„Wir sollen ins Altenheim verschwinden“

von Thomas Trappe 15. Oktober 2014

Junge Pächter wollen frischen Wind in Prenzlauer Berger Kleingartenanlagen bringen, die Alteingesessene reagieren wütend. Ein Frontbericht.

Die ältere Dame wohnt in einer Prenzlauer Berger Luxuswohnung. Eigentlich ist es ein ganzes Haus, und umgeben ist es von einem Garten, in dem es nur so rankt und prunkt. Ihr Name tut hier nichts zur Sache, eher schon das massive Haus, eineinhalbgeschossig, an der Tür ist eine Art Ornament, alles wirkt ein bisschen retro, hat aber einfach nur eine sehr lange Geschichte. Die Frau ist, so sagt sie es, zusammen mit ihrem Mann die letzte Verbliebene in diesem grünen Refugium, das sich Kleingartenanlage Bornholm 1 nennt und östlich der S-Bahn an der Bornholmer Straße liegt. Vor 60 Jahren zogen sie und ihr Mann also in das Haus, erzählt sie, elf weitere Dauerbewohner habe es gegeben. Jetzt seien sie alle tot oder verwitwet weggezogen, die letzte Nachbarin sei mit 96 Jahren gestorben. Die Frau berichtet von den jungen Leuten, die jetzt zunehmend Gärten in der Anlage pachten, vom Kinderlachen, von gelegentlicher Lautstärke. Und nein, sie habe nichts gegen die Neuen, die hier gerade versuchen, Bornholm 1 und die benachbarte Anlage Bornholm 2 umzukrempeln. Die ältere Dame sticht da mit ihrer Meinung etwas heraus. Denn in der sowieso fragilen Prenzlauer Berger Kleingartenszene brennt die Luft. Und einen schlechteren Zeitpunkt kann es dafür kaum geben.

Begonnen hat alles mit einer Ankündigung einer Gruppe von Pächtern beider Anlagen vor mehr als einem Monat: Sie luden ein zu einem „Tag des offenen Gartens“, der dann auch tatsächlich am 27. September stattfand. Flohmarkt, Grill und Musik sollte Anwohnern das Kleingartenwesen näherbringen, außerdem wollte man damit einer Forderung des Abgeordnetenhauses nachkommen, das eine generelle Öffnung der Gärten will. Zu den Organisatoren gehörten vor allem junge Pächter, viele mit Familien und internationalem Hintergrund. Organisator Jay Kaufmann sagte damals, dass die Einladung mit den beiden Kleingartenverein besprochen worden sei – sie hätten das Projekt zwar nicht unterstützt, aber auch nichts dagegen unternehmen wollen.

 

Nur eine Minderheit war für die Veranstaltung

 

Ganz anders stellte es sich dann auf einem Aushang dar, der eine Woche nach der Ankündigung und kurz vor dem Fest in der Anlage verteilt wurde und noch heute vielerorts hängt. Mit drastischen Worten wurde dort der Tag des offenen Gartens verurteilt. Die „sogenannte ‚Initiative’“ treibe ihr „Unwesen“, wurde mitgeteilt, von jeder Kooperation abgeraten. „Wir fordern die ‚Initiatoren‘ auf, ihre Aktivitäten, die zu einer Spaltung der Kleingärtner in den Kleingartenanlagen führen, sofort zu unterlassen.“ Über rechtliche Schritte werde nachgedacht. Unterschrieben hatten die Vereine Bornholm 1 und 2 und der Bezirksverband der Kleingärtner. Das Fest kam trotzdem – und wie sich jetzt zeigt, ist die zu erwartende Eskalation tatsächlich eingetreten.

Holger Gerber betreibt das Vereinsheim Bauernstube in der Anlage Bornholm 1 und sitzt im Vereinsvorstand. Zunächst will er nichts zu dem schwelenden Streit sagen, wenig später ist er aber kaum noch zu stoppen. Seit zwanzig Jahren engagiere er sich im Verein, sagt er, „doch so etwas habe ich noch nicht erlebt“. Das Thema wühlt ihn auf. „Diese Vereinsmitglieder haben ihre Kompetenzen ganz eindeutig überschritten“, sagt er und meint damit die Veranstaltung, die ohne Genehmigung und Absprache mit den Vorständen organisiert worden sei. Es gehe nicht an, dass „fünf Prozent der Pächter dem Rest etwas aufzwingen, was die gar nicht wollen.“ Er schätzt, dass rund zehn Parzellen beim Tag des offenen Gartens mitmachten, in beiden Anlagen gibt es zusammen 416. Laut Angaben von Organisator Kaufmann waren es knapp 40 Parzellen, die teilnahmen. Fest steht: Es feierte eine Minderheit.

 Aushang

Aushang in der Anlage Bornholmer 1: Das Zusammenleben folgt klaren Regeln. (Foto: tt)

 

Hat sich Gerber erst mal in Laune geredet, wird schnell deutlich, worum es bei all den Verweisen auf Formalien und Vereinsrecht wirklich geht. „Sie meinen, die älteren Pächter sollen ins Altenheim verschwinden“, so seine Befürchtung, er klingt dabei weniger wütend als ängstlich. „118 Jahre Geschichte hat diese Anlage, und ein paar Pächter meinen, sie müssten alles auf den Kopf stellen, kaum dass sie ein Jahr hier sind.“ Für Gerber sind die Initiatoren „Störenfriede“. Er und der Vorstand seien entschlossen, im Verein, auf Bezirksebene oder in sonst einer geeigneten Form dagegen vorzugehen. Die „rechtlichen Schritte nach dem Bundeskleingartengesetz“ wurden bereits im Aushang vor vier Wochen angekündigt.

 

„Wir können das hier nicht zu einem Vergnügungspark machen“

 

Jay Kaufmann will sich erst mal nicht mehr zu dem Streit äußern, nur soviel: Man bemühe sich um Einigung, vermisse aber wohl etwas die Gesprächsbereitschaft auf der Gegenseite. Auf ihrer Internetseite haben die „Bornholmgärtner“ einen Fragen-Antwort-Katalog veröffentlicht, in dem sie sich zum Streit äußern. Unter anderem heißt es dort, „dass wir freundlich und hilfsbereit sind, gerade auch der älteren Generation gegenüber“. Und es stimme, „dass an den Vereinsfesten eher die ältere Generation teilnimmt, die jungen Familien weniger. Daher schlagen wir vor, diese Feste mit zusätzlichen Aktivitäten zu ergänzen, die die jüngeren Gärtner eher ansprechen.“

Solche Sätze alarmieren Holger Gerber. Nicht, weil er etwas gegen Zusammenhalt zwischen den Generationen hat – doch für ihn und die anderen Vorstände sind die Pläne der Neuen existenzbedrohend. „Wenn die kleingärtnerische Nutzung der Parzellen in den Hintergrund tritt, verlieren wir ganz schnell unseren Status und damit auch unseren vorläufigen Bestandsschutz“, fürchtet er. „Man kann das hier nicht einfach zu einem Vergnügungspark oder Naherholungsgebiet machen“, sagt er, und meint die Parzellen mancher Neupächter, deren kleingärtnerische Nutzung nur noch Alibi sei. „Auf diese Weise kann man eine funktionierende Kleingartenanlage auch platt machen.“ Generell sei der Streit, der jetzt die Anlagen erfasst, ein Bärendienst für all jene, die für einen Erhalt der Anlagen und gegen die Bebauungsbestrebungen des Landes kämpfen. „Wir wirken wie ein zerstrittener Haufen. Und das können wir in der Außendarstellung nun gar nicht gebrauchen“, so Gerber. „Wir haben sowieso schon keine Lobby.“

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