Auch Kinder in Prenzlauer Berg kennen Nöte

von Juliane Schader 25. Januar 2011

Überforderung, Wohlstandsverwahrlosung und zu hohe Ansprüche der Eltern an sich und die Kinder beschäftigen Kinder- und Jugendschützer im Bezirk.

Die Kinder in Prenzlauer Berg haben skandinavische Doppelnamen. Sie tragen Markenschuhen, mikroskopisch kleine Barbourjacken und sind stets wohl frisiert. Sie können rechnen, sie benutzen Fremdworte und sprechen bereits mit vier Jahren fließend Spanisch, Deutsch und Mandarin. „Aber brauchen dafür manchmal in diesem Alter noch Windeln“, sagt Monika Seeling-Entrich.

Sie ist die Kinderschutzkoordinatorin des Bezirks Pankow und als solche Schnittstelle für alle Initiativen, die im Bezirk zum Schutz von Kindern betrieben werden. „Bei mir laufen die Fäden zusammen.“ Seit 2009 folgt alles dem Konzept „Netzwerk Kinderschutz Pankow“ – die Aufsuchende Elternhilfe, die Ausbildung der Kinderschutzfachkräfte, die Zusammenarbeit mit Kitas und Schulen, der Kinderschutzlauf RENNsation und die Hotline des Krisendienstes. Unter 90295-5555 können sich überforderte Eltern, besorgte Nachbarn und auch Kinder selbst montags bis freitags zwischen 8 und 18 Uhr Hilfe holen. „Im vergangenen Jahr sind dort 588 Anrufe eingegangen, ein Viertel davon erforderte akuten Handlungsbedarf“, so Seeling-Entrich.

Die Probleme, die sich dabei bezirksweit ergäben, seien sehr unterschiedlich. „Das Spektrum geht von bildungsfernen Großfamilien, die von Hartz IV leben, bis zu überforderten Akademikern.“ Denn gute Bildung und finanzielle Sicherheit bewahrten einen nicht vor Schwierigkeiten: „Auch Prenzlauer Berger Eltern haben Probleme.“

 

Der Erfolgsdruck ist groß, für Kinder und Eltern

 

Bei diesen gehe es weniger um Verwahrlosung oder Misshandlungen als um Überforderung: „Viele Familien leben weit weg von Großeltern und anderen Angehörigen und sind ganz auf sich allein gestellt.“ Zudem seien viele Prenzlauer Bergerinnen schon etwas älter, wenn sie ihr erstes Kind bekämen. Da fiele es schwerer, sich selbst zurückzunehmen und völlig auf das Kind zu konzentrieren. Der Erfolgsdruck sei groß, für Eltern und Kinder – „Wir bieten Beratung und Vernetzung mit anderen Eltern und bemühen uns so, die Krisensituationen zu meistern“, erklärt die Kinderschutzkoordinatorin.

Als Beispiel berichtet sie von einer Mutter, deren Kleinkind immer wieder Schlüssel und andere metallene Gegenstände in den Mund nahm. „Für Kinder eines bestimmten Alters ist das ganz normal“, meint Seeling-Entrich. Die Mutter habe jedoch gedacht, ihr Kind habe Eisenmangel. „Manches läuft da einfach zu verkopft.“

 

Die Bedürfnisse der Kinder dürften nicht aus dem Auge verloren werden

 

Ähnliche Erfahrungen hat auch Sabine Bresche gemacht. Die Sozialarbeiterin arbeitet in der Beratung des Kinderschutzbundes und nimmt regelmäßig Anrufe überforderter Eltern entgegen. „In Prenzlauer Berg ist das größte Problem, dass die Eltern nicht mehr richtig auf ihre Kinder eingehen können“, sagt sie. Die Erwartungen seien sehr hoch, wobei die Bedürfnisse der Kinder schnell aus dem Auge verloren würden.

Aber auch die Eltern verlangten zu viel von sich selbst. „Man darf auch mal wütend sein auf sein Kind“, meint Bresche. Doch viele geständen sich das nicht zu, da es nicht mit ihrem Selbstbild und dem Wunsch nach gewaltfreier Erziehung übereinstimme. „Dieser Widerspruch führt zwangsläufig zur emotionalen Überforderung. So rational kann man einfach nicht an ein Kind herangehen.“

Bresche fasst diese Probleme zusammen unter dem Begriff Wohlstandsverwahrlosung: Kinder leben in materiellem Überfluss, aber leiden unter seelischem Mangel. Seeling-Entrich ist da noch etwas vorsichtiger: „So schlimm würde ich die Situation nicht beschreiben. Natürlich gibt es diese Fälle – aber den meisten Kindern im Bezirk geht es sehr gut.“

Hinter Neukölln und Mitte liegt Pankow an dritter Stelle, was den Kinder- und Jugendanteil im Bezirk angeht. Die Geburtenrate steigt seit Jahren; 2009 wurden 4345 Kinder geboren, 2010 waren es noch einmal 200 Kinder mehr. Dem gegenüber stehen 75 In-Obhutnahmen durch das Jugendamt im Jahr 2009, 68 im Jahr darauf.

„Die Kinder aus den Familien herauszunehmen ist immer die letzte Möglichkeit“, sagt Seeling-Entrich. Das Netzwerk Kinderschutz setze vielmehr auf Prävention und Beratung. „Die Sensibilität für das Thema nimmt zu. Aber der Bedarf nach Unterstützung ist immer größer, als das, was wir mit kleinen finanziellen Mitteln derzeit anbieten können.“

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