Leiche, wo bit du?

von Brigitte Preissler 21. März 2014

Verena Roßbacher hat eine Art Krimi geschrieben, in dem drei wuschige Hobby-Detektive in Prenzlauer Berger Lokalen nach einer Beschäftigung fahnden. Zum Showdown kommt es vermutlich am Dienstag: Bei der Lesung im Georg-Büchner-Buchladen.

Sie heißen David, Simon und Frederik. Der eine macht irgendwas mit Medien, der andere hat einen sehr langen Schal, der dritte ist Österreicher. Ihr Lieblingscafé heißt „Visite-ma-tante“, und gelegentlich spielen sie zusammen Klezmer: Cello, Klarinette, Zieharmonika.

Irgendwie glaubt man sie zu kennen, diese drei Hauptfiguren aus Verena Roßbachers neuem Roman „Schwätzen und Schlachten“. Männer so um die Dreißig, die anscheinend keiner geregelten Beschäftigung nachgehen und, höchst empfänglich für Ablenkungen aller Art, den lieben langen Tag lang Unmengen von Zwetschgenkuchen, Schokoladenkeksen und St. Galler Bratwurst verdrücken. Saßen sie nicht neulich in diesem Prenzlauer Berger Café, das ganz ähnlich heißt wie das im Roman: „Visite-ma-tente“? Oder war es im „Liebling“ am Helmholtzplatz?

 

„Alles ist hübsch um die Ecke“

 

Ganz in der Nähe lebt jedenfalls Verena Roßbacher, und sie ist im „Liebling“ tatsächlich manchmal anzutreffen – wenn sie sich mit Olaf trifft, ihrem Lektor von Kiepenheuer & Witsch. Das „Visite-ma-tente“ in der Christinenstraße/Ecke Schwedter Straße dagegen ist ihr zu weit weg, seit ein paar Jahren wohnt sie in der Chodowieckistrasse. Und zwar sehr gern, wie sie sagt: „In der Zwischenzeit bin ich ziemlich heimisch geworden und wohne gerne da, ich mag das fast schon Dörfliche hier, alles ist hübsch um die Ecke. Ganz glücklich wäre ich, wenn auch der Grunewald so ums Eck wär.“

1979 in Bludenz geboren, studierte sie unter anderem am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig, 2009 erschien ihr Debütroman „Verlangen nach Drachen“. Im Jahr darauf trat Roßbacher beim Wettlesen um den Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt an, mit einem Text namens „Schlachten. Ein Alphabet der Indizien“. Nun erschien ihr zweiter Roman, „Schwätzen und Schlachten.“ Wovon handelt der nun eigentlich?

 

Mit Witz, Charme und Chuzpe

 

„Interessante Frage,“ findet Roßbacher. „Sagen wir, es ist ein bisschen Screwball – jedes geladene Gewehr wird auch abgefeuert, auch wenn es, wie in diesem Buch, mitunter ganz schön lange dauert – und ein verworrener Krimi. Es wird ein Mord passieren und drei sympathische junge Kumpels versuchen auf eher ungeschickte, ja fast schon hysterische Weise, dieses Debakel zu verhindern. Wie sich herausstellt, ist die Sache aber viel komplizierter, als gedacht, und diese ungeheuer weiten Kreise, die die Chose zieht, müssen natürlich ausführlich erörtert werden. Es ist ein Krimi, der weniger schießend, trinkend und mit einer bezaubernden Frau im Arm gelöst wird, als eher mit viel Witz, Charme und Chuzpe – der absolut hinreißenden Männermischung schlechthin also.“

Tatsächlich deutet von der ersten Seite an alles auf ein rätselhaftes Verbrechen hin. Immerhin hat Simon einen seltsamen Text geschrieben, den Frederik und David auf seinem Computer finden. Darin plant jemand einen Mord. Und Simon ähnelt diesem Jemand, ist das etwa nicht verdächtig? Frederik und David beginnen zu recherchieren.

 

Stinkboviste, Fähenfurze – und Willi aus „Biene Maja“

 

Allerdings geraten sie dabei in allerlei Fisimatenten, verheddern sich in abwegigen Dialogen und Überlegungen. Lang und breit denken sie darüber nach, wie es sich mit den Frauen und dem Kinderkriegen im Allgemeinen verhält, oder wo eigentlich die ganzen Kugelstoßerinnen aus der DDR geblieben sind. Weisheiten auf bedrucktem Klopapier müssen gelesen und erörtert werden: Weshalb wird der Stinkbovist auch Fähenfurz genannt? Und warum klingt die Stimme der Biene Willi aus „Biene Maja“ immer so komisch nasal: „Maja, wo bit du?

Näher kommt man der geheimnisvollen Bluttat lange, sehr lange nicht. Leiche, wo bit du? Auf Seite 350 gibt es immer noch keine. Irgendwann sieht man auf einem Israel-Dia eine gewisse Katharina aus einem Zelt treten, eindeutig mit „postkoitalem Gesicht.“ Ist das jetzt wichtig für den Handlungsfortgang? Hat der nackte Männerfuß, der da aus dem Zelt ragt, etwas mit dem „Visite-ma-tante“ zu tun? Besuch mein Zelt, Visite ma tente! mit diesen Worten sollen schließlich napoleonische Soldaten einst versucht haben, deutsche Mädchen in ihr Lager zu locken. 

 

Die Jagd nach dem Zusammenhang

 

Nach etlichen weiteren im „Visite-ma-tante“ verzehrten Stücken Tarte aux Pommes und „Öpfelwaihe“ beschleicht einen jedoch der Verdacht, dass die Jagd nach dem Zusammenhang womöglich erfolglos enden könnte, nach weit über 600 Seiten. Systematisch unterläuft Verena Roßbacher jede Genreerwartung; jeder noch so dezente Hinweis auf verbrecherische Machenschaften fällt der nächsten Klopapierweisheit zum Opfer, trügerische Verdachtsmomente wie die Staubmäuse unter dem Sofa des Reinlichkeitsfanatikers Glaser werden mit einem Exkurs über alpenländische Genremalerei hinweggefegt.

An Versuchen, das Material zu organisieren, mangelt es keineswegs. Fünf Kacheln könnten Licht ins Dunkel bringen, würde sie nur mal einer ins rechte Muster legen. Auch Lektor Olaf gibt sein Bestes im Café Liebling. Immer wieder taucht er im Roman auf, und versucht, die Erzählerin von den Vorzügen beherzter Kürzungen, einer stringenten Handlung oder eines ordentlichen Spannungsaufbaus zu überzeugen: „Ich denke immer, jetzt passiert gleich was Schlimmes und dann ist wieder nichts!“ Doch er jammert vergeblich: „Schwätzen und Schlachten“ bleibt eine romangewordene Abschweifung. 

 

Die Blume im Gestrüpp

 

„Ich und meine drei Helden,“ so tröstet uns indes Verena Roßbacher, „wir schlagen uns quasi durch den Urwald und ich verspreche Ihnen, dass wir irgendwann zum Ziel kommen. Gewiss, man könnte auch die Autobahn nehmen, das ginge schneller und womöglich irgendwie hygienischer, aber vielleicht kann man ja beim Weg durchs Gestrüpp noch so manche schöne Blume pflücken. Ich sage zu meinem lieben Leser: komm mit, Blumen pflücken. Wir werden ankommen, eh es Abend wird. Versprochen.“

Schlagen wir uns also ins Gebüsch, und lassen die Hoffnung auf einen alles erleuchtenden Sinn einfach fahren. Wer sich darauf einlässt und Roßbachers Sprachwitz mag, wird, neben der versprochenen Blume, auch noch ganz andere Gewächse ernten. „… der Blumenkohl, er ist ein Meisterwerk der Aperiodik,“ so heißt es an einer Stelle. Mit diesem Blumenkohl kann man „Schwätzen und Schlachten“ getrost vergleichen, ja womöglich hat man hier sogar das Bauprinzip, die Poetik des ganzen Romans vor Augen: Ein Röschen hier, ein Blättchen da, dazwischen allerlei wild ins Kraut schießende Triebe und ein wenig Schneckenfraß. Und wer weiß: Vielleicht landet ja Willi aus Biene Maja eines Tages auf der zartesten Knospe und erklärt uns die „Schönheit in einer unordentlichen Ordnung“. Wer bereit ist, darüber nachzudenken, ob Willis Näseln psychosomatisch ist oder eher an vereiterten Nebenhöhlen liegen könnte, wird mit „Schwätzen und Schlachten“ jedenfalls eine Menge Spaß haben. 

Buchinfo: Verena Roßbacher, Schwätzen und Schlachten. Kiepenheuer & Witsch 2014, 640 Seiten, 24,99 Euro.

Veranstaltungsinfo: Buchpremiere am Dienstag, den 25. März 2014 um 20 Uhr im Georg-Büchner-Buchladen, Telefon 030-4421301, E-Mail georgbuechnerbuchladen@t-online.de, Eintritt 10 Euro.

 

 

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