Einmaleins und ABC: Der Verein Schülerpaten Berlin vermittelt ehrenamtliche Nachhilfelehrer*innen – auch in Pankow. Grundschülerin Rowa und Rosa Teresa Fries haben sich darüber kennengelernt.
Rowa schaut auf ihr Heft und liest. Ihren Füller hält sie mit beiden Händen fest. Kurz schaut sie geradeaus, fixiert einen Punkt an der gegenüberliegenden Wand – so, als ob sie sich nur vergewissern müsste. Dann öffnet sie den Füller mit einem Ruck. Sie beugt sich über ihr Mathe-Übungsheft, die Zungenspitze schaut aus ihrem Mund, wandert zur oberen Lippe, in ihrer linken Hand hält sie noch immer die Kappe ihres Füllers fest. Dann schreibt sie mit ihrer rechten Hand flink eine Zahl in ihr Übungsheft. Ihr Blick wandert zur Seite. „Richtig?“, fragt Rowa und wartet. Neben ihr sitzt Rosa Teresa Fries und lächelt. Sekunden vergehen. Ist die Lösung korrekt? „Ja, gut gemacht“, sagt sie. Rowa schaut wieder in ihr Übungsheft, weiter geht es mit der nächsten Aufgabe.
Einmal in der Woche treffen sich die beiden – immer am Mittwoch ab 17:30 Uhr für anderthalb Stunden, manchmal länger. Meist lernen sie am Anfang Mathe, denn dann sind beide noch wach. Danach lesen sie oder malen auch mal was zusammen. Die beiden verbindet eine ungewöhnliche Freundschaft. Denn Rowa ist acht Jahre und geht in die dritte Klasse der Jeanne-Barez-Schule in Französisch Buchholz, Rosa Teresa Fries ist 33 und leitet eine Sprachschule für Menschen, die Deutsch als Fremdsprache lernen.
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Patenschaften für mehr Chancengerechtigkeit
Kennengelernt haben sich Rowa und Rosa Teresa durch den Verein Schülerpaten Berlin e.V.. Sie gehören zu den 123 neuen Patenschaften, die 2021 durch den Verein entstanden sind, 311 hat er insgesamt in Berlin betreut. Seit 2009 vermittelt der Verein 1:1-Bildungspatenschaften zwischen Ehrenamtlichen und strukturell benachteiligten Schüler*innen mit Migrationsgeschichte.
Darunter sind Kinder, die die Grundschule besuchen, Jugendliche, die ihren Mittleren Schulabschluss (MSA) machen, aber auch Abiturient*innen. Ziel ist es, durch individuelle ehrenamtliche Nachhilfe die Bildungschancen dieser Kinder und Jugendlichen verbessern und damit auch die Chancengerechtigkeit sowie Durchlässigkeit im deutschen Bildungssystem zu erhöhen. Die meisten Schüler*innen und ihre Eltern erfahren durch Freund*innen von dem Angebot. Die Nachfrage ist groß, die Warteliste dementsprechend lang. Und die Suche nach Patinnen und Paten dauert.
Patin und Schüler*in sollen passen
Rosa Teresa hat durch eine Freundin von dem Projekt erfahren. Damals suchte sie bereits nach einer Möglichkeit, sich ehrenamtlich zu engagieren. Die Idee Nachhilfe zu geben gefiel ihr und passte zu ihrer Lebenssituation. Also füllte sie spontan einen Fragebogen auf der Webseite von Schülerpaten Berlin aus: Name, Wohnort, Kontaktdaten, Geburtstdatum, Beruf, Erfahrungen und Mathe, Deutsch oder Englisch? Auch ein Führungszeugnis musste Rosa Teresa einreichen und an einem Vorbereitungsworkshop teilnehmen. Schließlich sollen Patin und Schüler*in zusammen passen.
Dann kamen Muna Nasser und ihre Mitstreiter*innen ins Spiel. Muna arbeitet für den Verein und schaut, welche Leute ein gutes Tandem bilden könnten. Passt alles, dann treffen die Patinnen und Paten sich gemeinsam mit der Familie und dem Patenkind. So war das auch bei Rosa Teresa und Rowa.
Das erste Mal haben sich die beiden bei den Schülerpaten im Büro gesehen. Rowa saß mit ihrer Familie draußen und wartete. Als Rosa Teresa hat ihnen vorbeiging, überlegte sie bereits, ob das wohl das Mädchen sein könnte, das sie später begleiten würde. Tatsächlich lernten sie sich nur ein paar Minuten später im Büro kennen. Sie stellten sich vor und sprachen darüber, was sie gerne essen, was sie in ihrer Freizeit machen. Am Ende haben sie ihre Patenschaft auch offiziell besiegelt und eine Lernvereinbarung unterschrieben. Eine Woche später trafen sich die beiden bei Rowa zu Hause.
Die Chance, Priviliegien weiterzugeben
Rosa Teresa sagt, sie sei sehr privilegiert aufgewachsen: Sie sei immer sehr gut in der Schule gewesen; es sei immer klar gewesen, dass sie studieren könne. Niemand habe je die Frage gestellt, ob sie gut genug dafür sei. Bei Kindern mit Migrationsgeschichte sieht das oft anders aus. Die Vorurteile sind groß. Weil Rosas Eltern aus Syrien kommen und sie acht Geschwister hat, stehen die Chancen statistisch gesehen schlecht. Eine OECD-Studie aus dem Jahr 2015 zeigt, dass Kinder aus sozial schwachen oder Einwanderungsfamilien schlechtere Chancen auf Bildung haben als andere Kinder. Mehrere Untersuchungen weisen zudem daraufhin, dass Schüler*innen mit Migrationsgeschichte bessere Leistungen erbringen müssen als ihre Mitschüler*innen ohne Migrationsgeschichte, um beispielsweise ans Gymnasium zu kommen.
Dabei ist die Achtjährige gut in der Schule, die Familie unterstützt das Mädchen. Das möchte auch Rosa Teresa. „Ich denke, dass ich eine Chance habe, meine Privilegien weiterzureichen. In Deutschland ist es sehr schwierig an Bildung zu kommen, wenn man nicht aus den entsprechenden Haushalten kommt. Das finde ich sehr krass. Und vielleicht ist das mein kleiner Weg, um dagegen zu halten“, sagt sie.
Der Verein versteht sich jedoch nicht als Sozialhilfeprojekt, vielmehr ist es eine Art Buddy-Programm. Es kommt nicht nur auf gute Noten an, sondern auch darauf, dass sich eine Art Freundschaft entwickelt. Die Patenschaften laufen mindestens ein Jahr, im Schnitt dauern sie aber länger. Rosa Teresa und Rowa treffen sich nun schon seit anderthalb Jahren und verbringen ihre Zeit miteinander.
Gemeinsam Dinge entdecken
„Ich finde es auch super schön zu sehen, wie gut sie inzwischen liest. Wir haben außerdem zusammen das Einmaleins bestritten. Manchmal habe ich das Gefühl, ich bin wieder in der dritten Klasse. Ich muss so viel Kopfrechnen“ , sagt Rosa Teresa. Doch die beiden lernen nicht nur zusammen, sie entdecken viele Dinge gemeinsam neu. Denn Rowa erzählt Rosa Terasa viel über das syrisches Essen bei. Ein paar mal hat sie versucht, ihr etwas Arabisch beizubringen. Das war schwierig. Die beiden lachen, als sie sich an die Situation erinnern. Überhaupt lachen die beiden viel, haben Spaß zusammen.
Und das nicht nur bei Rowa zu Hause in Blankenburg, die beiden machen auch Ausflüge. Auch in Prenzlauer Berg, wo Rosa Teresa wohnt. Dort waren die beiden im Planetarium und im Theater in der Vinetastraße, Rowa hat Rosa Teresa mit zweien ihrer Geschwister in Prenzlauer Berg besucht, sie ein Eis gegessen und zusammen Nudeln gekocht.
Die Freundinnen haben noch viel vor: Diesen Winter wollen sie einen Schneemann bauen. Nächsten Sommer wollen sie Fahrrad oder an den See fahren, denn das haben sie in diesem Sommer nicht geschafft. Irgendwann wollen sie auch Rosa Teresas Oma besuchen. Die lebt in Brandenburg und hat Pferde. Die Liste hört nicht auf. „Ich würde es gerne noch lange machen“, sagt Rosa Teresa. „Ich auch“, sagt Rowa und schaut dabei verträumt in die Gegend. Sie freut sich schon jetzt darauf, Rosa Teresa wiederzusehen. Das nächste Mal treffen sich die beiden wieder am Mittwoch um 17:30 Uhr.
Titelfoto: Christina Heuschen