Können Menschen mit einer autistischen Störung der Verwaltung besonders nützen? Darüber streiten Bezirkspolitiker. Die einen sagen ja, die anderen finden das diskriminierend.
Geht es um Defizite, sind die Assoziationsketten in der Pankower Verwaltung recht klar. Finanzdefizit, Personaldefizit, damit verbunden wahrscheinlich auch mal ein ordentliches Motivationsdefizit. Alles keine berauschenden Faktoren, und deshalb ist es vielleicht mal ganz schön, von Defiziten zu sprechen, die der Verwaltung gelegen kommen. Zum Beispiel Defizite bei Menschen mit dem Asperger-Syndrom, einer autistischen Störung. Die Grünen in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) schlugen nun vor, jene Menschen verstärkt im Verwaltungsapparat einzusetzen. Begründung: Der eingeschränkten sozialen Interaktionsfähigkeit stünden besondere Fähigkeiten gegenüber, geht es zum Beispiel um „ausgeprägtes logisches Denken, extrem hohe Detailgenauigkeit sowie lange Konzentrationsfähigkeit“. Der Antrag war gut gemeint – gut an kam er aber bei den meisten anderen Bezirksverordneten nicht. Sie stimmten nur einer geänderten Version zu. Und werfen den Grünen jetzt vor, Menschen mit Behinderungen gegeneinander ausspielen zu wollen.
Das Asperger-Syndrom ist eine autistische Störung, die es Menschen erschwert, soziale Interaktion zu pflegen. Dafür haben Betroffene oft eine außergewöhnliche Aufmerksamkeitsspanne und enorme Gedächtnisleistungen, was damit einhergeht, dass sie die andauernde Wiederholung gleichförmiger Arbeitsgänge nicht ermüdet. Überdurchschnittlich viele Menschen mit Asperger haben einen Intelligenzquotienten, der im Bereich der Hochbegabung anzusiedeln ist. Kürzlich verkündete der Software-Konzern SAP, die Fähigkeiten von Menschen mit Asperger zu nutzen. Davon ließen sich auch die Grünen im Bezirk inspirieren.
„Menschen mit anderen Behinderungen werden ausgegrenzt“
Die öffentliche Verwaltung, so hieß es im Antrag, sollte Menschen mit autistischen Störungen einstellen, da diese „über besondere, zum Teil außergewöhnliche kognitive Fähigkeiten“ verfügten. Die Betroffenen zeichneten sich durch Eigenschaften aus „wie beispielsweise Ausdauer und Beständigkeit bei immer gleichen Arbeitsvorgängen, Erkennen von Details, eine hohe Beobachtungsgabe, ein fotografisches Gedächtnis, Genauigkeit und Detailversessenheit, hohe Konzentrationsfähigkeit, logisches Denken, Loyalität, Wahrheitsliebe und Merkfähigkeit“. Es klingt wie eine Würdigung von „Menschen mit besonderer Begabung“, und so will Daniela Billig, Fraktionsvorsitzende der Pankower Grünen, den Antrag auch verstanden wissen. Für andere klingt es nach Diskriminierung, wenn auch „positiver Diskriminierung“. Zum Beispiel für Gregor Kijora (SPD), Vorsitzender des Integrationsausschusses in der BVV.
Kijora habe „es fast den Atem verschlagen“, als er den Antrag gelesen habe, sagt er. Er könne es nachvollziehen, dass Unternehmen auf Menschen mit Asperger zurückgreifen, um ihren Umsatz zu steigern – dies im Falle des Bezirksamts aber als integrationspolitischen Schritt zu verkaufen, sei unredlich. „Hier wird sich einfach eine Gruppe herausgegriffen, weil sie produktiver erscheint. Und damit werden andere Menschen mit Behinderung ausgegrenzt.“ Ähnlich argumentiert Axel Bielefeldt (Linke), Vorsitzender des Sozialausschusses. „Es geht dabei explizit um die Bevorzugung einer Gruppe. Das kann nicht Sinn sein, wenn es um die Gleichstellung aller Behinderten geht.“ Motto: Entweder, es werden alle gefördert, oder keiner.
Kehrseite: Geringe Flexibilität
Dass Menschen mit Asperger-Syndrom bald gehäuft Anträge in den Ämtern des Bezirks bearbeiten, scheint damit also erst einmal ausgeschlossen. Reinhard Krüger findet das schade. Der Berliner Krüger ist eigentlich Professor für Literaturwissenschaft, hat sich im Zuge einer Spezialisierung auf Semiotik, die Wissenschaft von Zeichensystemen, in den vergangenen Jahren aber intensiv mit autistischen Störungen und dem Asperger-Syndrom beschäftigt. Krüger ist sicher, dass Menschen mit Asperger durchaus eine große Bereicherung für die Pankower Verwaltung wären. „Wenn es um Ordnung und Zuverlässigkeit geht, die buchstabengetreue Erfüllung von Aufgaben und eine unendliche Präzision bei großen Datenmengen“, seien viele Menschen mit Asperger unschlagbar. Kehrseite: Geringe Flexibilität vieler Mitarbeiter. „Die veränderte Position eines Bleistiftes kann durchaus dafür sorgen, dass der Arbeitstag gelaufen ist“, sagt Krüger. Dies sei nur ein Beispiel für die besondere Herausforderung, der sich dann nicht nur die Sachbearbeiter mit Asperger, sondern auch deren Kollegen gegenüber sehen. „Deshalb wäre in jedem Fall ein gutes Coaching aller Beteiligten im Vorfeld angebracht.“
Das wird nun aber erst mal nicht nötig sein. Die BVV hat dem Antrag zwar zugestimmt – allerdings in komplett geänderter Form. Nun wird allgemein gefordert, den Anteil schwerbehinderter Menschen im Amt zu erhöhen, von Asperger ist nicht mehr die Rede. Grünen-Chefin Billig bedauert das. Ob sie einen neuen Anlauf nehmen will zur Förderung von Menschen mit Asperger? Das wisse sie noch nicht.
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