Wer war Alois Senefelder? Und warum darf man sich vor ihm ruhig mal verneigen? Der Künstler Thomas Rother zeigt es uns derzeit in der Galerie Ei.
Kleines Rechtschreibquiz: Senefelder Straße oder Senefelderstraße? Senefelder Platz oder Senefelderplatz? Zugegeben: Den meisten Menschen – außer vielleicht Journalisten, Dudenmitarbeitern oder Postzustellern – dürfte die Frage, ob man das jetzt getrennt oder zusammen schreibt, reichlich egal sein. Viel wichtiger als solche orthografischen Finessen ist schließlich der Mensch, nach dem diese Orte benannt sind. Mit Vornamen hieß er Alois, gelebt hat er von 1771 bis 1834. Bedeutend war er, weil er die Lithografie erfand, also den Steindruck mit den charakteristischen seitenverkehrten Druckvorlagen. Alle heutigen Offsetdruckerzeugnisse – Plakate, Flyer, Tageszeitungen – gehen also letztlich auf seine Erfindung zurück. Verdientermaßen gibt es deshalb in Prenzlauer Berg auch schon seit 1892 ein Denkmal für ihn: Am – tja, Senefelderplatz oder Senefelder Platz? – sitzt Alois Senefelder mit zwei Putten und einer Steinplatte in der Hand auf einem ansehlichen Marmorsockel.
Gleich zwei Starerfinder auf einmal
Ganz in der Nähe erinnert zur Zeit noch ein zweites Kunstwerk an ihn. Es stammt von dem in Essen lebenden Künstler Thomas Rother und ist noch bis 4. Januar in der Galerie Ei zu sehen, die sich – wo sonst – natürlich in der Senefelderstraße? Senefelder Straße? befindet. Im Zentrum der Installation steht ein Lithostein, auf dessen Unterseite Senefelders Unterschrift in Spiegelschrift eingefräst ist. Erst wenn sich der Betrachter auf eine davor stehende Bank setzt und den Kopf etwas nach unten beugt (sich also gewissermaßen verneigt) wird die Unterschrift auf einem darunter liegenden Spiegel in Sütterlin lesbar. Auf der Vorderseite des Steins und auf einer über dem Druckbock hängenden Büttenprägung ist zudem die Unterschrift Albert Einsteins zu erkennen. Da schlägt man als Ausstellungsgast quasi zwei Fliegen mit einer Klappe: Indem man sich nur ein einziges Mal verbeugt, kann man gleich zwei Starerfindern auf einmal huldigen.
Darum heißt das Objekt auch „Verneige Dich!“, Thomas Rother hat es eigens für die Ausstellung geschaffen. Es ärgerte ihn einfach, dass heute kaum jemand mehr weiß, wer Alois Senefelder war. „Ein riesiger Teil unserer Kommunikation geht auf seine Erfindung zurück,“ so Rother im Gespräch mit den Prenzlauer Berg Nachrichten. „Er war ein großer Handwerker, nach Gutenberg der wichtigste Mann der Druckindustrie. Da musste einfach mal was dazu gemacht werden.“
Der Körper als Druckerpresse
Zudem merkte Rother irgendwann, dass er in vielen seiner eigenen Kunstwerke schon lange mit Senefelders Technik arbeitete, ohne dass ihm dies bewusst war. Seine „Industrieabnahmen“, von denen etliche derzeit in der Galerie Ei hängen, sind Spiegelbilder von alten Industrieteilen und Schrott-Fundstücken, von Zahnrädern, Fassdeckeln oder Unterlegscheiben. Rother las sie in einem stillgelegten Essener Bergwerk auf, bestäubte sie mit Pigmenten und drückte sie dann mit Händen und Füßen fest auf angefeuchtetes Büttenpapier, das eigene Körpergewicht als Druckerpresse nutzend. So entstand ein spiegelverkehrter Abdruck des jeweiligen Werkstücks. Wie bei einem Rorschach-Test (das ist dieser Tintenklecks-Test, mit dessen Hilfe manche Psychologen Rückschlüsse auf die Persönlichkeit des Klecksdeuters ziehen) kann man dank der entsprechenden Werktitel in manchen dieser „Industrieabnahmen“ allerlei lustige Füße, Gesichter, Engel oder verschleierte Frauen erkennen.
Senefelder Straße oder Senefelderstraße?
Man braucht kein besonderes Verhältnis zum Steinkohlebergbau zu haben, um sich diese Kunstwerdung einer untergegangen Arbeitswelt gern anzusehen. Speziell für uns Prenzlauer Berger Flaneure ist der Besuch aber vor allem deshalb spannend, weil diese Rother- in gewisser Weise ja zugleich auch eine Senefelder-Ausstellung ist. Zumindest wissen wir dank Rother endlich, wer der Namenspatron von Straße und Platz eigentlich war. Da geht man doch gleich viel informierter durch die – ja, wie jetzt: Senefelderstraße oder Senefelder Straße? Nun, ihr Journalisten, Dudenmitarbeiter und Postzusteller da draußen: Weil „Senefelder“ ein Mensch war und kein Ort, müssen nach ihm benannte Straßen und Plätze laut Duden natürlich zusammen geschrieben werden. Genau wie „Raumerstraße“ oder „Kollwitzplatz.“
Thomas Rother, Nachrichten aus Rosengarten. Bilder, Materialbilder, Stahl- und Papierarbeiten. Noch bis zum 04. Januar 2014 in der Galerie Ei, Senefelderstraße 31, geöffnet mittwochs, donnerstags und freitags von 15-19 Uhr, samstags von 12-16 Uhr, Eintritt frei.