Auf ein Glas mit Dr. Doom

von Joanna Itzek 28. Mai 2014

Der Bumerang war eine der ersten Wendekneipen in Prenzlauer Berg. Bald muss sie schließen. Doch ihr Versprechen hält sie bis zum Schluss: Du und deine Abgründe, ihr seid hier herzlich willkommen. Eine Nacht an der Bar.

Wie weit kommt man mit einem gemarterten Herzen? Etwa 73 Meter weit. Zum Glück entspricht das ziemlich genau der Distanz zwischen der eigenen Haustür und dem Bumerang in der Stubbenkammerstraße. So standen wir Freitag Nacht wieder vor dem Eingang. Er gleicht einem Portal, das geradewegs in ein rumpelndes Paralleluniversum führt. Da ist, irgendwo in der von Gebüsch überwucherten Fassade, diese drecksbraune Stahltür, und statt eines Fensters steckt in der Wand ein trübes Aquarium, in dem nur die härtesten aller Fische überleben: Kreaturen, die kein Gedächtnis haben und deshalb auch unter widrigen Umständen zurecht kommen, weil sie nach zwei Sekunden alle Unbill wieder vergessen. 

So widerstandsfähig wie die Fische im Bumerang sind auch die Gäste. Doch die erinnern sich noch an alles. Die Kneipe eröffnete im Jahr 1990 und viele der Leute, die damals doppelte Decken in die Räume zogen und halfen, den Laden aufzubauen, kommen bis heute her. Sie sitzen stundenlang an der Bar, über der eine Uhr hängt, die rückwärts läuft. Sie misst eine Zeit, die nicht vergehen will. 

 

Wu Tang Clan geht immer

 

„There’s no place to hide once I step inside the room. Dr. Doom, prepare for the boom.“ Als wir hereinkommen, läuft gerade das erste Album des Wu Tang Clan, ein Großwerk des Hiphop, erschienen drei Jahre nach der Eröffnung des Bumerang. Aus dem Hinterzimmer, in dem ein Billard- und ein Kickertisch stehen, schiebt sich ein alter Mann mit Rollator. „Peace to the fucking Zulu Nation. Peace to all the Gods and the Earths, word is bond.“

Bis auf Wu Tang sind alle still. André, der Wirt, ist nicht zu sehen, also übernimmt einer der Gäste unsere Bestellung: Sein Spitzname – und das ist nichts als die Wahrheit – lautet Fisch. Fisch heißt so, weil er einst Taucher bei der NVA war, sagen die anderen an der Bar. Nun ist er Physiotherapeut. Er holt zwei eisgekühlte Gläser aus dem Gefrierschrank, verhandelt mit uns den Preis für zwei Sambuca-Shots und kippt dann die Gläser randvoll. „Alles fließt“, sagt Fisch und lacht. Er gehört zur Stammkundschaft hier. 

 

Schwierig: Frauen und Wessis

 

Es ist schwer, einen Ort zu erfassen, dessen Bedeutung so beständig schwankt: Da ist die versoffene Kaputtheit des Bumerangs auf der einen Seite – und ein ungebrochenes Versprechen auf der anderen. Es lautet: Egal wann, egal wie, hier könnt ihr immer herkommen, du und deine Abgründe. Es wird keinen Trost geben, und manchmal für eine halbe Stunde auch keine Bedienung, aber bitte sehr, ihr seid willkommen, nehmt Platz.

Wirt André erscheint hinter dem Tresen. Mitte der 1980er kam er nach Prenzlauer Berg. Seine Laune ist mies und er ist bereits ziemlich betrunken. „Vor einer Weile hat er die Kündigung für den Mietvertrag bekommen. Der Laden wird demnächst schließen“, erklärt Fisch, weil André selbst bis auf ein paar Sprüche gegen Frauen und Wessis gerade nichts zu sagen vermag. „Ein Jammer ist das, in der Gegend gibt es nichts Vergleichbares mehr.“ Das baufällige Gebäude, in dem sich der Bumerang befindet, gehörte einer Erbengemeinschaft. Die soll es an Zalando verkauft haben, die nun das Haus renovieren wollen, erzählt man sich im Bumerang. Tatsächlich stecken wohl Zalando-Investoren und nicht die Firma selbst hinter dem Kauf. Aber so genau nimmt es hier niemand. „Ich hoffe, du hast dir da nicht gerade neue Schuhe bestellt“, sagt Fisch. Keine Schuhe, nein, einen Bikini, denke ich. „Verdammt, Fisch.“ Er kippt Sambuca nach. 

 

Das Bumerang-Prinzip

 

Der Bumerang war eine der ersten Wendekneipen in Prenzlauer Berg. Bevor sie 1990 eröffnete, betrieb Wirt André den Laden für ein paar Monate unter dem Namen ZK. Das stand für „Zum Kotzen“ und sei – so erzählte es André vor Jahren mal in einem Stadtmagazin – sein persönlicher Kommentar zu den Themen Stasi und DDR gewesen. Im ZK trafen sich damals ostdeutsche Anarchisten, die mit jedem System abgeschlossen hatten.  

Gegen fünf Uhr sind nur noch wenige Gäste übrig geblieben. Auf der kleinen Bühne hat jemand sein Fahrrad abgestellt, die Rückleuchte blinkt immer noch. Hier und da flackern Kerzen, die in leeren Flaschen stecken und die Tische volltropfen. Weil von außen wenig natürliches Licht ins Innere dringt, befindet sich dieser Ort in einem Zustand der Dauerdämmerung. Auf dem ersten Wu Tang Clan-Album gibt es den tollen Satz „Sunshine plays a major part in the daytime“, der jetzt gut passen würde als Rausschmeißer, nur spielt hier das Lied gerade niemand. Es wird Zeit zu gehen. Wie weit kommt man mit einem gemarterten Herzen? 73 Meter weit, also auf jeden Fall auch wieder zurück nach Hause. Das Bumerang-Prinzip, noch greift es.

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