Die Berliner Abgeordneten verordnen sich selbst mehr Bürgernähe. Für die Bürger als Steuerzahler heißt das aber zunächst einmal: Das Ganze kostet ein paar Millionen mehr.
Feierabendparlament. So wird ein Teilzeitparlament gerne genannt. Und ein solches Teilzeitparlament ist das in Berlin. Man kann sich denken, dass es Auswirkungen auf die Arbeit der Abgeordneten hat, wenn sie die Parlamentsarbeit neben einem Hauptberuf ausüben. Deshalb werden immer wieder Stimmen laut, die für den Stadtstaat Berlin ein Vollzeitparlament fordern. Nein, dieses gehofft kleine, aber feine Abgeordnetenhaus kommt nicht. Dafür haben sich SPD, CDU, Linke und Piraten auf andere Änderungen geeinigt, die mit größter Wahrscheinlichkeit am Donnerstag so angenommen werden. (Nachtrag Donnerstag, 12. Dezember: Die Änderungen wurden angenommen.)
Ab Januar sollen zum Beispiel die Bezirksverordneten mehr Geld bekommen sowie Arbeitszeiten und Diskussionskultur im Parlament verändert werden, wodurch man sich lebendigere (und TV-kompatiblere) Debatten erhofft. Herzstück der Reform aber ist die stärkere Verortung der Abgeordneten im Kiez. Sie sollen die Möglichkeit erhalten, in ihrem Wahlkreis ein Bürgerbüro einzurichten, so wie das die Abgeordneten im Bundestag auch dürfen. In diesem Büro soll sogar jemand sitzen und richtig arbeiten dürfen. Ist doch klar, denken Sie genervt? Nein, ist es nicht.
Kein vergoldeter Klodeckel
Bisher erhalten die Berliner Parlamentarier für Angestellte 580 Euro. „Gefördertes Prekariat“, nennt das die SPD-Politikerin Clara West, im Abgeordnetenhaus für den nördlichen Teil von Prenzlauer Berg und den südlichen von Weißensee. „Damit kann man nichts Anständiges machen“. Ihre Abgeordneten-Kollegin Stefanie Remlinger von den Grünen fügt hinzu: „Das sind de facto sieben bis neun Stunden, in denen wir studentische Mitarbeiter beschäftigen.“ Die paar Stunden sind für die parlamentarische Arbeit einfach zu wenig, da sind sich die Damen einig. Sie vermissen die Möglichkeit, Regierung und Verwaltung eingehend unter die Lupe nehmen und damit kontrollieren zu können.
Deshalb freuen sich West und Remlinger darüber, dass sie ab 1. Januar 2014 3.000 Euro für Mitarbeiter bekommen sollen, also mehr als fünf Mal so viel wie bisher. Allerdings freut sich die eine mehr als die andere. Die SPD-Frau Clara West hält die Wahlkreisbüros für eine sehr gute Sache. Sie glaubt fest daran, dass das Abgeordnetenhaus bürgernäher wird, „wenn wir aus dem Raumschiff Parlamentsgebäude raus in unsere Kieze gehen und damit auch sichtbarere Anlaufstellen schaffen“. Natürlich koste das auch Geld (genauer gesagt beinahe sieben Millionen Euro). Aber: Davon profitierten in erster Linie die Bürgerinnen und Bürger und nicht die Abgeordneten als Privatperson. „Es geht eben nicht um den vergoldeten Klodeckel!“
Büros bei den Grünen nicht „Top of the list“
Stefanie Remlinger ist weniger enthusiastisch: „Ich nehme das Wahlkreisbüro gerne, aber es wäre nicht ‚Top of the list’ meiner Wünsche.“ Warum nicht? „Das Problem ist nicht, dass wir die Anliegen der Bürger nicht kennen. Das Problem ist, ob wir davon etwas parlamentarisch umsetzen können.“ Remlinger hätte deshalb – wie alle Grünen im Abgeordnetenhaus – lieber mehr Geld für mehr wissenschaftliche Mitarbeiter in den Fraktionen. Die strikte Trennung zwischen Wahlkreisbüro und parlamentarischer Arbeit hält sie für absurd. „Das vollständig aufzuheben, darum ringen wir noch!“
Andreas Otto, im Abgeordnetenhaus für den Pankower Wahlkreis, der Schönhauser und Prenzlauer Allee sowie Danziger und Eberswalder Straße umfasst, ergänzt: Hauptaufgabe der Oppositionsparteien im Parlament sei die Kontrolle der Regierung; und die sieht der Grünen-Politiker in Gefahr: „Die Reform darf nicht dazu führen, dass die Abgeordneten nur noch im Wahlkreis sind und der Senat allein im Haus bleibt.“ Deshalb trägt die Fraktion der Grünen im Abgeordnetenhaus die Reform nicht mit.
Piraten hoffen auf mehr analoge Kontakte
Stefanie Remlinger sieht dennoch ein paar Vorteile der geplanten Änderungen: „Ich freue mich, dass künftig jemand Vollzeit für mich ans Telefon geht und die 100 bis 200 Mails pro Tag abarbeitet, das schaffe ich nämlich nicht.“ Ob ihr Mitarbeiter nun in Prenzlauer Berg sitze oder im Abgeordnetenhaus in Mitte, sei ihr letztlich egal. „Schließlich leben wir in einer digitalen Welt“. Eine Sorge aber hat die Grünen-Politikerin noch: Wie sie angesichts der knappen Flächen in Prenzlauer Berg ein Büro finden soll.
Die Piraten suchen schon nach einer Immobilie. 1.000 Euro Miete darf das Ganze im Monat kosten. Die Partei, die im Politbetrieb für die digitale Welt zuständig ist, hofft durch die Wahlkreisbüros auf mehr analoge Kontakte: mit Bürgern, aber auch untereinander. „Das stärkt die Zusammenarbeit zwischen unserer Fraktion im Abgeordnetenhaus und der in der Bezirksverordnetenversammlung “, ist Jan Schrecker überzeugt, Vorsitzender der Piraten-Fraktion in der BVV Pankow. Schrecker sieht aber auch einen ganz konkreten Nutzen für seine eigene Arbeit: „Viele Bürger wissen nicht, für was die BVV zuständig ist und was eher auf die Landesebene gehört. Mit so einem Büro kann man das auf dem kurzen Dienstweg klären.“
Sieht man sich das Wirrwarr der Zuständigkeiten in Berlin genauer an, könnte zumindest diese Aufgabe ein wenig zu groß sein für ein kleines Büro.
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