Die Gleimstraße 52 sollte saniert werden, ohne dass die Altbewohner gehen müssen. Garantieren sollte das ein Vertrag mit dem Investor. Geholfen hat das nur bedingt. Der Bezirk will draus lernen; der Investor weist alle Schuld von sich.
Die Sache ist gelaufen. Das Gerüst ist weg, die Fassade frisch gestrichen und die Fenster sind neu. Zumindest von außen sieht das Haus in der Gleimstraße 52 jetzt so aus, wie die Mehrzahl der Prenzlauer Berger Häuser: frisch saniert. Jetzt sollten eigentlich die alten Mieter zurück in ihren modernisierten Wohnungen sein und sich darüber freuen, dass sie zwar kein Außenklo mehr haben, dafür aber trotzdem noch eine moderate Miete. Sollten. Denn der Plan, der im Sommer 2012 gefasst wurde, ist nicht aufgegangen.
In einem Vertrag haben damals das Pankower Bezirksamt, Investor Christian Gérôme und die Mieterberatung Prenzlauer Berg festgehalten, dass alle verbliebenen Mieter nach der Sanierung zu guten Konditionen zurückziehen könnten oder alternativ eine andere Wohnung mit niedriger Miete angeboten bekämen. Damit sollte der zwischen Mietern und Investor über die Umstände der Sanierung ausgebrochene Streit beigelegt werden. Funktioniert hat das jedoch nur bedingt.
Alte Wohnung spurlos verschwunden
Immer wieder gab es Ärger: Es ging um Schwammbefall, einen vermeintlichen Brandanschlag und Einbrüche. Zuletzt musste das Bezirksamt auf eine kleine Anfrage des Bezirksverordneten und früheren Stadtentwicklungs-Stadtrats Michail Nelken (Linke) einräumen, dass ein Mieter aus seiner Umsetzwohnung nicht zurückkehren konnte, weil seine alte Wohnung gar nicht mehr existierte: Sie wurde während seiner Abwesenheit mit einer anderen Wohnung zusammengelegt und verkauft. Auf Nelkens Frage, ob das Bezirksamt in diesem Vorgehen des Eigentümers einen eklatanten Vertragsbruch sehe, lautet die eindeutige Antwort von Jens-Holger Kirchner (Grüne), Stadtrat für Stadtentwicklung: „Ja“.
„Wir prüfen gerade, wie wir da weiter vorgehen“, sagt Kirchner auf Nachfrage. Denn der Vertrag zwischen Bezirk und Investor sieht keine konkreten Strafen vor, wenn sich eine der Parteien nicht an die Abmachungen hält. Das werde man in Zukunft anders handhaben, sagt Kirchner, der trotz der Rückschläge in der Gleimstraße immer wieder solche Verträge abschließen will. Schließlich seien für einige der Mieter durchaus gute Lösungen gefunden worden. „Ein gutes Beispiel, wie es funktionieren kann, ist es aber nicht.“
„Das war nur die Spitze einer Entmietungskampagne“
Linken-Politiker Michail Nelken findet dazu wesentlich deutlichere Worte. Aus seiner Sicht ist der Fall mit der verschwundenen Wohnung nur die Spitze einer Entmietungskampagne. „Der Investor hat seine spekulativen Profitziele rücksichtslos durchgesetzt“, sagt er. „Letztlich wurden fast alle Mieter aus dem Haus gedrängt, weil sie diesen Verwertungsinteressen im Wege waren.“
Die Schuld, dass die sanierte Gleimstraße 52 andere Bewohner hat als die unsanierte, sieht Nelken jedoch nicht nur beim Investor. Auch der Bezirk habe Fehler gemacht, indem er seine Möglichkeiten nicht ausgeschöpfte. So könne er etwa Grundrissänderungen verbieten – ein Recht, von dem der Bezirk in Zukunft konsequenter Gebrauch machen solle, meint Nelken. Zudem sei den Sorgen und Beschwerden der Mieter nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt worden. „Die Mieter wurden zum Schutz ihrer Rechte auf den privaten Rechtsweg gedrängt. Das hat einige überfordert“, so Nelken.
Dennoch hält auch er es weiterhin für richtig, Verträge zur Sanierung abzuschließen. Allerdings teilt er Kirchners Meinung, dass in Zukunft Sanktionen und Vertragsstrafen festgelegt werden sollten, falls die Vereinbarung nicht eingehalten wird.
Investor fühlt sich falsch verstanden
Und der Investor selbst? Die Fragen an Christian Gérôme werden von einem Anwaltsbüro beantwortet. „Für alle Probleme, die während der Bauphase aufgetreten sind, fand sich stets eine für alle Seiten zufriedenstellende Lösung“ schreibt dieses. Darüber hinaus verweist es darauf, dass der Investor die Wohnungen im Rohbau verkauft habe; die Verantwortung für die Mieter trage demnach jeweils allein der neue Eigentümer. Dies gelte auch für den Fall mit der zusammengelegten Wohnung, weshalb auch Kirchners Einschätzung, dort sei ein Vertragsbruch begangen worden, nicht stimme. „Verantwortlicher Ansprechpartner ist allein die Erwerberin und nicht unsere Mandantin.“
Zudem weist das Schreiben darauf hin, dass über den Investor viele Falschaussagen im Umlauf wären – etwa die Verantwortung für den oben angesprochenen Brand, was eine Diffamierung sei. Auch von einer Entmietung könne nicht die Rede sein: das Haus habe schon vor dem Verkaufstermin zu 60 Prozent leer gestanden, „ weil trotz guter Lage keiner in Wohnungen mit einem derart unterdurchschnittlichen Wohnstandard wohnen wollte“, heißt es in dem Schreiben.
„Es war ein schwieriger Weg – aber das Ergebnis entschädigt alle Mühe“, lautet das Fazit aus Investorensicht. „Aus einer Ruine wurde das wohl schönste Haus in der Straße.“
Keine direkten Auswirkungen auf Baupläne am Güterbahnhof
Aus Sicht der Bezirks stellt sich das etwas anders da. „Herr Gérôme hat fast alle Klischees bedient“, meint Stadtrat Kirchner. Die Zusammenarbeit sei folglich nicht unbedingt eine „vertrauensbildende Maßnahme“ gewesen. Dabei steht Bezirk und Investor noch ein großes Projekt bevor. Schließlich will Gérôme auf dem ehemaligen Güterbahnhof Greifswalder Straße ein neues Stadtviertel mit Townhouses und mindestens einem Hochhaus realisieren. Eine Baugenehmigung, die der Bezirk erteilt, hat er aber noch nicht.
„Wenn sie einmal Tempo 30 überschreiten, werden sie ja auch nicht gleich vom Straßenverkehr ausgeschlossen“, meint Kirchner. Folglich werde man trotz der schlechten Erfahrungen in der Gleimstraße erneut versuchen, gemeinsam eine gute Lösung zur Entwicklung des Areals zu finden.
So sieht das auch Michail Nelken. „Ziele und Festsetzungen des Baurechts sind allein nach städtebaulichen Gesichtspunkten zu bestimmen. Licht oder Schatten bei früheren Handlungen des Grundstückseigentümers sind dabei nicht maßgeblich“, sagt er. Allerdings hat Nelken bereits konkrete Vorstellungen, was nach städtebaulichen Gesichtspunkten das Beste für die Fläche wäre: Statt der von Gérôme geplanten Bebauung wünscht er sich eine Nutzung als Grünfläche wie von der Initiative „teddyzweinull“ vorgeschlagen.
Weitere Informationen zu dem Fall Gleimstraße 52 stehen in unserem Dossier.
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