Schlesingers Milieu

von Juliane Schader 13. Mai 2013

Kriegskind, Milieuschilderer, Grenzgänger und nicht zuletzt Prenzlauer Berger, das alles war der Schriftsteller Klaus Schlesinger. Seit Samstag erinnert eine Gedenktafel in der Dunckerstraße an ihn.

Am Ende war die Geschichte doch stärker als jeder Putz. Zwar ist die Fassade des Hauses in der Dunckerstraße 4 längst saniert und das Verwittert-Grau durch ein Frisch-gestrichen-Grau ersetzt worden. Mit übertüncht wurden dabei die Erinnerungen an den Arbeiterbezirk und das Künstlerleben, das dort ebenfalls herrschte. Doch seit Samstag prangt nun eine Gedenktafel an der Fassade, die daran erinnert, was und wer vorher hier waren. Klaus Schlesinger, dem sie gewidmet ist, hätte das sicher sehr gefallen.

Das meint zumindest Astrid Köhler, und sie muss es wissen. Immerhin ist sie Schlesinger-Biografin und damit das, was man heute so Expertin nennt. Die Germanistin forscht an der Londoner Queen-Mary-Universität über ostdeutsche Prosa vor und nach dem Mauerfall und seit einiger Zeit auch zu Klaus Schlesinger. „Er gehört zu den Autoren, die nie in der ersten Reihe standen – zumindest, was die Bekanntheit angeht“, sagt sie. Dass sein Namen nun trotzdem jedem, der die Dunckerstraße passiert, ins Auge sticht, ist mit Köhlers Verdienst.

 

Immerhin Vorderhaus

 

1937 wurde Schlesinger in den Prenzlauer Berg geboren. Seine Mutter war Hausfrau, sein Vater arbeitete beim Ullstein-Verlag. Gemeinsam lebten sie in der Dunckerstraße in einer Wohnung, die zwar winzig war, aber im Vorderhaus lag, was ihnen sehr wichtig war. „Das Leben hier, proletarisch, aber ins Kleinbürgertum aufsteigen wollend, hat ihn sehr geprägt“, sagt Köhler.

Kurz vor Ende des zweiten Weltkriegs verscholl der Vater, womit Schlesinger Teil der Generation wurde, in der sich nicht nur die Mütter um die Kinder, sondern auch die Kinder um die Mütter kümmern mussten. Er wurde Chemielaborant, zog mit 18 aus der Dunckerstraße Richtung Mitte und begann parallel mit dem Schreiben. „Eine typische DDR-Autoren-Biografie“, wie Köhler bestätigt.

Typisch heißt manchmal auch nicht angepasst, und so protestierte Schlesinger erst gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns 1976 und kurz darauf gegen eine Verurteilung Stefan Heyms, der seinen Roman „Collin“ einfach im Westen veröffentlicht hatte. Dafür wurde Schlesinger 1979 aus dem DDR-Schriftstellerverband ausgeschlossen, womit er nicht mehr publizieren durfte. Keine Option, fand Schlesinger, und zog 1980 auf die andere Seite der Mauer. „Er ist nicht in den Westen gegangen, sondern aus dem Osten weg“, erklärt Köhler. „Das ist ein wichtiger Unterschied, denn er wollte nicht bewusst in den Westen. Er musste nur raus aus der DDR.“

 

Leben auf der Grenze

 

Als Symbol dafür hat Schlesinger bis zuletzt seinen DDR-Pass behalten. Jede Woche ist er damit nach Ost-Berlin gereist, um seine Mutter in der Dunckerstraße zu besuchen oder zum Elternabend eines seiner Kinder zu gehen, die mitsamt ihrer Mutter zurückgeblieben waren. Zwar hat er sich in der Westberliner Hausbesetzer-Szene engagiert, aber so, wie er nicht richtig aus dem Osten weggehen wollte, ist er auch im Westen nie richtig angekommen.

„Er hat auf der Grenze gelebt und bald nirgendwo mehr richtig dazugehört“, meint Köhler. Als die Mauer fiel, zog er direkt zurück nach Mitte. Die Entwicklung in seinem Prenzlauer Berg hat er von dort aus sehr skeptisch beäugt. „Die Menschen, die damals mit dem Jaguar vorfuhren und erklärt haben, wie es jetzt läuft – das hat ihm nicht gepasst. Sein Milieu ging verloren“, erklärt die Biografin.

 

Zurück zur Utopie

 

Doch er hat nicht resigniert, sondern lieber gegen das Vergessen, gegen Wegsanierung und Übertünchen angeschrieben. 1996 erschien der Roman „Die Sache mit Randow“, ein Kriminalfall im Prenzlauer Berg der frühen 1950er Jahre. Auch das Fragment „Die Seele der Männer“ spielt zu dieser Zeit und begleitet zwei Männer auf ihren Streifzügen zwischen Berlin Ost und West. In diesen beiden Büchern sei Schlesingers Prenzlauer Berg am intensivsten, meint Köhler. In den 50ern seien sie angesiedelt, um an die Utopie zu erinnern, die der DDR zugrunde lag. „Er wollte die Potentiale aufdecken, die dann 40 Jahre lang zugeschüttet wurden.“

2001 starb Klaus Schlesinger an Leukämie. „Seine Geschichten erzählen von den Alltagserfahrungen in einer von den politischen Brüchen des 20. Jahrhunderts zerrissenen Stadt“, steht auf der Gedenktafel. „Man kann herziehen und die Häuser sanieren, aber die Geschichte ist dennoch immer da. Das wollte er vermitteln“, meint Köhler. Seit Samstag wird jeder, der an der Dunckerstraße 4 vorbeigeht, daran erinnert, dass auch Klaus Schlesinger ein Teil davon ist.

 

 

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