihrer Freizeit ohne Geld zu arbeiten. „Für sie ist es auch normal, dass man sich über einen längeren Zeitraum verpflichtet.“ Die Deutschen legten sich lieber oft nicht so gerne fest, sagt Fehrenbach-Becker. Das stelle sie immer wieder fest. Doch auch bei den Deutschen wandle sich die Sicht auf das Ehrenamt.
Seit rund zwei Jahren beobachtet Irene Beyer, Leiterin des von Pfefferwerk getragenen Nachbarschaftshauses, einen Trend, der vor allem junge, gut ausgebildete Menschen in die Sprechstunden der Freiwilligenagentur führt. „Viele sind beruflich erfolgreich, aber das reicht ihnen nicht aus. Sie möchten auch etwas für andere leisten, sie möchten ihr Wissen auch außerhalb des Berufs einbringen und sie möchten in ihrer Nachbarschaft Wurzeln schlagen.“
Es fehlt an lokalen Bindungen
Damit spricht Irene Beyer ein Problem an, das typisch ist für den Berliner Ankommbezirk Prenzlauer Berg und das sich durch den Bevölkerungswechsel in den vergangenen Jahren verschärft hat. Es fehlt an lokalen Bindungen, die Nachbarschaft ist oft unbekanntes Terrain. Allerdings spiegelt sich auch in den Anfragen bei der Freiwilligenagentur zunächst einmal das strapazierte Bild von Babyboombezirk wider: „Am besten nachgefragt sind bei uns Tätigkeiten im Kinder- und Jugendbereich“, sagt Fehrenbach-Becker.
Die Agentur bietet hier zum Beispiel Hilfe bei der Gartengestaltung in einer bilingualen Kindertagesstätte an, Dienste in einer Spielzeugwerkstatt für behinderte Kinder oder eine Mitarbeit im Kindermuseum. Es gibt auch Lesepatenschaften, Nachhilfestunden und den sehr beliebten Großelterndienst, der ebenfalls bei der Freiwilligenagentur im Angebot ist. „In Prenzlauer Berg sind die Wartelisten für Eltern, die den Großelterndienst in Anspruch nehmen möchten, natürlich sehr lang“, sagt Irene Beyer. Die Wahl-Großeltern sollten möglichst in der Nähe wohnen, und das ist in Prenzlauer Berg eben recht selten der Fall.
Im Angebot sind auch Altenheime und die Obdachlosenhilfe
In den Angeboten der Freiwilligenagentur kommt allerdings auch eine Seite zum Vorschein, die in Prenzlauer Berg nicht zum Straßenbild gehört. Freiwillige können sich in einem katholischen Altenpflegeheim engagieren, in der Obdachlosenhilfe einen Beitrag leisten oder Suchtkranke bei Kontakten mit Behörden unterstützen. „Wir haben viele niedrigschwellige Angebote, aber es gibt auch Bereiche, bei denen die Verantwortung größer ist, und die dementsprechend schwieriger zu vermitteln sind“, sagt Fehrenbach-Becker. Zum Beispiel gebe es auch ein Angebot, in dem eine Art Vormundschaft für Flüchtlingskinder in Berlin übernommen wird. Aktuell werden auch ehrenamtliche Vollzugshelfer mit vietnamesischen, chinesischen, portugiesischen oder spanischen Sprachkenntnissen gesucht, die sich um Inhaftierte kümmern.
Wie läuft eine Vermittlung durch die Freiwilligenagentur nun ab? Die Agentur bietet Sprechstunden an, bereits im Internet ist es möglich, sich einen Fragebogen herunterzuladen, in dem verschiedene Tätigkeitsbereiche abgefragt werden. Die Freiwilligenagentur vermittelt dann je nach Wunsch in eine gemeinnützige Einrichtung. In Zukunft ist auch geplant, die Freiwilligen während ihres ehrenamtlichen Engagements kontinuierlicher zu begleiten. „Im Moment hören wir am ehesten wieder von den Vermittelten, wenn etwas nicht klappt“, sagt Irene Beyer. In den meisten Fällen laufe das Engagement aber reibungslos.
Ohnehin wird sich für die Freiwilligenagentur in Zukunft noch mal einiges ändern, denn mit dem Ende des Zivildienstes rückt das bundesweite Modellprojekt „Freiwilligendienst aller Generationen“ stärker in den Blickpunkt. Freiwillige können sich darin für ein halbes Jahr verpflichten und im Gegenzug eine Qualifikation erwerben – „spätestens das wird das Ehrenamt noch einmal in einem ganz anderen Licht erscheinen lassen“, meint Fehrenbach-Becker. Wer sich zum Beispiel beruflich umorientieren möchte, könne sich im Ehrenamt entsprechend weiterqualifizieren. Mit steigenden Anfragen bei der Freiwilligenagentur ist also zu rechnen.
Die Freiwilligenagentur Prenzlauer Berg bietet montags zwischen 18 und 20 Uhr und nach Vereinbarung eine Sprechstunde an.