Zionskirche

Für alle offen

von Redaktion 28. Februar 2023

Die Berliner Zionskirche an der Grenze zu Prenzlauer Berg feiert am Wochenende ihr 150-jähriges Jubiläum. Die Erinnerung an die Geschichte ihres Widerstandes ist bis heute lebendig.


Ein Gastbeitrag von Bettina Röder

Große und kleine Fahrräder stehen im Durchgang zum Hinterhof in der Griebenowstraße 16. Rechts führen ein paar Stufen zum Gemeindebüro. Hier sitzt an diesem Abend Pfarrer Matthias Motter: kurze Haare, Ring im Ohr, Dreitagebart. Jeden Donnerstag hat er Sprechstunde. Wie gut die Hälfte der 1 000 Gemeindemitglieder der Zionskirche kommt auch er aus den alten Bundesländern, wuchs in Westfalen auf. Seit knapp drei Jahrzehnten lebt er im ehemaligen Ostteil Berlins, seit 2017 ist er Pfarrer an jener Kirche, die auf einer kleinen Anhöhe in Mitte steht, kurz vor der Grenze zu Prenzlauer Berg.

Seine Gemeinde bereitet sich in diesen Tagen auf ein großes Fest vor: Das Gotteshaus wird am 2. März 150 Jahre alt. Diese Kirche, sagt Matthias Motter, habe ihn von Anfang an fasziniert, weil sie eine offene Kirche ist. Und damit, so der dreifache Familienvater, stehe sie in der Tradition des Widerstandskämpfers und Theologen Dietrich Bonhoeffer, der hier Jugendvikar war und eine „Kirche für andere“ lebte.

„Er hat Menschen in ihrer Lebenswirklichkeit gesehen. Dem fühlen wir uns verpflichtet.“ Nicht ohne Stolz verweist Matthias Motter darauf, dass es in diesem Jahr 80 Konfirmandinnen und Konfirmanden gibt, außerdem eine Kita mit knapp 100 Kindern. Aber auch die Tradition der Umweltbibliothek zu DDR-Zeiten, die nach dem nächtlichen Stasi-Überfall im November 1987 weltweit Schlagzeilen machte, ist ihm, als ein Ort gegen Unterdrückung und für Meinungsfreiheit, wichtig.

 

Kirchengebäude wird saniert

Das Gebäude schätzt er besonders, weil der Kirchenraum auch die Wunden und Narben der Vergangenheit zeigt: die Geschichte des Widerstandes gegen zwei Diktaturen. Es ist eben keine prunkvolle Kirche, und damit in ihrer Unvollkommenheit ein Spiegelbild menschlicher Existenz, mit allen Höhen und Tiefen. Das soll auch so bleiben, wenn die Backsteinkirche mit dem schlanken Turm umfassend restauriert wird. Ein großer Bauaufsteller neben dem geöffneten schmiedeeisernen Tor informiert über die Maßnahme. Im vergangenen Sommer wurde mit den Arbeiten begonnen, im Jahr 2025 sollen sie abgeschlossen sein. Eine moderne Fußbodenheizung, gespeist aus Erdwärme, und eine neue Orgel sind geplant. Behutsam soll der Innenraum restauriert werden.

Horst Edler, Journalist und seit den 1990er Jahren einer der Aktiven im Vorstand des Fördervereins der Kirche, steht auf der Empore. Er zeigt auf mehrere Plexiglasplatten, unter denen bunte Farbreste zu sehen sind. Auch die sollen erhalten werden. Sie entstanden beim Bemalen von Transparenten auf dem Fußboden in den Nächten nach dem Überfall auf die Umweltbibliothek, während draußen Polizei und Staatssicherheit die Kirche umlagerten: „Wir protestieren gegen die Festnahmen und Beschlagnahmung in der Umweltbibliothek“, war auf einem zu lesen.

In dieser Tradition zeigten vor kurzem 55 ukrainische und deutsche Künstler*innen mit ihren Arbeiten „Orte des Widerstandes“ gegen den verbrecherischen Krieg des Diktators Putin. Nicht ohne Rührung erinnert sich Horst Edler an die junge Sophia. Sie hatte eine Arbeit aus ihrer Heimatstadt Odessa zusammengefaltet in ihrem kleinen Koffer mitgebracht und die Faltstellen des Gemäldes sichtbar gemacht.

 

Zionskirche

Matthias Motter ist seit 2017 Pfarrer in der Zionskirche / Foto: Michael Reinke

 

Ort des Widerstandes

Markus Kaesler, der 35-jährige Foto-Künstler aus Heidelberg, eröffnete hier am 24. Februar, dem Jahrestag des Überfalls auf die Ukraine, eine Ausstellung zu 365 bearbeiteten Fotos: „Vanitas – Was bleibt?“ Er habe an jedem Tag des Krieges eines der Fotos „zerstört“, die nun in schwarzen Rahmen hier hängen. „Der Druck in mir musste raus, ich wollte einfach solidarisch sein“, sagt er.

Mit einem breiten Spektrum an Veranstaltungen will der 1990 gegründete Förderkreis der Kirche an aktuelle Ereignisse wie auch die bewegende Geschichte der Kirche anknüpfen. Eine ebenfalls vor kurzem gezeigte Ausstellung „Im Bau“ von dem Fotografen und Fördervereinsvorstand Roland Behrmann wurde von 3 000 Menschen besucht. Da ging es um die jüngste Baugeschichte der Zionskirche, die seit 150 Jahren ständig im Umbruch ist. Kaiser Wilhelm I. war zu ihrer Einweihung am 2. März 1873 höchst persönlich gekommen. Er hatte das Geld für die Kirche gespendet, weil er einem Attentat entgangen war.

Berlin wuchs in der Folgezeit binnen weniger Jahrzehnte von ein paar hunderttausend auf vier Millionen Einwohner. Die heute hochkomfortablen, heiß begehrten Wohnungen im Gründerzeitviertel rund um die Kirche waren vor allem Elendsquartiere für Arbeiter mit Billiglöhnen. Im größten Elend kurz nach der Weltwirtschaftskrise 1931 kam der damals 25-jährige Dietrich Bonhoeffer in die Gemeinde. Auch seine Konfirmanden lebten im Elend. Er half, wo er konnte, machte für sie eine Jugendstube auf, die aber von den Nazis nach der Machtergreifung bald wieder verboten wurde.

 

Überfall auf die Umweltbibliothek

Gut 50 Jahre später wurde die Zionskirche erneut Schauplatz des mutigen Widerstandes gegen eine Diktatur. Pfarrer Hans Simon kam 1984 her. Er überließ den Keller seines Pfarrhauses gegen viele Widerstände jungen Menschen, die sich dort für Meinungs- und Versammlungsfreiheit engagierten. Mit seiner Frau Barbara gab er ihnen Schutz und Räume.
„Das konnte nicht gut gehen, wir dachten immer, wann kommen die und holen die Jugendlichen ab“, erinnert sich Annette Leonhardt, die sich seit Mitte der 70er Jahre in der Zionsgemeinde engagiert.

Sie wohnte über der Umweltbibliothek im Gemeindehaus in der Griebenowstraße. Als dann die Räume in der Nacht zum 27. November 1987 von der Stasi überfallen und die jungen Leute verhaftet wurden, „da haben wir in großer Angst das Licht gelöscht“. Beschämt habe sie das an die Nazi-Zeit erinnert, als Menschen ebenfalls das Licht löschten, wenn Nachbarn abgeholt wurden. Als dann am nächsten Morgen der Hof des Gemeindehauses voller Menschen – darunter sogar Vertreter westlicher Medien – war, habe sie Hoffnung geschöpft, die knapp zwei Jahre später, im Herbst 1989, auch in Erfüllung gehen sollte.

Bis vor kurzem war die engagierte Frau Schriftführerin im Förderkreis. Der Gemeinde, die inzwischen unter dem Namen „Kirche am Weinberg“ mit drei weiteren Gemeinden vereint ist, ist sie bis auf den heutigen Tag treu geblieben. Als Zeitzeugin und Mitstreiterin in allen Höhen und Tiefen. Sie gehört zu den wenigen Alteingesessenen, die bis heute hier leben: In dem Gründerzeithaus in der Griebenowstraße 16, in dem auch Pfarrer Matthias Motter sein Gemeindebüro hat.

 

Zum 150. Jubiläum der Zionskirche findet am Donnerstag, 2. März ab 19 Uhr ein Festabend mit Wortbeiträgen und Musik statt. Am Sonntag, 5. März, gibt es um 10 Uhr einen Festgottesdienst. Mehr zum Programm findet ihr hier.

Titelbild: Julia Schmitz

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