Unser Autor Nicol Ljubic ist Werder Fan. Im Moment ein schweres Los. Und es wird nicht besser dadurch, dass er in Prenzlauer Berg wohnt. So wie viele andere, mit denen er sich hier jeden Spieltag trifft. Meistens um sich zu trösten.
Es sind vierhundert Kilometer von meiner Wohnung in Prenzlauer Berg zum Weserstadion in Bremen. Das ist weit, zu weit jedenfalls, um jedes Wochenende hin- und nach neunzig Minuten wieder zurückzufahren. Was zeigt, dass Berlin allem Gerede von Kulturmetropole und Hauptstadt zum Trotz vor allem eines ist: tiefste Fußballprovinz. Ich weiß, was einige jetzt denken: Werder Bremen? Ist das nicht die Mannschaft, die derzeit in der Liga auf Platz 15 steht? Ja, aber es ist auch die Mannschaft, die in den vergangenen sieben Jahren sechsmal in der Championsleague gespielt hat und das ist sechsmal öfter als alle Berliner Mannschaften zusammen. Aber darum soll es jetzt gar nicht gehen. Es soll um einen Ort gehen, der einem Werderfan wie mir die Berliner Tristesse erträglich macht. Als ich 1999 in den Prenzlauer Berg zog, gab es diesen Ort noch nicht. Aber ich war nicht der einzige, der als Exil-Werderaner in Berlin leiden musste, während vierhundert Kilometer entfernt grünweiße Feste gefeiert wurden. Es waren zwanzig Fans, die Ende 2001 ins Alois S. in der Senefelder Straße kamen, weil sie das Spiel Bremen gegen Bayern sehen wollten. Sie fragten den Besitzer hinterher, ob sie fortan jedes Wochenende kommen könnten und Lothar Heer fand den Gedanken verlockend, dass jedes Wochenende dieselben Leute in seine Tapas-Bar kämen. Mit den Jahren wurden es immer mehr.
Wir liegen uns vor Freude in den Armen und trösten uns
Noch heute ist es so: Wenn Werder spielt, dann strömen sie ins Alois S., um gemeinsam zu feiern und in letzter Zeit häufiger auch zu trauern. Die Leinwand ist umhängt mit grünweißen Schals, davor sind Reihen aus Holzstühlen aufgestellt. Das erste Mal kam ich völlig ahnungslos zwanzig Minuten vor Anpfiff – und fand mit Mühe einen Stehplatz. Wer einen Sitzplatz will, muss es machen wie Touristen auf Mallorca im Kampf um Liegestühle: Er sollte mindestens eine Stunde vorher kommen und seinen Werder-Schal über die Stühle legen. Im Alois S. herrscht Ostkurvenstimmung. Die Ecken werden mit einem lang gezogenen Raunen angekündigt, die Spieler gemeinsam angefeuert, wir liegen uns in den Armen, wenn Torsten Frings in der 91. Minute einen Freistoß zum 2:1-Sieg ins Tor jagt. Wir klopfen uns auf die Schultern und trösten uns. Und: Wir können unsere Trikots ausführen. Sie sind alle hier, Frings und Pizarro, Diego und Naldo - und jeder nimmt mit derselben Leidenschaft am Spiel teil wie ihre Doubles auf der Leinwand. Das Alois S. ist eine Art Wellness-Oase für Menschen mit grünweißer Seele. Es ist der Ort, an dem ich vergessen kann, dass ich vierhundert Kilometer entfernt vom Weserstadion in der Provinz gestrandet bin. Auch wenn das Vergessen leider nur neunzig Minuten dauert und manchmal in großer Trauer endet, wie nach der 1:3-Niederlage gegen Bayern München. Glücklich war an jenem Nachmittag allein der Besitzer Lothar Heer: Er ist nämlich der einzige Bayern-Fan im Alois S.
Alois S., Senefelder Str. 18, 10437 Berlin, Tel: 030/ 44719680