Künstlerbezirk, Oppositionellen-Treff, die Legende des Prenzlauer Berg vor der Wende gibt viel her. Nun schaut ein neuer Bild-Prosa-Band hinter diese Fassade. Und entdeckt dort viel Trostloses.
Wir sind so weit, manch einer wünscht sich zurück. Zurück in den Prenzlauer Berg, wie er früher einmal war. Voller Künstler, voller kritischer Gedanken, mit dem Charme des Verfalls und den Möglichkeiten des vergessenen Ortes. Wem die Gentrifizierung zum Hals raus hängt, der glorifiziert diese Vergangenheit gerne. Doch dagegen gibt es nun ein Gegenmittel. „Hinter der Stille“ heißt es, ist im Mitteldeutschen Verlag erschienen und vermittelt den Prenzlauer Berg der 1980er als so trostlosen Ort, dass man sich wirklich nicht mehr dahin zurücksehnen kann.
Das Buch kombiniert Schwarz-Weiß-Fotos, die der niederländische Fotograf Ron Jagers bei seinen zahlreichen Besuchen in der DDR gemacht hat, mit Texten von Andreas H. Apelt. Dieser kam nach einer Ausbildung als Forstfacharbeiter 1978 in den Prenzlauer Berg und schlug sich hier als Kulissenschieber und Maurer durch. Zudem begann er zu schreiben. Die Texte, die er den Fotos Jagers für das gemeinsame Buch zugeordnet hat, sind fast alle in den 80ern entstanden. Mit ihren kurzen Sätzen und den assoziativen Sprüngen wirken sie manchmal fast wie Gedichte.
Wie auch?
Eine Kostprobe? „Günther wohnte unter dem Dach. Oben, im vierten Stock. Das Dach wohnte unter dem Himmel. Der Himmel war grau. Auch hier im zweiten Hof.“ Am Ende der Seite hat Günther sich unten im Hof an der Teppichstange erhängt. Das dazugehörige Bild zeigt die aufgereihten Mülltonnen im dunklen Hof mit seinen abplatzenden Fassaden und dem holprigen Pflaster.
Oder: „Manne war gegangen. Nicht weit. Gar nichts weit. Denn hinter der ersten Mauer war Schluss. Manne hatte es nicht über die zweite geschafft. Wie auch?“ Zwei Schuhe liegen verloren auf dem Kopfsteinpflaster vor der Mauer. „Der Sand färbte sich rot. Aber die Mauer blieb grau“, schreibt Apelt.
Oder. „Hemmling ist Maler. Und berühmt ist er auch. Aber das heißt nichts.“ Vom Wiener Cafe aus startet Hemmling seine ganz persönliche Pilgerreise, um die Kunst zu predigen. „In der Lychener Straße macht die Gemeinde die erste Station. Mutter ,Fengler‘ kreuzt den Jakobsweg.“ Der Künstler trinkt und redet lieber über die Kunst, als sie zu betreiben. Auf dem dazugehörigen Foto sitzt eine junge Frau im Sommerkleid am Tisch, den Kopf in die Hand gestützt, die Zigarette im Anschlag. „Einsamkeit, 1987″ lautet die Bildunterschrift.
Kaputt im Einzelnen, trostlos in der Gesamtheit
Der Trinker in der Stammkneipe am 1. Mai, der Kriegsheimkehrer mit der Frau ohne Beine, und der Mann, der nur seine Meinung sagen wollte und im Knast endete. Kurze Einblicke in das Leben einzelner, das ist Apelts Sache. Jagers liefert dazu die Fotos, die im Einzelnen die legendäre Kaputtheit und Einfachheit des Lebens hier vor 30 Jahren zeigen. In ihrer Gesamtheit vermitteln sie eine unerträgliche Trostlosigkeit. Weil niemand lacht und ständig überall Schneematsch zu liegen scheint.
Ron Jagers war immer nur Gast in Prenzlauer Berg. Sein Blick ist der eines Außenstehenden, und der deckt schonungslos die Unwirtlichkeit dieses Ortes auf. Apelt hingegen war selbst Protagonist, Teil der Szene und damit nah genug dran, um mit ein paar Worten ganze Schicksale aufreißen zu können. Zusammen schaffen sie ein ziemlich ungeschminktes Alltagsbild eines vermeintlich so mystischen Ortes.
Andreas H. Apelt (Prosa), Ron Jagers (Fotografie): Hinter der Stille. Berlin-Prenzlauer Berg 1979 – 1989. Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 2013, 160 Seiten, 24,95 Euro.
Am Dienstag, 9. Juli, 20.30 Uhr liest Andreas H. Apelt aus dem Buch in der Buchbox, Greifswalder Str. 33, Eintritt frei.
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