Schmetterhand mit Vokuhila

von Brigitte Preissler 3. Juni 2014

Für Menschen, die auch sonst am Tisch arbeiten, sei Tischtennis genau der richtige Sport, findet der Zeichner Mawil. Im Gespräch über seinen neuen Comic „Kinderland“ beginnen wir zu ahnen, dass er seine Prenzlauer Berger Kindheit ohne seine Kelle wohl nicht ganz so gut überstanden hätte.

Richtig: Es gibt in dieser Saison wieder eine Menge Mauerfall- und Damals-im-Osten-Bücher. Nicht alle sind inhaltlich so ergiebig oder lesenswert, wie es die jeweilige Verlags-Marketingstrategie einem weismachen will. Doch bei Mawils neuem Comic liegt die Sache anders. Okay, auch „Kinderland“ erzählt vom letzten DDR-Sommer – was im Mauerfall-Jubiläumsjahr sicherlich optimierte Umsätze verspricht. Aber man braucht keine zehn Seiten zu lesen, um zu merken, dass dieser 1976 als Markus Witzel geborene Mawil nichts weniger als ein Auftragsjobber mit Dollar-Zeichen in den Augen ist.

Mawil erzählt von einem Jungen, der im Sommer 1989 die 7. Klasse einer „EOS Tamara Bunke“ besucht. Sein Name ist Mirco Watzke. Das klingt ganz ähnlich wie Markus Witzel. Auch äußerlich hat der kleine, nicht sehr kräftige Junge mit Brille und blondem Vokuhila eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Porträtfoto seines Erfinders, das diesen im hinteren Buchteil im etwa gleichen Alter zeigt. Außerdem spielt Mirco, genau wie Mawil, richtig gut Tischtennis. Eine autobiographische Geschichte also?

 

„Ich bin einfach nicht so kreativ“

 

„Nö“, sagt Mawil. Und es klingt überhaupt nicht nach bewusstem Understatement, wenn er dann sagt: „Ich bin einfach nicht so kreativ.“ In einem Restaurant in der Oderberger Straße, bei Eintopf und Apfelschorle, erklärt er, wie er das meint: „Alles frei erfinden – das mag ich nicht so.“ Lieber erzählt er von Dingen und Ereignissen, mit denen er sich aus eigener Anschauung auskennt. Und wenn man wie er in den 80er Jahren zwischen Rosenthaler Straße und Kastanienallee aufgewachsen ist und heute am Mauerpark wohnt, ist das eben eher nicht der 2. Weltkrieg auf der Schwäbischen Alb.

Sondern zum Beispiel Tischtennis. Das ist sein Sport, sein Ding. Als Kind habe er beim Fußball einfach nicht mithalten können, erzählt er – das sei eher was für die Jungs ohne Brillen gewesen. Für Leute wie ihn dagegen, die auch sonst am Tisch arbeiten, sei Tischtennis genau das Richtige. Wo in Prenzlauer Berg eine Tischtennisplatte steht, trifft man ihn also bis heute über kurz oder lang, nicht selten unweit seines Ateliers in der Kastanienallee. Und wer wissen will, wie sich ein 50-Euro-Schläger von einer Billig-Kelle unterscheidet, kann getrost ihn fragen, „der Ball springt anders.“ 

 

Selbst Angela Werkel ist hin und weg

 

Da ist es wohl kein Wunder, dass Mawil enorm plastisch von diesem Mirco erzählt, der mit seinem Lieblingssport ein probates Mittel gefunden hat, den alltäglichen Katastrophen des Erwachsenwerdens zu trotzen. Mit seiner Schmetterhand beeindruckt er die grobschlächtigen Jungs, die ihm sonst die Hofpause zur Hölle machen, und selbst seine streberhafte Klassenkameradin Angela Werkel ist hin und weg, als er ein, ach was, das alles entscheidende Tischtennisturnier zum Geburtstag der Pionier-Organisation an seiner Schule organisiert. Natürlich ahnt Mirco nicht, dass ausgerechnet an dem Tag, an dem es stattfinden soll, die Mauer fallen wird – was für ihn einige unerwünschte Folgen hat. Diese konkreten, persönlichen Auswirkungen des Mauerfalls auf das Gefühlsleben eines schüchternen kleinen Jungen aber interessieren Mawil unendlich viel mehr als die weltumspannenden historischen Dimensionen dieses Tags, an die jetzt wieder überall feierlich erinnert wird.

Genau deshalb ist „Kinderland“ strenggenommen gar kein echter Wende-Comic. Es ist auch kein Berlin- oder Prenzlauer Berg-Comic. An einer Stelle meint man zwar den S-Bahnhof Schönhauser Allee zu erkennen, anderswo auch mal die Herz-Jesu-Kirche in der Fehrbelliner Straße. Und die einzige explizite Ortsangabe im ganzen Buch bezieht sich auf die Oderberger Straße – von der aus Mawil übrigens 1989 mit seinen Eltern seinen allerersten Spaziergang in den Westen unternahm. Mawil freut sich auch durchaus, wenn einem seine gezeichneten Straßenzüge bekannt vorkommen; schließlich hat er eine Menge Fotos, Familienalben und Bildbände von Roger Melis, Harald Hauswald oder Helga Paris konsultiert, um das typische 80er-Jahre-Ost-Kolorit möglichst naturgetreu einfangen zu können. 

 

„Kinderland“ – eine Tischtennissaga

 

Größtenteils aber verzichtet er bewusst auf solche konkreten Lokalisierungen; ihm ist es wichtig, dass der Leser, jeder Leser – auch der aus Gera oder Magdeburg – sich in dieser Adoleszenzgeschichte wiederfinden kann. Tischtennis wird schließlich überall gespielt. Und „Kinderland“ ist eine Tischtennissaga. Vielleicht sogar eine epochemachende – so hofft jedenfalls Mawil, der immerhin sieben Jahre daran gezeichnet hat: „In den nächsten zehn Jahren soll sich erst mal kein Comiczeichner an das Thema Tischtennis herantrauen.“

Nun: Bis wir recherchiert haben, ob es unter seinen Zeichner-Kollegen überhaupt konkurrenzfähige Ping-Pong-Experten gibt, wird Mawil auf diesem Gebiet garantiert die Nummer 1 bleiben.

Mawil: Kinderland. Reprodukt 2014, 292 Seiten, 29 Euro.

 

 

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