Bis zum 12. Dezember haben die SPD-Mitglieder Zeit, per Post über den Koalitionsvertrag mit der Union abzustimmen. Wir haben die Pankower SPD-Politiker gefragt: Wie entscheiden Sie?
Die SPD macht gerade nicht den entspanntesten Eindruck. Nein, wir meinen nicht Sigmar Gabriel persönlich und nein, uns interessiert sein Auftritt im „heute Journal“ bei Marietta Slomka überhaupt nicht. Was uns aber interessiert, ist das Mitglieder-Votum zum Koalitionsvertrag an sich. Und vor allem wollen wir wissen: Wie entscheiden sich die SPD-Politiker bei uns im Kiez? Deshalb haben wir einige von Ihnen genau das gefragt.
Die Antwort von Bezirksbürgermeister Matthias Köhne fällt allerdings ähnlich knapp aus wie die von Bezirksstadträtin Lioba Zürn-Kasztantowicz. Letztere weist lediglich darauf hin, dass es sich um eine geheime Abstimmung handelt. Köhne hingegen hat sich nach eigener Aussage noch nicht entscheiden. Kein Problem. Die Abstimmungs-Unterlagen müssen erst am Donnerstag, den 12. Dezember, um 24 Uhr im Postfach des Parteivorstandes sein. Also, Herr Köhne: Kein’ Stress! Und als Entscheidungshilfe können Sie ja ganz in Ruhe die Argumentation ihrer Parteifreunde lesen.
Cansel Kiziltepe zum Beispiel, SPD-Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg und Prenzlauer Berg Ost, hält die Koalition mit der CDU keineswegs für eine ideale Konstellation, will aber (wahrscheinlich) trotzdem mit JA stimmen:
„Ich sehe, mit einigen Bedenken, gute, wichtige Kompromisse im ausgehandelten Koalitionsvertrag und bin der Meinung, dass damit der Einstieg in eine bessere Politik erreicht werden kann. Als überzeugte Gewerkschafterin sind für mich vor allem die Verbesserungen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land von großer Bedeutung. Hierzu zählen der Mindestlohn und die vollständige Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes – denn damit wird dem Lohndumping endlich ein Ende gesetzt. Diese Punkte sind elementar und werden konkrete, positive Auswirkungen für Millionen von Menschen haben.“
Clara West, Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses für den nördlichen Teil von Prenzlauer Berg und den südlichen Teil von Weißensee, ist entschieden gegen den Vertrag. Sie wird mit NEIN stimmen:
„… weil Deutschland einen echten Politikwechsel braucht. In einer großen Koalition, in der es keine Bürgerversicherung, keine umfassende Reform der Pflege, keine Vermögenssteuer, keine Reform der Erbschafts- und Schenkungssteuer, keine Begrenzung der Managergehälter, keine Reform der Flüchtlingspolitik, keine Gleichstellung der Homo-Ehe gibt, das Betreuungsgeld dafür bleibt und die den Mindestlohn erst endgültig kurz vor der nächsten Wahl einführen will, ist das nicht möglich. Das geht nur mit einer starken SPD, die es geschafft hat, die Glaubwürdigkeit in ihren Kernbereichen wiederzugewinnen. Dafür müssen wir uns auch personell, strukturell und inhaltlich neu aufstellen. Das geht vor allem nicht, wenn wir einfach mit fast dem gleichen Personal wie 2005 in eine große Koalition gehen. (…) Es ist mir zu kurz gegriffen, die „staatspolitische Verantwortung“ der SPD immer nur in der aktuellen Regierungsbildung zu sehen. Wir haben in der Vergangenheit auch in der Opposition bewiesen, dass wir aus dieser Verantwortung heraus handeln können. Siehe Fiskalpakt. Für mich ist aber insbesondere wichtig, dass die SPD auch eine zukünftige Verantwortung hat, der sie sich nicht stellen kann, wenn sie sich jetzt selbst zur Mehrheitsbeschafferin für Angela Merkel macht.“
Klaus Mindrup, SPD-Bundestagsabgeordneter für Pankow, hat bereits abgestimmt – und zwar mit JA. Seine (hier gekürzte) Begründung postete er auf seiner Facebook-Seite:
„Unter dem Strich bin ich der Überzeugung, dass wir die Chance nutzen müssen, jetzt die Lebenssituation der Menschen zu verbessern, die uns ihr Vertrauen geschenkt haben. Sie brauchen jetzt Fortschritte auf dem Arbeitsmarkt, für ihre Rente, für die Kinderbetreuung, die Pflege und im Staatsbürgerschaftsrecht – nicht erst in einigen Jahren. Zwar konnten wir uns in mehreren Punkten nicht durchsetzen, haben jedoch viel erreicht. Davon werden auch die Menschen in Berlin und Pankow profitieren. Natürlich gibt es niemanden in der Partei, der sich nicht mehr wünschen würde. Aber ich bin überzeugt: Die SPD wird nur dann wieder mehrheitsfähig, wenn sie diese Chancen auf Verbesserungen nicht verspielt. (…) Die SPD kann jetzt in der Regierung beweisen, dass sie das umsetzt, was sie vor der Wahl versprochen hat.“
Auch Nikolaus Karsten, Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses für Prenzlauer Berg südöstlich der Greifswalder Straße und den Südosten Weißensees, will JA zum Koalitionsvertrag sagen. Er glaubt, dass die SPD damit ihre vorausschauende sozialdemokratische Agenda-2010-Politik abrunden kann:
„Als Deutschland der ‚Kranke Mann Europas’ war, haben wir von ‚den Armen’ genommen und es ‚den Reichen’ gegeben. Hartz IV und Steuererleichterungen für Unternehmen und höhere Einkommen. Keine typisch soziale SPD-Politik. Wir haben damals viele SPD-Mitglieder verloren. Aber wir haben gesagt, der Kuchen muss erst gebacken werden, bevor er verteilt wird. Nun ist er gebacken. (…) Deutschland ist per Saldo innerhalb von 15 Jahren um einen 3-Billionen-Kuchen reicher geworden. Der Kuchen wird durch die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns in Höhe von Euro 8,50 und die Einführung einer Mietenbremse gerechter verteilt. Vielen Menschen wird es spürbar besser gehen. Und das ist auch für diejenigen schön, die nicht direkt davon profitieren. Das ist zumindest unser sozialdemokratisches Grundverständnis. Und ich hoffe, dass diejenigen, die uns damals den Rücken gekehrt haben, wieder zu uns zurück kommen.“
Ganz anders sehen das die Schwusos Pankow, also die Arbeitsgemeinschaft Schwule und Lesben. Sie werben – vor allem wegen des Fehlens einer wirklichen Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften – für ein klares NEIN:
„Dieser Koalitionsvertrag muss abgelehnt werden! Keine Frage, im Koalitionsvertrag steht auch viel Ermutigendes. Aber wie sollen wir uns über bessere Bildungschancen, gute Arbeit und sichere Renten freuen, wenn Menschen in diesem Land – und zwar vielen Menschen! – weiterhin zentrale Grundrechte verweigert werden? Grundrechte, für deren Zugeständnis es breite gesellschaftliche Mehrheiten gibt. Stark eingeschränkte Rechte für Flüchtlinge, Asylsuchende und Menschen mit Migrationshintergrund sind ähnlich problematisch zu sehen; und auch hier bringt der Koalitionsvertrag allenfalls geringfügige Verbesserungen. Sicher, in Koalitionen muss man Kompromisse eingehen. Aber es gibt Politikfelder, in denen Kompromisse nicht nur zynisch wirken, sondern schlichtweg inakzeptabel sind. Wir verhökern keine Menschenrechte am Verhandlungstisch!“
Also, Herr Köhne: Ist da etwas für Sie dabei? Falls nicht, können Sie sich, genauso wie alle anderen SPD-Mitglieder, informieren bis zum Umfallen. Alleine die Pankower SPD hatte und hat diverse Sondersitzungen im Angebot, bei denen sich die Mitglieder über den 185-Seiten-starken Koalitionsvertrag die Köpfe heißreden können. Auch die SPD Berlin bietet allerlei Konferenzen und Diskussionsveranstaltungen, die Parteispitze wirbt sowieso auf allen Kanälen vehement um die Zustimmung der Genossen. Denn bald heißt es: Und jetzt, liebe SPD, musst Du Dich entscheiden!
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