Rückkehr ins Dorf der Kindheit

von Brigitte Preissler 26. Februar 2014

In unserem Interview erklärt Uwe Kolbe, warum sein Roman „Die Lüge“ über einen jungen Komponisten und seinen für die Stasi arbeitenden Vater kein Schlüsselroman ist.

Uwe Kolbe, Jahrgang 1957, lebt seit 1988 in Hamburg und ist seit vielen Jahren als Lyriker bekannt. Jetzt debütiert er als Romancier – und kehrt mit „Die Lüge“ teilweise an die Schauplätze seiner eigenen Jugend zurück. Dazu zählt insbesondere eine gewisse Berliner „Gegend“, die in seinem Roman „Nordost“ genannt wird. Auch die im Roman geschilderte Familienkonstellation erinnert an Details aus Kolbes Biografie, die Stasi-Mitarbeit seines eigenen Vaters ist seit langem bekannt. Uns hat Kolbe genau erklärt, wie er sich diesem Stoff annäherte.

 

Herr Kolbe, wann und wo genau haben Sie eigentlich in Prenzlauer Berg gelebt?
Im Stadtbezirk Prenzlauer Berg lebte ich zusammenhängend von 1964 bis 1987, etwa von der Einschulung bis zur Tätigkeit als freier Schriftsteller, bis zum Erscheinen des dritten und letzten Gedichtbands im Ostberliner Aufbau-Verlag. Erst war der Arnimplatz in der Nähe, später der Kollwitzplatz, während der Sanierung Mitte der 80er Jahre. 1992 bis 1997 verschlug es mich noch einmal dorthin, an den südlichen Rand (in die Torstraße). Wer sich die eigentlich prägenden Umstände und die Atmosphäre vor Augen führen möchte, dem empfehle ich den Bildband von Manfred Paul „Am Rande der stehenden Zeit. Berlin Nordost 1972-1990“.

 

Von manchen werden Sie der so genannten Prenzlauer Berg Connection der 80er Jahre zugerechnet. Inwiefern sehen Sie sich selbst als deren Teil?
Den Begriff jener „Connection“ prägte, wenn ich nicht irre, wie vieles andere der frohgemute und einflussreiche Surrealist Adolf Endler. Ich fühlte meine Lebensweise und meine Arbeit nie damit gemeint.

 

Sie leben heute in Hamburg, „Die Lüge“ spielt in Prenzlauer Berg und an anderen Schauplätzen in der DDR. Wieso kehren Sie 25 Jahre nach dem Mauerfall ausgerechnet an diese Orte und in diese Zeit zurück?
Der Roman spielt – neben Schauplätzen die Elbe entlang von Hamburg aufwärts bis ins Elbsandsteingebirge oder auch in Rheinland-Pfalz – vor allem in einer „Gegend“, die mit „Nordost“ hinreichend  bezeichnet ist. Dass es sich um eine deutsche Nachkriegsgeschichte handelt, die etwa 1951 beginnt und 1984 endet, gibt die Zeitumstände, den historischen Rahmen vor. Trotzdem geht es weniger um diesen als um die Handlungsweisen und Konstellationen der Figuren.

 

Uwe Kolbe Buch Die Lüge 940_486 PBN Uwe Kolbe, Die Lüge, S. Fischer Verlag 2014

 

Sie erzählen die Geschichte des Hadubrand Einzweck, eines Mitte der 50er Jahre geborenen und in „Nordost“ aufgewachsenen Komponisten. Welches Verhältnis haben Sie selbst zu Musik?
Mein eigenes Verhältnis zur Musik ist nur passiver Natur. Es gibt einige Hör-Stränge darin – etwa von ungarischer Renaissancemusik und Gregorianik über die deutschen Barockmeister (insbesondere der Orgel), Mahler, Bartók bis hin zu Hanns Eisler, John Cage, Steve Reich und György Ligeti –, auf denen die Recherchen für den Roman aufbauen konnten. Es bereitet hoffentlich Lesevergnügen, immer wieder dem „Sound“ nachzugehen. 

 

„Dass die Geschichte meine eigene ist, macht das Erzählen nicht einfacher. Immerhin muss ich nichts erfinden.“ Dies sagt Ihr Ich-Erzähler Hadubrand Einzweck gleich am Anfang Ihres Romans. Wie viel Uwe Kolbe steckt in diesem Harry Einzweck?
Es steckt soviel in beiden Protagonisten, also im Vater und im Sohn, wie es bei einem Autor, der selbst naturgemäß Sohn und dazu auch Vater ist, nur sein kann.

 

„Die Lüge“ ist ein Roman – damit also Fiktion und keine Autobiographie. Es gibt jedoch viele autobiographische bzw. konkrete zeithistorische Bezüge. Weshalb haben Sie sich für literarisches und nicht für autobiographisches Erzählen entschieden?
Der Roman führt Verhaltensweisen vor, überwiegend solche, zu denen Leserin und Leser (vermutlich) kritische Distanz wahren werden. Anekdotisches aus dem Leben des Autors könnte wenig dazu beitragen. Weiterlesen…

 

Weiter zum Teil 2 des Interviews

Das könnte Dich auch interessieren

Hinterlasse einen Kommentar