Todesursache: Andere Meinung

von Lydia Dartsch 8. November 2013

Nach Matthias Domaschk ist das Archiv der DDR-Opposition in der Schliemannstraße benannt. Anfang der 80er starb er aus ungeklärten Gründen in Stasi-Haft. Nun erinnert eine Ausstellung an ihn.

Wie Matthias Domaschk in der Stasi-U-Haft ums Leben kam, ist bis heute nicht geklärt. Was wir wissen, ist, dass nach ihm ein ganzes Archiv benannt ist. Betrieben wird es in der Schliemannstraße von der Robert-Havemann-Gesellschaft, die seit den neunziger Jahren die Opposition in der DDR aufarbeitet. 

Widerstand sah der Staat damals bereits in jungen Männern mit langen Haaren und in Jugendlichen, die vermeintlich falsche Bücher lasen, falsche Musik hörten und ihre eigenen Ansichten vertraten. Einer davon war der Jenaer Matthias Domaschk. Seine Geschichte wird nun als Teil der Ausstellung „Jugendopposition“ in der Browse-Gallery in der Marheineke-Halle gezeigt.

Doch warum heißt ein Oppositions-Archiv in Prenzlauer Berg nach einem jungen Mann aus Jena, und warum wird sein Schicksal in einer Kreuzberger Markthalle ausgestellt?

 

Erst Stasi-Beamter, dann Marktleiter

 

Jahrelang war Horst H. Köhler dort Marktleiter, bis ihn im August dieses Jahres seine Vergangenheit einholte: Er war der Offizier des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), der Matthias Domaschk am 10., 11., und 12. April 1981 verhörte und zuletzt lebend sah. In der Markthalle hatte das bis dahin niemand gewusst.

Domaschk war in der Jungen Gemeinde Stadtmitte in Jena aktiv. Schon 1976 geriet er erstmals ins Visier der Stasi, als die Junge Gemeinde mit Flugblättern gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns demonstrierte und Unterschriften dagegen sammelte. Domaschk galt damit als „politisch untergrundtätig“; er wurde verhaftet und kurz vor seinem Abitur von der Schule geworfen. Trotzdem machte er weiter.

 

„Keine Langhaarigen“ auf den SED-Parteitag

 

Am 10. April 1981 war er auf dem Weg zu einer Geburtstagsparty in Berlin, als er von der Transportpolizei im Zug verhaftet wurde – „zum Wohle des Volkes“, wie es damals hieß. Denn zeitgleich fand in Berlin der zehnte Parteitag der SED statt. Um diesen zu sichern, war die Operation „Kampfkurs X“ ins Leben gerufen worden. Ihr Ziel war es, verdächtige Personen – „Terroristen“ genannt – nicht nach Berlin reisen zu lassen. Dokumenten in der Ausstellung ist zu entnehmen, dass „keine Langhaarigen“ zum Parteitag zugelassen waren.

Domaschk wurde nach seiner Verhaftung ins Stasi-Gefängnis nach Gera gebracht. Dort traf er auf seine Vernehmer, Horst H. Köhler. Was in den folgenden 55 Stunden geschah, ist bis heute unklar. Am Ende war Domaschk tot. Er habe sich selbst mit seinem Hemd erhängt, steht in den Akten. Sein Verhörer schweigt. Seine Freunde zweifeln.

 

Belohnung für Domaschks Vernehmung

 

Als nach der Wende herauskam, dass Köhler für die Stasi gearbeitet hatte, wurde er im Fall Domaschk zu 60 Tagessätzen à 40 D-Mark verurteilt – wegen Freiheitsberaubung. Schließlich hatte er den jungen Mann 55 statt der erlaubte 24 Stunden festgehalten. Einen anderen Anklagevorwurf habe das Rechtssystem der DDR nicht zugelassen, sagt John Steer vom Stasimuseum, der die Akten für die Ausstellung zusammengetragen hat. Das DDR-Regime hatte Köhler sogar eine Belohnung von 400 Mark für die Verhaftung und Vernehmung Domaschks gezahlt.

Danach wuchs Gras über die Sache. Dass der Marktleiter und der MfS-Beamte Köhler die gleiche Person sind, hätten die Mitarbeiter der Markthalle bis August nicht gewusst, sagt Tom Sello von der Robert-Havemann-Gesellschaft. Dann hat ein Bericht des Tagesspiegels die Vergangenheit wieder ans Licht gebacht. 

 

Täterblick für die Besucher

 

„Das sind absolute Verbrecher gewesen“, sagt John Steer. Bewusst hat er auch viele unkommentierte Dokumente in die Ausstellung mit aufgenommen, damit sich die Besucher selbst einen Reim darauf machen können, was passiert ist. „Wir wollen ihnen auch den Täterblick geben“, meint Steer.

Mehr davon soll es Anfang 2015 geben, wenn die neue Dauerausstellung des Stasimuseums in Lichtenberg eröffnet.

Zu sehen ist die Ausstellung noch bis zum 30. November an Wochentagen zwischen 8 und 20 Uhr, an Samstagen zwischen 8 und 18 Uhr. Marheineke-Markthalle, Marheinekeplatz 15 in Kreuzberg. Der Eintritt ist frei.

 

 

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