Verteidiger der Lücken

von Thomas Trappe 29. August 2014

In der Schliemannstraße wollen Anwohner verhindern, dass die Stadt Wohnungen baut – und stattdessen einen Yoga- und Klettergarten errichten.

Für die einen ist es ein verwucherter Bombenkrater, für die anderen die schönste Aussicht im Helmholtzkiez. Die Baulücke in der Schliemannstraße 23a, rechteckig, verwuchert, mit einem Baum. Die Adresse, und das, was sich um sie herum gerade anbahnt, hat damit etwas Exemplarisches: Denn solcherart Baulücken gibt es noch einige in Prenzlauer Berg, und sie werden weniger. Wohnraum, Verdichtung, Stadtentwicklungsplan Wohnen, das sind die zu nennenden Stichworte. In der Schliemannstraße 23a will die Stadt Wohnungen bauen. Eine Lücke schließen, das ist ihre Sicht. Ein letzter Flecken Grün im zubetonierten Kiez verschwindet, so sehen es die Nachbarn. Sie wollen einen Garten. Und haben nun eine entsprechende Initiative gegründet.

Im vergangenen Jahr verkündete die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Gewobag, dass sie in ganz Berlin tausende neue Wohnungen bauen will, rund 150 davon im Stadtteil Prenzlauer Berg. Sie verwirklicht damit die Senatslinie, nach der der Wohnungsnot in der Innenstadt so weit wie möglich durch Verdichtung begegnet werden soll, also auch durch das Schließen von Lücken in sogenannten Blockrandbebauungen. Eine davon ist jene in der Schliemannstraße. Gebaut werden sollen dort zwölf Wohnungen und zwei Gewerbeeinheiten. Dagegen sammelt eine Initiative nun Unterschriften.

 

Anti-Haltung politisch nicht vermittelbar

 

Martina Bolz wohnt seit elf Jahren in der Schliemannstraße, direkt gegenüber der Baulücke. Zusammen mit einer Architektin aus ihrem Haus sammelt sie im Kiez gerade Unterschriften gegen das Vorhaben der Gewobag. 300 habe sie bisher zusammen, sagt Bolz. Zwar ist die Brachfläche gegenüber nicht öffentlich zugänglich und durch eine hohe Mauer abgesperrt, trotzdem wäre es aus Bolz‘ Sicht ein Verlust, würden hier Wohnungen entstehen. „Uns würde das Licht fehlen”, sagt sie, außerdem der Blick auf den Baum und das damit verbundene Vogelgezwitscher. Allerdings gehe es ihr weniger um eigene Interessen, beteuert die promovierte Islamwissenschaftlerin und Filmemacherin, sondern um die des Kiezes. „Es gibt hier kaum noch Grünflächen, und jetzt vergibt die Stadt die Chance, eine der letzten zu erhalten.” Zwar sei sie grundsätzlich für den Bau neuer Wohnungen, aber an geeigneter Stelle und dann, wenn sie später zu moderaten Mieten vergeben würden. Der Stadt und damit der Gewobag traut sie das nicht zu. „Ich glaube der Stadt einfach nicht, wenn gesagt wird, hier entsteht günstiger Wohnraum. Die Erfahrungen zeigen ja was anderes.” 

Bolz und ihre Mitstreiterin wandten sich bereits vor mehr als einem Jahr an die Gewobag, später auch an die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und dann an den im Bezirk zuständigen Stadtrat Jens-Holger Kirchner (Grüne). Zunächst mit dem Anliegen, den Bau durch die Gewobag zu unterbinden – am besten, indem der Bezirk das Grundstück zurückkauft. Politisch nicht durchsetzbar, wie schließlich der Bezirksverordnete Michail Nelken (Linke), Kirchners Amtsvorgänger und ewiger Gegenspieler, Martina Bolz per Mail (liegt vor), mitteilte, nachdem diese ihn um Hilfe beim Protest bat. Er selbst habe keine nennenswerte Einwände gegen das Bauprojekt, räumte Nelken ein, wolle Bolz‘ Initiative aber trotzdem gerne unterstützen, sollte sie eine substanzielle Alternative zu den Bebauungsplänen entwickeln – also eine, die über die bloße Ablehnung eines Bauprojekts hinausgeht.

 

Stadtrat geht von weiteren Protesten aus

 

Bolz und ihre Mitstreiter entwickelten daher das Konzept, für das sie jetzt um Unterstützung werben. Demnach soll auf dem Grundstück, nachdem es der Bezirk zurückgekauft hat, ein öffentlich zugänglicher Garten entstehen, mit Sportgeräten, einem Kletterfelsen an den benachbarten Häuserwänden, einem Yogaplatz und einem Baumkronenpfad und Niststeinen für Kleinvögel und Fledermäuse. Der ursprüngliche Plan, auch einen Ballspielplatz auf dem Gelände zu integrieren, wurde von den Initiatoren verworfen, berichtet Bolz. „Das wäre dem Gedanken, eine Ruheoase zu schaffen, zuwider gelaufen.” Als weitere Nutzungsvariante wird von der Initiative ein „Schliemann-Garten” ins Spiel gebracht, ein archäologischer Erlebnisgarten, wie die Straße benannt nach dem Forscher Heinrich Schliemann.

Eine Chance auf Erfolg hat die Initiative kaum. Stadtrat Kirchner macht deutlich, dass er nicht bereit ist, ein leerstehendes Grundstück der Gewobag abzukaufen. „Wir haben den politischen Willen, Wohnraum zu bauen. Wo kann man das machen, wenn nicht dort?” Die Vorstellung, einen Garten oder Ähnliches auf dem Grundstück zu herzurichten, sei zudem städtebaulich nicht attraktiv. „Ich will nicht die Fehler der Neunziger wiederholen”, sagt Kirchner, er meint die im Bezirk verteilten Mini-Grünflächen in Baulücken, die von Anwohnern kaum genutzt würden. Es sei wohl nicht der letzte Protest gegen eine Lückenbebauung in Prenzlauer Berg, da ist sich Kirchner sicher. „Das wird bei jedem neuen Bauprojekt, auch städtischen, vorkommen. Und immer wird es heißen, dass es nicht um Partikularinteressen gehe.”

 

 

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