Vor einem Jahr begann Russland mit der Ausweitung des Angriffskrieges auf die Ukraine. Wie ist die Situation vor Ort heute? Pankows Bezirksbürgermeister reiste Anfang Februar nach Riwne, der „Solidaritätspartnerstadt“ von Pankow.
250.000 Menschen leben in der Stadt, die unweit der Grenze zu Belarus zwischen Kyiv und Lviv liegt. Noch in der Vorweihnachtszeit hatte der Bezirk Pankow entschieden, eine solidarische Städtepartnerschaft mit Riwne einzugehen und ein Spendenkonto einzurichten. Vor kurzem reiste Sören Benn (Linke) selbst in die Ukraine.
Beeindruckt zeigt sich Pankows Bezirksbürgermeister vor allem von den Bewohner*innen Riwnes. „Wir haben eine lebendige Stadt und selbstbewusste Stadtbewohner*innen getroffen, sind auf unbeschreibliche Herzlichkeit, Offenheit und manchmal fast beschämende Hochachtung und Dankbarkeit dafür, gekommen zu sein, gestoßen“, berichtet Benn.
Müde und erschöpft seien die Menschen, aber nach wie vor entschlossen. Zwar habe er keine Kriegsbegeisterung gesehen, aber „den festen Willen, nie wieder unter russischer Vorherrschaft leben zu wollen“.
Der sorgenvolle Blick nach Norden
In der Region um das westukrainische Riwne hatte es im letzten Jahr russische Angriffe, vor allem auf die Infrastruktur, gegeben. Erst im November 2022 wurde das AKW Riwne deswegen vorsichtshalber vorübergehend vom Stromnetzwerk getrennt. Die nahe Grenze zu Belarus im Norden erhöht für die Menschen dort überdies die Gefahr im Fall eines belarussischen Einmarsches in die Ukraine.
Berichten der Süddeutschen Zeitung zufolge plane Russland, das ihm ohnehin freundschaftlich gesonnene Belarus schrittweise zu unterwandern. Laut der Frankfurter Rundschau soll der Leiter der Militärverwaltung in Riwne, Vitaliy Koval, geäußert haben, dass die Region derzeit gezielt aufrüste, um auf ein solches Szenario vorbereitet zu sein.
„Auch wenn die Front weit weg scheint, hier ist ein ganzes Volk im Krieg“, beschreibt Benn seinen Eindruck von der Lage vor Ort. Das mag unter unterem an der solidarischen Unterstützung liegen, die Binnengeflüchtete aus den östlicheren Gebieten der Ukraine hier erfahren.
Ungebrochene Solidarität
Derzeit halten sich ca. 20.000 ukrainische Geflohene in Riwne auf. Hier werden sie in Wärmezelten versorgt, die sich „Punkte der Unbesiegbarkeit“ nennen. Der Zusammenhalt der Bevölkerung ist auch ein Jahr nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine ungebrochen. Nicht nur Menschen erhalten in Riwne Unterstützung.
So erfand sich etwa eine Druckerei aus dem ostukrainischen und schwer umkämpften Cherson als „Gemütlicher Buchladen (Затишна книгарня)“ in Riwne neu. Ein Schwerpunkt der Buchhandlung liegt auf der Weiterentwicklung der ukrainischen Literatur. Daher finden sich keine russischsprachigen Bücher im Sortiment, erklärt die Inhaberin auf ihrer Webseite . Auch die medizinische Universität Luhansk, die bereits im März 2022 und zuvor im Jahr 2014 Zuflucht in Riwne genommen hatte, ist hierher übergesiedelt.
Eine gebeutelte Stadt
Das westukrainische Riwne gehörte im Mittelalter zunächst zu Litauen, später zu Polen. Während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wechselte die Staatsangehörigkeit der Stadt im Rhythmus des Kriegsgeschehens. Deutsche, russische, bolschewistische und polnische Truppen beanspruchten die Herrschaft über die Region.
Während der deutschen Okkupation des Gebiets um Riwne im Zweiten Weltkrieg, richteten die Nationalsozialisten ihr Stabsquartier des „Reichskommissariat der Ukraine“ (RKU) in Riwne ein. Vorgesehen war, nicht nur die jüdische Bevölkerung, sondern später auch alle dort lebenden Ukrainer*innen aus dem Gebiet zu „entfernen“. Im Stadtteil Sosonsky in Riwne erschossen deutsche Soldaten an zwei Tagen im November 1941 rund 17.500 Jüdinnen und Juden. Manche der Opfer lebten noch, als die Mörder sie begruben. Heute befindet sich an der Stelle des Massakers eine Gedenkstätte.
Heute und Morgen
Die Solidaritätspartnerschaft mit Pankow hat zum einen die bedarfsbedingte Unterstützung der Stadt zum Ziel. Für den Aufbau eines Reha-Zentrums für Kriegsverletzte und Traumatisierte fehlt es noch an einfacher Ausstattung wie Betten und Verbandszeug, allerdings auch an medizinischem Gerät. Weil die Busse aus Riwne als Transportfahrtzeuge in den umkämpften Gebieten benötigt werden, existiert kein Nahverkehr. Sogar an Rettungswagen mangelt es.
Zum anderen denken die Kooperationspartner*innen bereits an den Wiederaufbau, der hoffentlich bald beginnt. Wenn die Kinder von Riwne wieder gleichzeitig die Schule besuchen können –anstatt in Schichten, weil nur so viele Kinder in der Schule sein dürfen, wie Plätze im Luftschutzkeller der Lehranstalt zur Verfügung stehen. Wenn auf den Stühlen wieder Gummifrösche liegen, anstatt vorsorgliche Notrationen für den Ernstfall.
Ihr möchtet helfen? Das Bezirksamt Pankow hat ein Spendenkonto für Riwne eingerichtet:
Bezirkskasse Pankow
IBAN DE06 1005 0000 4163 6100 01
Verwendungszweck: 0833000220971 / Ukraine-Riwne.
Spendenbescheinigungen sind möglich.
Titelbild: Blick auf Riwne / Wikimedia Commons