Im 20. Jahrhundert kann sich der Pratergarten der Politisierung nicht entziehen und muss sich immer wieder neu erfinden, um in einer für Deutschland einmaligen Zapfhahndichte zu überleben.
Um 1900 wurden in Prenzlauer Berg neben Arbeitern auch immer mehr Arbeiterinnen zu gern gesehenen Kund*innen in Biergärten. Ein Business, das nicht nur im Pratergarten gut lief und das sich auch andere nicht entgehen lassen wollten. In der unmittelbaren Umgebung der Kastanienallee entstanden gleich mehreren Konkurrenzunternehmen. Die Schultheiß-Brauerei in der Schönhauser Allee schenkte nun ebenso Bier aus und auch die Brauereien Pfefferberg, Königstadt und Bötzow hatten große Biergärten eröffnet. Einer dieser Brauereien war es schließlich auch, die den Prater aufkaufte.
Die Brauerei Pfefferberg wurde Anfang des 20. Jahrhunderts Eigentümer des Grundstücks an der Kastanienallee und so auch des Praters. Die Eigentümerfamilie Kalbo kümmerten sich aber weiterhin um die Geschäfte und blieb Akteur. Der Kauf führte dazu, dass der Garten um einen Saal erweitert werden konnte: Wer den Pratergarten heute betritt, sieht ihn etwas hinter dem Eingang links. Kund*innen wollte man dort mehr Abwechslung bieten, was bei dem harten Konkurrenzkampf immer nötiger wurde. Der Prater musste in einer Gegend mit einer „in Deutschland einmaligen Zapfhahndichte“ überleben, wie es auf der Webseite heißt. Laut Thilo Zantke, der 1987 die ausführliche Geschichte des Biergartens dokumentierte, gelang dies, weil der Prater „Kneipe, Ausflugslokal, Varieté, Volkstheater, Ballsaal, Garten und Versammlungsort“ war.
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Ein politisches Fenster
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es in Berlin Bedarf nach Gesprächen, die in institutionalisierten Bereichen der Gesellschaft so nicht erwünscht waren. Also machten Kneipen diese offene Kommunikation möglich. Arbeiter*innen nutzten Vergnügungslokale in ganz Berlin häufig für Versammlungen und politische Aktionen, die sie als Bierrunden tarnen konnten. Als große Gaststätte in einem Arbeiter*innenbezirk wie Prenzlauer Berg war auch der Pratergarten, wenn auch am Rande, Austragungsort politischer Versammlungen.
Weil es damals verboten war, diese Versammlungen unter freiem Himmel auszutragen, trank und besprach man sich im „großen Saal“ des Praters. Damit auch das schwieriger wurde, galt schnell jede Veranstaltung, bei der ein Fenster offen stand, als eine verbotene Versammlung „unter freiem Himmel“. Bei den langen Besprechungsrunden wurde aber häufig viel geraucht, der Saal so schnell unerträglich verqualmt und eine Lösung musste her: Das Klappfenster wurde geboren. Ob es wirklich im Pratergarten erfunden worden ist, lässt sich nicht mehr vollständig rekonstruieen. Sicher ist aber, dass es im „großen Saal“ eines der ersten Klappfenster der Welt gab. Durch den kleinen Spalt konnte zwar der Rauch abziehen, das Fenster galt aber offiziell nicht als geöffnet. Noch heute ist der Saal des Praters mit einem geschichtsträchtigen Klappfenster ausgestattet.
Freizeitgestaltung im Wandel der Zeit
Weil es der Familie Kalbo wichtig war, unpolitische Unterhaltung zu bieten, gab es im Pratergarten weiterhin Vorstellungen, im Sommer sogar täglich. Paul Kalbo, der die Geschäfte übernahm, nachdem der Gründer Johann verstorben war, zeigte sogar Pantomime und Marionettenspiele. Im Winter feierte man im Prater Bälle. Es tanzte ein unüblich gemischtes Publikum, sowohl Beamte als auch Dienstmädchen, wohlhabende Familien und Militär, wie Zantke in seinem Buch beschreibt.
Nachdem Paul Kalbo starb, übernahm seine Witwe Martha Kalbo das Geschäft und wollte im Pratergarten „Gehobeneres“ aufführen. Sie erhielt die staatliche Erlaubnis, 15-mal im Jahr „mehraktige Schauspiele des klassischen Repertoires“ zu zeigen und lies daraufhin den großen Saal umbauen. Aus dem schlichten Raum wurde ein aufwendiges Theater mit Schnürboden und Vorhang – und das erste Sorgenkind des Praters. Denn die Arbeiter*innen wollten leichte Unterhaltung, Operetten und Blasorchesterkonzerte. Kalbo gab schließlich nach, kam ihrer Kundschaft entgegen und ließ im Prater erste „kinematographische Vorstellungen“ zu. Für die Kinofilme, die nun regelmäßig im Pratergarten gezeigt wurden, konnten sich die Zuschauer*innen an Kiosken sogar mit Zigaretten, Kuchen, Eis, Schokolade, Würstchen und belegten Brötchen ausstatten. In den Pausen vergnügten sich die Besucher*innen an Pfeilwurf- Blumen und Schießständen.
Bier und Würstchen zwischen den Kriegen
Mit dem Vergnügen war während des Ersten Weltkrieges Schluss, der Prater musste schließen. Zwischen den Kriegen aber ging es für die Gaststätte schnell wieder bergauf und das Kino zog als fester Bestandteil ein. Weil aber immer mehr Freizeiteinrichtungen in Prenzlauer Berg auftauchten, die sich mehr und mehr spezialisierten, mussten die Kalbos das Unterhaltungskonzept des Praters erneut überdenken. Zudem hatten Arbeiter*innen weniger Geld als zuvor, um es für Unterhaltungsprogramm auszugeben. So konzentrierte man sich im Sommer schnell nur noch auf das Gartengeschäft mit Getränken und Essen.
Schließlich beließ man es dabei und gab die Lizenz zur Aufführung von Theaterstücken zurück.
Während des Zweiten Weltkriegs blieb der Prater unzerstört. Die sowjetische Militäradministration wollte das Gelände deshalb nach Ende der Kampfhandlungen nicht ungenutzt lassen und ordnete an, den Prater wieder als Kulturbetrieb zu öffnen. Schon im Sommer 1945 traten erste Tänzer*innen, Sänger*innen und Clowns auf, die schnell wieder arbeiten wollten und mussten. Weil das Haus der Berliner Volksbühne zerstört wurde, zogen die Schauspieler*innen mit ihren Inszenierungen 1946 im Prater ein, und auch Kinofilme wurden wieder gezeigt.
„Irgendwer verkaufte im Garten noch Bier“
1967 dann der nächste wichtige Meilenstein in der Geschichte des Praters: Der Magistrat von Ostberlin ernannte ihn zum Kreiskulturhaus, in den Gebäuden, die sich an den Seiten des Gartens befinden, arbeiteten Künstler*innen. Im Prater wurde getöpfert, musiziert, getanzt, geprobt und aufgeführt. Nach dem Mauerfall wurde das Treiben auf dem Gelände schließlich zu unübersichtlich; auf der Webseite heißt es heute, dass kein Konzept vorhanden war. „Neue Betreiber betrieben undurchsichtige Geschäfte, die Beschäftigten warteten auf eine Dauerstellung, irgendwer verkaufte im Garten noch Bier.“
Der Saal sollte in den 90er-Jahren noch einmal erneuert werden, wurde aber nie fertig. Das Ensemble der Volksbühne spielte also einfach im ganzen Garten, bezog nicht nur die Bühne, sondern auch die vielen Seitengassen ein. Für Zuschauer*innen ein Spektakel, für die Beteiligten chaotisch. Zumindest ein Neuausbau der Terrasse gelang 1996 und aus dem Prater wurde mit den Jahren weniger ein Ort für Aufführungen, sondern der Biergarten, den wir heute kennen. Ohne Operetten und Zirkus, dafür aber mit frisch gezapftem Bier und dem ultimativen Sonntags-Gefühl.
Dies ist der zweite Teil der Pratergarten-Geschichte. Den ersten Teil findet ihr hier.
Titelbild: Sonja Koller