Bötzow

Der Bötzowkiez im Wandel

von Redaktion 26. September 2023

Vor hundert Jahren prägten kleine Brauereien das Bötzowviertel. Heute zeichnen Cafés, Baumalleen und Kopfsteinplaster das Stadtbild aus.


Von Manuela Stark

Noch sind die Kinderspielplätze an diesem Morgen leer. Aber vor der Bäckerei in der Bötzowstraße bildet sich schon eine lange Schlange. Die Wartenden freuen sich auf die ausgezeichneten Schrippen, die in der unscheinbaren Bäckerei ofenfrisch verkauft werden. Sie haben Zeit, ihren Blick über die Häuser aus der Gründerzeit mit ihren unterschiedlichen Hausfassaden schweifen zu lassen.

Die Wände sind mal rau, mal glatt mit Dekor, an manchen wächst Efeu, an anderen hängen Blumenkästen. Fast alle erscheinen frisch renoviert. In einigem Abstand stehen hoch gewachsene Bäume mit satten grünen Blättern. Dazwischen teilen sich Fußgänger*innen und Rollerfahrer*innen den Fußweg. Radfahrende müssen sich auf der Straße mit Kopfsteinpflaster plagen – wie schön wäre eine Fahrradstraße mit glattem Asphalt.


Dies ist ein Text aus unserer Reihe
„Kiezgeschichten“


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Hoffnung gibt es für die angrenzende Hufelandstraße, die soll zur Fahrradstraße werden. Allerdings steht noch eine Zustimmung des Senats zur Vergabe der Finanzmittel in Höhe von 998.000 Euro aus. Dann würde ab dem dritten Quartal 2024 das Kopfsteinplaster durch einen erschütterungsarmen Belag ersetzt werden. Tatsächlich befindet sich die Hufelandstraße in ständigem Wandel, Cafés öffnen und schließen. Trotzdem gibt es im Viertel alles, was man im Alltag braucht– vom Bäcker bis zur Physiopraxis. Wo heute in teuren Altbauwohnungen die gehobene Mittelschicht lebt, wohnten früher Arbeiter*innen.

 

Aktienbrauerei und Schneiderbrauerei am Friedrichshain

Benannt ist das Viertel nach der Familie Bötzow, die im 19. Jahrhundert große Ackerflächen weit über das heutige Gebiet hinaus besaßen. Insbesondere Julius Bötzow verkaufte sein Land aber nach und nach an Investoren, wie zum Beispiel an den Brauereibesitzer Lipps.

Im Süden des Viertels entstand so 1859 an der heutigen Straße Am Friedrichshain die Lipps Brauerei, später hieß sie Aktienbrauerei Friedrichshain. Heute würde man das dort hergestellte Bier als Craftbeer bezeichnen, da nur kleine Mengen produziert wurden. Umso größer war dafür der Saalbau der Brauerei, der unter Regierungsbaumeister Max Schilling entstand. Dieser Prunksaal im Renaissance-Stil bot rund 1.000 Menschen Platz und galt damals als größter Festsaal Europas. Gleich daneben befand sich die Schneiderbrauerei, in deren Ruine sich heute ein Tonstudio befindet. Heute ist von der damaligen Bierkultur wenig übrig, große Teile des Viertels wurden im Krieg zerstört. Nur eine Kneipe hinter dem Filmtheater Friedrichshain lädt nach der Vorstellung noch auf einen Absacker ein.

 

Die historische Parkanlage lädt zum Verweilen ein

Anstatt im Bötzowviertel Bier zu trinken, flanieren heute die Menschen durch das Viertel. Viele strömen auf die Straßen, um ihren Wochenendeinkauf auf dem kleinen Markt zu erledigen. An zahlreichen Ständen gibt es Obst und Gemüse aus der Region, die Käseauswahl ist groß, auch frischen Hefekuchen kann man kaufen. Wer mag, gönnt sich dazu einen Kaffee am mobilen Kaffeestand.

Gleich hinter dem Markt ertönt am Arnswalder Platz kurz vor 10 Uhr ein ungewöhnliches Grummeln, Wasser plätschert in die große Schale des Stierbrunnens. Zwei ältere Damen schlendern vorbei. Sie wohnen schon über 80 Jahre in diesem Kiez: „Es ist einfach schön hier. So ruhig. Alles gut erreichbar für uns“, sagen sie. Beide gehen regelmäßig auf den Wochenmarkt. Verändern wollen sie in diesem Viertel eigentlich nichts. Nur die Leute, die hier achtlos Müll wegwerfen, sollten ihn auch wieder beseitigen.

Die GartenInitiative Arnswalder Platz führt regelmäßig Putzaktionen durch. / Foto: Manuela Stark

 

Auch Carsten Meyer ärgert sich schon seit vielen Jahren über herumliegende Zigarettenkippen und anderen Müll. 2012 gründete er deshalb die „GartenInitiative Arnswalder Platz“. Gemeinsam mit Frank Schubert und weiteren engagierten Anwohner*innen trifft er sich neun Mal im Jahr, um den gröbsten Dreck zu beseitigen. Der Vandalismus sei über die Jahre stark zurückgegangen, findet er. Inzwischen kooperiert die GartenInitiative mit dem Straßen- und Grünflächen Amt für die gemeinsame Sache. Da die Anzahl der Gärtner*innen im Amt aufgestockt wurde, muss die Initiative inzwischen auch weniger aufräumen und hat mehr Zeit für den Austausch unter den Anwohner*innen. Traditionell beenden sie die Gartenpflege mit Kaffee und Kuchen.

 

Diskussion um Eschenallee reißt nicht ab

Überhaupt liegt die Aufmerksamkeit der Anwohner*innen schon seit Längerem auf einem Teil der Kniprodestraße an der Werneuchener Wiese, auf der mittlerweile eine Schuldrehscheibe steht. Seit Jahren wird dort um eine Reihe von Bäumen gestritten. Das Straßen- und Grünflächenamt (SGA) möchte aus dem bisher unbefestigten Gehweg an der Kniprodestraße einen festen machen, um die Schulwegsicherheit zur Schule zu gewährleisten. 25 Eschen müssten deswegen weichen, sagt das SGA. Und das, obwohl der Gehweg laut Schulamt für die Erschließung der temporären Schule sekundär ist. Nach langer Debatte lehnte die Bezirksverordnungsversammlung (BVV) schließlich im Juli einen Einwohnerantrag zum Erhalt der 25 Bäume mit deutlicher Mehrheit ab.

Doch die Initiative „Pro Kiez Bötzowviertel„, zu der auch GartenInitiative gehört, hat die Eschen noch nicht aufgegeben. Als Reaktion auf den Beschluss der BVV sammelten Anwohner*innen über 1.400 Unterschriften für den Erhalt der Eschen, sagt Meyer. Am 12. Oktober wollen sie sich erneut mit politisch Verantwortlichen in der Kurt Schwitters Schule austauschen. Ihr Ziel ist weiterhin der Erhalt der Eschen.

 

Titelfoto: Manuela Stark

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